Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Vater der Revolution

Ein abenteuerlicher Lebensweg vom Schiffsjungen zum vietnamesischen Staatspräsidenten. Zum 125. Geburtstag Ho Chi Minhs

Von Hellmut Kapfenberger *


Hellmut Kapfenberger verbrachte als Korrespondent der DDR-Nachrichtenagentur ADN und der Tageszeitung Neues Deutschland insgesamt zehn Jahre in Vietnam. Zuletzt schrieb er auf den Themaseiten am 29.4.2015 über den Sieg der vietnamesischen Befreiungsarmee über die USA vor 40 Jahren. Kürzlich erschien von ihm im Verlag Wiljo Heinen das Buch: »... unser Volk wird gewiss siegen.« 30 Jahre Überlebenskampf Vietnams im Rückblick, 414 Seiten, 16 Euro.

Es war der 2. September 1945. Ein landesweiter Aufstand, die Augustrevolution, hatte gerade dem ein halbes Jahrhundert zuvor errichteten französischen Kolonialregime in Vietnam ein Ende bereitet. Auf dem Ba-Dinh-Platz im Herzen Hanois verliest ein kleiner, hagerer Mittfünfziger mit fester Stimme von einer über Nacht eilends errichteten Tribüne herab einen von ihm selbst auf einem einfachen Stück Papier mit Maschine getippten Text, der in die Geschichte eingehen sollte: die Erklärung über die Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Vietnam (DRV). Fast eine Million Menschen, Alte und Junge, Männer, Frauen und Kinder, Arbeiter, Bauern, Soldaten, buddhistische Geistliche, auch Angehörige des betuchten Bürgertums, aus allen Vierteln der Hauptstadt am Roten Fluss (Song Hong) und den umliegenden Provinzen zusammengeströmt. Sie alle sehen und hören zum ersten Mal jenen Mann, dessen Name Nguyen Ai Quoc vielen von ihnen schon lange bekannt oder gar vertraut gewesen ist. Nun steht er als Ho Chi Minh leibhaftig vor ihnen.

Wer ist dieser unumstritten anerkannte Führer im antikolonialen Befreiungskampf seines Volkes? Wer ist jener Mann, dessen Wort jahrzehntelang und noch gut vier Jahre zuvor nur auf geheimen Wegen aus dem Ausland nach Vietnam hatte gelangen können und dennoch Millionen zu mobilisieren vermochte? Wer ist der, dessen Gedanken und Appelle per Mundpropaganda in die entferntesten Winkel des Landes getragen worden waren, von unerschrockenen Revolutionären meist in strengster Konspiration und unter Lebensgefahr? Wo kam er her, was für ein Elternhaus hatte er, was für ein Mensch war er?

Historiker, Schriftsteller und Journalisten hätten schon damals gern hinter die Kulissen geschaut. Weder an jenem Tag, da er auf »seiner« ersten Massenkundgebung in seiner Heimat Geschichte schrieb, noch lange danach gab es eine Biographie mit dem Blick auf den Menschen Ho Chi Minh. Es gab sie nicht im Land seiner Väter, nicht im eigentlich bestens informierten kolonialen »Mutterland« Frankreich, nicht sonstwo in der Welt. Und dabei blieb es bis weit nach seinem Tod 1969. Der Grund war simpel: Viel Aufhebens von sich selbst zu machen, war seine Sache nie, und so blieb es bis an sein Lebensende. Überdies: Drei Jahrzehnte selbstgewählten und dann erzwungenen Exils hinterließen kaum Aufzeichnungen zur Person. Auch ein Tagebuch fehlt.

Sollte es um sein Privatleben gehen, war Ho Chi Minh selbst gegenüber Kampf- und Weggefährten wenig gesprächig. Bernard B. Fall, französischer Historiker und ausgewiesener Vietnam-Experte, gelang es 1962 in einem Interview mit Ho Chi Minh in Hanoi ebenfalls nicht, dem Präsidenten Einzelheiten über dessen Leben zu entlocken. »Wissen Sie, ich bin ein alter Mann, und ein alter Mann behält seine kleinen Geheimnisse gern für sich«. Pierre Brocheux, emeritierter französischer Geschichtsprofessor, resümierte 2003 in seiner Ho-Chi-Minh-Biographie nach augenscheinlich intensiven Archivstudien an mehreren Orten, dass »gewisse Zeiträume im Leben dieser Person noch im dunkeln liegen und selbst heute noch Fragen zu dem Mann bleiben«. Diese Erfahrung musste bislang noch jeder machen, der Ho Chi Minhs Leben und Wirken möglichst lückenlos skizzieren wollte.

