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Auf Privatisierungskurs

Vier Wochen nach Amtsantritt: Forderungen aus dem Bereich der Wirtschaft an Vietnams neuen Premier Nguyen Tan Dung

Von Tran Dinh Thanh Lam (IPS), Ho-Chi-Minh-Stadt *

Vietnamesische Wirtschaftsexperten, die die nach wie vor massive Einmischung des Staates in die junge Privatwirtschaft beklagen, setzen ihre Hoffnung in den neuen Ministerpräsidenten Nguyen Tan Dung. Der seit einem Monat amtierende Regierungschef gilt als »reformfreudig«. Von ihm wird unter anderem erwartet, daß Vietnam in diesem Jahr die reibungslose Aufnahme in die Welthandelsorganisation (WTO) gelingt. Dabei stellt sich die Ausgangslage zunächst einmal positiv dar: Das Bruttoinlandsprodukt des südostasiatischen Landes stieg im vergangenen Jahr um 8,4 Prozent an. Trotzdem zählt das Land zu den ärmeren Staaten der Region. Die meisten seiner 83 Millionen Einwohner leben von der kleinen Landwirtschaft.

Zwei Aktienbörsen

»Ich werde Wirtschaftsreformen durchsetzen und dafür sorgen, daß Vietnam mit anderen Ländern Schritt hält«, versprach der 56jährige Dung in einer Rede vor dem vietnamesischen Parlament. Dabei setzt er auf einen Spagat: Einerseits will er versuchen, zentrale Lenkungsmechanismen der Wirtschaft und den staatlichen Einfluß auf wichtige Unternehmen beizubehalten; andererseits soll die Privatwirtschaft gefördert werden. Dabei sieht sich der neue Premier mit Forderungen von Wirtschaftswissenschaftlern konfrontiert, deren Meinung nach die Regierung in Hanoi eine »schnellere Gangart in Richtung Marktwirtschaft« einschlagen sollte. Andernfalls seien Verstöße Vietnams gegen WTO-Regeln, Schwierigkeiten bei der wirtschaftlichen Eingliederung in die Weltwirtschaft und mangelnde Attraktivität für ausländische Investoren zu erwarten.

Im Rahmen der in Vietnam »Angleichung« genannten Privatisierung wurden Staatsunternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt. Zur Förderung dynamischer, aufstrebender Unternehmen wurden in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt Aktienbörsen etabliert. Nach Angaben des vietnamesischen Finanzministeriums wurden bislang 3107 Staatsbetriebe in private Hand übergeben, gut zehn Prozent der auf etwa 30000 geschätzten staatlichen Unternehmen. »Bislang wurden vor allem kleine, wenig effiziente Firmen privatisiert. Ihr Gesamtkapital macht nur zwölf Prozent der Investitionen aus, die die Regierung für Tausende kleiner Staatsbetriebe ausgibt«, stellte Ho Xuan Hung, stellvertretender Vorsitzender des Komitees für die Erneuerung staatlicher Unternehmen (CRSB), fest.

Am deutlichsten zeigt sich die staatliche Kontrolle an den vietnamesischen Börsen. So wies der Wirtschaftswissenschaftler Tran Ngoc Tho von der Wirtschaftsfachschule in Ho-Chi-Minh-Stadt darauf hin, daß weiterhin nicht nur der Nationale Börsenausschuß (NSEC) dem Finanzministerium untersteht, sondern auch die für das Staatskapital zuständige Handels- und Investitionsgesellschaft (TICSC) und die vietnamesische Entwicklungsbank (BVID). »Im Gegensatz zu Vietnam gibt es bei den Börsen anderer Länder keine politische Einflußnahme, denn jeder sollte hier gleichberechtigt mitmischen können«, sagte der Experte. Überdies könne die TISCS mit Genehmigung des Finanzministeriums über die Börse Kapital mobilisieren und erhalte damit weit mehr Marktinformationen als die Konkurrenz, berichtete Tho. Das Finanzministerium trete damit gleichzeitig als Spieler und Schiedsrichter an, kritisierte er.

»Nichtmarktwirtschaft«

Nach Angaben des Erneuerungskomitees behält der vietnamesische Staat bei einer typischen Privatisierung 46,5 Prozent des Kapitals, weitere 38,1 Prozent bleiben im Besitz der Betriebsführung und des Personals, und die restlichen 15,4 Prozent halten Einzelpersonen, die dem Unternehmen nicht angehören. »Mit einer derartigen Anhäufung von staatlichem Kapital gelten Privatunternehmen weiterhin als staatlich gefördert oder finanziell unterstützte Betriebe«, sagte Regierungsberater Doanh.

In der zwischen den USA und Vietnam getroffenen Vereinbarung über den vietnamesischen Beitritt zur WTO heißt es, Vietnam behalte in den nächsten zwölf Jahren den Status einer »Nichtmarktwirtschaft«. Der Wirtschaftswissenschaftler Tho dazu: »Wir haben zwölf Jahre Zeit, um der Welt zu beweisen, daß es uns tatsächlich gelingt, eine Marktwirtschaft aufzubauen.«

* Aus: junge Welt, 25. Juli 2006


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