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Zauberwort "Nachhaltigkeit"

In Vietnam steht die Wirtschaft im Mittelpunkt des 11. Parteitags der KP

Von Thomas Berger *

In Hanoi hat am Mittwoch morgen (12. Jan.) der 11. Parteitag der KP Vietnams begonnen. 1377 Delegierte aus 54000 Parteigliederungen, die mehr als dreieinhalb Millionen Mitglieder repräsentieren, werden bis zum 19. Januar unter anderem darüber beraten, welche Eckpfeiler für ein weiteres Wirtschaftswachstum in dem südostasiatischen Land gesetzt werden sollen. Außerdem wird während des Kongresses die Führungsspitze der Partei gewählt. Dabei soll darauf Wert gelegt werden, daß Frauen, jüngere Genossen sowie Vertreter der nationalen Minderheiten stärker als bisher im Zentralkomitee vertreten sind. Erstmals könnte auch der Generalsekretär der Partei direkt von den Delegierten gewählt werden, was bislang stets die Aufgabe des ZK gewesen war. Zahlreiche Gäste aus dem Ausland verfolgen die Veranstaltung, schließlich ist Vietnam in den zurückliegenden Jahren zu einem wichtigen Faktor im wirtschaftlichen Austausch mit der Region geworden.

Ein Vierteljahrhundert ist es her, seit unter dem Titel »Doi moi« eine Öffnungspolitik eingeleitet wurde. Ähnlich wie beim nördlichen Nachbarn China, zu dem das Verhältnis stets ein zwiespältiges war, ging es der Führung seinerzeit darum, unter Beibehaltung der sozialistischen Orientierung umfassende wirtschaftliche Reformen einzuleiten. Inzwischen ist Vietnam sogar Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO), und auch im Rahmen der ASEAN hat sich Vietnam eng mit seinen südostasiatischen Nachbarn verknüpft. Trotz zwischenzeitlicher Schwankungen und Krisen wächst die vietnamesische Volkswirtschaft seit langem so solide wie kaum eine andere. Auch im vergangenen Jahr hat das Land mit 6,78 Prozent ein spürbares Wachstum hingelegt und wegen eher geringer Verbindungen zum US-amerikanischen Bankensektor auch kaum unter der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise gelitten. Wer durch außenliegende Bezirke der Hauptstadt Hanoi oder die südvietnamesische Wirtschaftsmetropole Ho-Chi-Minh-Stadt fährt, sieht überall Baustellen und neue Hochhäuser, die emporwachsen. Gerade im früheren Saigon ist der Wandel schon im Stadtbild überall unverkennbar. Viele Vietnamesen sind zu Wohlstand gelangt, auch wenn breite Bevölkerungskreise bislang nur unzureichend vom Aufschwung profitieren konnten. Dessen Erlöse besser zu verteilen und eine zu starke soziale Spaltung der Gesellschaft wie nebenan in China zu vermeiden, gehört zu den großen Herausforderungen der Zukunft.

»Nachhaltiges Wachstum« lautet deshalb das Zauberwort für den nächsten Zehnjahrplan 2011 bis 2020. Bis dahin will sich Vietnam zu einem modernen, entwickelten Land mit sozialistischer Marktwirtschaft entwickelt haben. Premierminister Nguyen Tan Dung betonte in der vergangenen Woche noch einmal, daß dabei dem Eindämmen der Inflation besondere Bedeutung zukomme. Diese lag im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 11,75 Prozent. Außerdem sollen der Tourismus, das Transportwesen und andere Branchen angekurbelt sowie die Landwirtschaft modernisiert werden. Für 2011 ist zugleich eine nominelle Verringerung der Armut um zwei Prozent angestrebt. Auch in die Verbesserung der Infrastruktur soll tüchtig investiert werden, und mehr als bisher sollen ökologische Aspekte in Entscheidungen einfließen, der Boom nicht zu Lasten der Umwelt gehen.

Beraten wird der Parteitag mit Sicherheit auch über einen in der Vorwoche präsentierten Plan, bis 2020 mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu erreichen. In zehn Jahren sollen mindestens 35 Prozent der Abgeordneten auf allen Ebenen Frauen sein. Auch innerhalb der Ministerien und staatlichen Institutionen sollen Karrierechancen für Frauen ausgebaut werden, 40 Prozent aller neu geschaffenen Jobs sollen in Zukunft an sie und nationale Minderheiten gehen.

* Aus: junge Welt, 13. Januar 2011


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