Lebensstationen eines Revolutionärs

Wenn es je eine weltbekannte Persönlichkeit, einen Politiker und Staatsmann gab, dem ein ungewollt abenteuerliches Leben bescheinigt werden muss, dann diesem Mann der vielen Pseudonyme, Deck- und Tarnnamen, derer er sich über Jahrzehnte zu bedienen wusste – meist um Geheimpolizisten zu narren. Ho Chi Minh wurde am 19. Mai 1890 in einem Dorf der mittelvietnamesischen Provinz Nghe An unter dem Namen Nguyen Sinh Cung als Sohn patriotisch gesinnter Eltern mit revolutionärer Familientradition geboren. Vier Jahre nach der Geburt erwirbt der Vater einen Hochschulabschluss und muss, Beamter nun, Dienst am kaiserlichen Hof in Hue tun. 1900 stirbt die Mutter. Auf Wunsch des Vaters erhält der Zehnjährige nach konfuzianischer Tradition den Namen Nguyen Tat Thanh. Seit 1905 besucht Thanh das Gymnasium und nimmt in Hue illegale Kurierdienste für patriotische Gelehrte auf. 1909 wird der Vater Kreischef der Küstenprovinz Binh Dinh und damit Mandarin.

Ende 1910, Anfang 1911 wird der jetzt 20jährige als »Aufrührer« der Schule verwiesen; er verlässt Hue in Richtung Saigon. Wenig später fällt der Vater wegen Volksnähe in Ungnade, wird aus dem Amt gejagt und verliert seinen Beamtenstatus sowie den Titel des Mandarins. Vermutlich gegen Ende des Jahres 1911 heuert Thanh als Küchenjunge unter dem Namen Ba an Bord eines französischen Frachters mit Kurs Marseille an. Es folgen mehrere Monate Schiffsreisen als Offiziersgehilfe und Stewart nach Afrika. Ab der zweiten Hälfte des Jahres 1913 hält er sich mit Gelegenheitsarbeiten in England über Wasser und ist Ende 1914 in Paris. Darauf folgt ein längerer USA-Aufenthalt, den Thanh ebenfalls mit Gelegenheitsarbeiten bestreitet. Nach Frankreich kehrt er sehr wahrscheinlich Ende 1917 unter dem Namen Nguyen Ai Quoc zurück. Hier nimmt er Kontakt zur Sozialistischen Partei (SFIO) auf; es ist der Beginn seiner politischen und journalistischen Arbeit. 1919 wird er Mitglied der SFIO und hat im Dezember 1920 einen Auftritt als Vertreter Indochinas auf dem 18. Parteikongress, wo er den Kolonialismus anklagt und zudem für den Beitritt der Partei zur Kommunistischen Internationale (KI) stimmt. Der Kongress ist die Geburtsstunde der Französischen KP und Nguyen Ai Quoc eines ihrer ersten Mitglieder.

Seit langem von der Geheimpolizei Sûreté observiert, verlässt er etwa gegen Mitte des Jahres 1923 Frankreich in Richtung Sowjetunion, diesmal unter dem Namen Chen Vang. 1924 nimmt Nguyen Ai Quoc als offizieller Delegierter der FKP am V. KI-Kongress in Moskau teil und übt dort scharfe Kritik an den Kommunistischen Parteien der kolonialen »Mutterländer«. Fortan arbeitet er im KI-Apparat und als Journalist. Darüber hinaus studiert er an der Universität der Werktätigen des Ostens. Im Oktober 1924 geht sein Aufenthalt in der UdSSR zu Ende, als Ly Thuy landet er wahrscheinlich im Dezember des gleichen Jahres in Südchina (Kanton). Auch hier betätigt er sich als Journalist und nimmt Kontakt zur KP Chinas auf. Zur gleichen Zeit, jetzt unter dem Pseudonym Vuong, agitiert er unter emigrierten jungen vietnamesischen Patrioten. Im Juni 1925 erfolgt die Gründung einer Vereinigung der revolutionären Jugend Vietnams. Im Mai 1927 muss er China verlassen und kehrt nach Moskau zurück. In den Jahren 1927/28 hielt sich der fast 40jährige als KI-Beauftragter in Westeuropa auf und traf bei dieser Gelegenheit wahrscheinlich im Frühjahr 1928 Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck in Berlin.

Im Sommer desselben Jahres verlässt ein Schiff Neapel in Richtung Bangkok. An Bord der Mann, der sich nach der Ankunft »Vater Chinh« nennt. In der Hauptstadt des damaligen Siam betätigt er sich politisch unter ansässigen vietnamesischen Landsleuten und Thanh-Nien-Mitgliedern. 1929 erreicht er als vermeintlich chinesischer Geschäftsmann die britische Kronkolonie Hongkong. Im Oktober wird »Vater Chinh« für Unruhestiftung in Mittelvietnam verantwortlich gemacht und in Abwesenheit durch den kaiserlichen Gerichtshof in Vinh (Hauptort der Heimatprovinz) zum Tode verurteilt. Am 3. Februar 1930 gründet sich unter seiner Leitung in Hongkong die KP Vietnams (im Oktober erfolgt die Umbenennung in Indochinesische KP, IKP). Am 6. Juni 1931 verhaftet die britische Polizei den vermeintlichen chinesischen Geschäftsmann Tong Van So in Hongkong und klagt ihn an, »Agent Moskaus« zu sein. Etwa eineinhalb Jahre später organisieren Freunde seine Flucht nach Südchina, im Frühjahr 1934 begibt sich der KI-Beauftragte erneut nach Moskau.

Dort studiert er als Linow an der Lenin-Universität, arbeitet weiterhin bei der KI und wirkt unter vietnamesischen Studenten des KI-Instituts für nationale und koloniale Fragen. Jahrelang verwehrt die KI ihm seinen Wunsch einer Rückkehr nach Asien. Erst im September 1938 verlässt er die sowjetische Hauptstadt in Richtung China, wo er als Politkommissar Hu Guang in Dienste der Roten Armee der KPCh agiert. 1941 endlich erreicht er nach 30 Jahren Exil über einen geheimen Dschungelpfad Vietnam. Eine Grotte in der Grenzprovinz Cao Bang wird zum Domizil von »Vater Thu« und Gefährten. Im Mai desselben Jahres wird unter Leitung des sich nun wieder den Namen Nguyen Ai Quoc gebenden KI-Beauftragten die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams (Viet Minh) gegründet. Am 6. Juni ergeht ein zur Tarnung als »Brief aus dem Ausland« deklarierter Aufruf zur Aufstandsvorbereitung an die Bevölkerung. Neun Monate später bezieht der Viet-Minh-Chef sein Dschungelquartier in der Provinz Cao Bang, das zum Kern des künftigen Widerstandszentrums im Nordosten Vietnams (Viet Bac) werden wird.

Am 13. August 1942 bricht ein vorgeblich blinder Mann, der sich Ho Chi Minh nennt, nach China auf. Sein Ziel: Kontakte knüpfen und Unterstützung für den Aufstand gewinnen. Doch nur wenige Tage später wird dieser Ho Chi Minh in der chinesischen Grenzprovinz Guangxi verhaftet, als Spion verdächtigt und für 13 Monate unter elendsten Bedingungen inhaftiert. 80 Tage Marsch in Ketten durch die Provinz und die »Bekanntschaft« mit 30 Kerkern fallen in diese Zeit. Anfang August 1944 darf er nach Vietnam zurückkehren, wo er im September wieder Cao Bang erreicht.

Dort betreibt Ho Chi Minh intensive Aufstandsvorbereitungen. Am 13. August 1945 ergeht der Aufruf der IKP zum allgemeinem Aufstand gegen das französische Kolonialregime und gegen die seit Ende 1940 im Lande weilenden japanischen Besatzer. Knapp zwei Wochen später erreichen Ho Chi Minh und Gefährten das befreite Hanoi. Am 29. August erfolgt dann die Bildung einer provisorischen Koalitionsregierung, an deren Spitze Ho steht. Gut ein halbes Jahr später, am 2. März 1946, wählt die Nationalversammlung auf ihrer konstituierenden Sitzung Ho zum Präsidenten der Demokratischen Republik Vietnam (DRV). Nach Beginn des von den zurückgekehrten französischen Kolonialisten entfesselten Rückeroberungskrieges wird von Dezember 1946 bis Oktober 1954 das Widerstandszentrum im gebirgigen äußersten Nordosten Vietnams (Viet Bac) zum Refugium für die Führung des Landes. Bis zu seinem Tod am 2. September 1969 bleibt Ho Chi Minh Präsident der DRV mit Sitz in Hanoi.

Unerschütterliche Überzeugung

Als wissensdurstiger und patriotisch erzogener 21jähriger Schiffsjunge war er ausgezogen, um – wie er später sagte – in die westlichen Länder zu gelangen und zu sehen, wie sich starke und unabhängige Länder hatten herausbilden können. In die Heimat zurückgekehrt, so sein Vorsatz, werde er seinen Landsleuten helfen, die französischen Kolonialisten zu verjagen. 35 Jahre später wurde er mit der ehrenvollen Bürde betraut, in seiner Heimat das höchste Amt im Staate zu bekleiden. Ho Chi Minh blieb stets seiner Lebensmaxime treu. Sie hieß: Nicht ich bin wichtig. Führerhabitus, Prunk, Privilegien, Landesorden? In sämtlichen Lebensbeschreibungen Fehlanzeige. Wie kein anderer Großer seiner Zeit war er ein Mensch, der sich – wie Augenzeugenberichte und viele Bilddokumente belegen – nur inmitten seiner Landsleute sichtlich wohlfühlte. Er war eben einer, dem selbst der voreingenommene Chronist bescheinigen musste, nicht einfach mit dem Volk und für das Volk gelebt, sondern auch mit ihm gelitten zu haben.

Ho Chi Minh machte sich national und international einen Namen, ohne durch herausragendes theoretisches Werk in Erscheinung getreten zu sein. Die beispiellosen Bedingungen des Befreiungs- und Unabhängigkeitskampfes Vietnams und seiner eigenen Existenz, ob im Exil oder in der Heimat, ließen dafür keinen Raum. Stützen konnte er sich auf fundiertes, durch praktische Erfahrungen untermauertes Wissen über Kapitalismus und Kolonialismus, auf einen scharfen analytischen Verstand und eine im Laufe der Jahrzehnte gereifte unerschütterliche Überzeugung. Wenngleich leidenschaftlicher Kämpfer gegen koloniales und imperialistisches Unrecht, so war Ho Chi Minh doch – wie auch prominente Stimmen von Gegners Seite bescheinigen – im reiferen Alter im Gegensatz zu seiner frühen Jugend jeglicher Hass fremd. Weder lebte noch predigte er ihn. Das galt trotz aller Verbrechen für Frankreich und das französische Volk ebenso wie später für die USA und die Menschen in den Vereinigten Staaten. »Liberté-Égalité-Fraternité« (Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit) war für ihn keine bloße Losung. Beseelt vom Gedanken an ein friedvolles Zusammenleben der Völker, an ein Leben des eigenen Volkes in Frieden und Glück wie an das Gute im Menschen überhaupt, blieb er sich in dieser Frage bis an sein Lebensende treu.

Was auch immer sie dazu antreiben mag – seit Jahrzehnten orakeln bürgerliche Biographen, Historiker und andere Experten darüber, was Ho Chi Minh denn nun für ein Mensch gewesen sei. Einen »vietnamesischen Nationalisten und Kommunisten« machte der österreichische Historiker Professor Rolf Steininger in der Person Ho Chi Minhs aus. »War Ho Chi Minh mehr Kommunist oder mehr Patriot?« fragt der westdeutsche Autor Hans-Jörg Keller, um postwendend eine plausible Antwort zu geben: »Das ist eine westliche Frage(ein)stellung. Onkel Ho war Pragmatiker, dem es um die Befreiung seines Volkes ging. Gleichzeitig glaubte er an eine weltweite Solidarität der Unterdrückten und an eine zukünftige klassenlose Gesellschaft und nahm sensibel die Bedürfnisse der einzelnen Menschen wahr. Ganz in der Tradition des Konfuzianismus sah er sich gleichzeitig als Vorbild und Lehrer der Massen und lebte Tugenden wie Bescheidenheit, Demut, Bedürfnislosigkeit und Selbstdisziplin.« Bei aller Fragwürdigkeit der von manchen Schreibenden so beliebten Schubladenbewertung einer Persönlichkeit kann Ho Chi Minh nicht abgesprochen werden, aus Überzeugung Kommunist und Patriot im besten Sinne gewesen zu sein.

Jeder kennt seinen Namen

Persönlichkeiten des Auslands sparten in ihrer Erinnerung an Begegnungen mit Ho Chi Minh nicht mit Anerkennung und Bewunderung. Bertrand Earl of Russell, britischer Mathematiker und Logiker, Philosoph und Sozialkritiker, entschiedener Gegner des Vietnamkrieges der USA, der Atomrüstung und der 1968 erfolgten Intervention der Staaten des Warschauer Vertrags in die CSSR, äußerte 1969: »Präsident Ho Chi Minhs selbstloses Trachten nach Unabhängigkeit und Einheit Vietnams im Laufe von mehr als einem halben Jahrhundert hat ihn sowohl zum Vater der Nation als auch zu einem führenden Gestalter der nachkolonialen Welt gemacht.«

Jean Sainteny, im Oktober 1945 von Frankreichs Präsident General Charles de Gaulle als Unterhändler mit dem Ziel nach Hanoi entsandt, Ho Chi Minh für einen vietnamesischen Staat unter französischen Kontrolle zu gewinnen, in den Folgejahren wiederholt dessen Verhandlungspartner und schließlich mit ihm so gut wie befreundet, schrieb bereits 1953: »Seit meiner ersten Begegnung mit Ho Chi Minh hatte ich den Eindruck, dass dieser asketische Mann, dessen Gesicht zugleich Intelligenz, Scharfsinn und List widerspiegelte, eine hervorragende Persönlichkeit sei. Seine umfassende Bildung, sein Wissen, seine unglaubliche Aktivität und seine Uneigennützigkeit hatten ihm bei der Bevölkerung außergewöhnliche Achtung und Beliebtheit eingetragen. Was er sprach und tat, seine ganze Haltung zeigten deutlich, dass er einer Gewaltlösung abgeneigt war. Es besteht kein Zweifel, dass er in dieser Periode den Vorsatz hatte, der Gandhi Indochinas zu werden.«

Auf einer Pressekonferenz in Peking tat Indiens Premierminister Jawaharlal Nehru im Oktober 1954 nach einem offiziellen Besuch in Hanoi kund: »Ich hatte sehr freundschaftliche Gespräche mit Ho Chi Minh. (…) Es war mein erstes Treffen mit dem Präsidenten, und ich bin überzeugt, dass er Frieden will.« Auch wolle er, so Nehru, »trotz der jüngsten Geschichte Kontakte mit Frankreich aufrechterhalten«.

Nikita Chruschtschow, nach Stalins Tod ab September 1953 Erster Sekretär des ZK der KPdSU, von 1958 bis 1964 Vorsitzender des UdSSR-Ministerrats, fand 1970 außergewöhnliche Worte der Würdigung: »Religiöse Menschen haben früher oft von heiligen Aposteln gesprochen. Durch die Art, wie Ho Chi Minh lebte und andere Menschen beeindruckte, war er einer dieser ›heiligen Apostel‹. Er war ein Apostel der Revolution. Ich werde nie den Ausdruck seiner Augen vergessen, wie sein Blick in einer besonderen Art von Aufrichtigkeit und Reinheit glänzte. Es war die Aufrichtigkeit eines unbestechlichen Kommunisten und die Reinheit eines Mannes, der der Sache im Grundsatz und in der Praxis treu ist. (…) Jedes seiner Worte schien seinen Glauben zu bekräftigen, dass alle Kommunisten Klassenbrüder sind und daher im Umgang miteinander aufrichtig und ehrlich sein müssen. Ho Chi Minh war wirklich eine ›Heiliger‹ des Kommunismus.«

Auch manch einer auf gegnerischer Seite vermochte Ho Chi Minh gewissen Respekt nicht zu versagen. William Fulbright, einst Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, urteilte 1966 nach elf Jahren intensiver Bemühungen Washingtons, in Südvietnam ein Staatsgebilde unter US-amerikanischer Kuratel dauerhaft zu etablieren: »Sogar heute, nach allem, was die USA getan haben, um die südvietnamesische Regierung zu stützen, gibt es nur einen Politiker, dessen Namen die Bauern überall in Vietnam kennen: Ho Chi Minh.«

Ho Chi Minh ist von all jenen Menschen, die Taten dieses bescheidenen und aufrechten Mannes bewusst erlebt haben, nicht vergessen. Als beispielgebend sollen er und sein Vermächtnis den jüngeren Generationen der Linken nahegebracht werden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. Mai 2015


Zurück zur Vietnam-Seite

Zur Vietnam-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage