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Gerechtigkeit für Agent-Orange-Opfer verlangt

SODI unterstützt Kampagne für eine Zivilklage gegen US-Hersteller des Giftstoffes

Von Ilona Schleicher *

Seit zehn Jahren realisiert der Solidaritätsdienst-international e. V. (SODI) ein integriertes Minenaktionsprogramm in Vietnam. Es verbindet die Beseitigung explosiven Kriegsschrotts mit Entwicklungsprojekten und mit Hilfe für Opfer von Minen und Blindgängern sowie des Entlaubungsgifts Agent Orange. Zur Unterstützung einer Zivilklage vietnamesischer Agent-Orange- Opfer gegen US-amerikanische Produzenten hat SODI eine Unterschriftenkampagne gestartet.

Nguyen Thi Di zittert vor Anstrengung, als sie sich am Türpfosten hochzieht. Die 40-jährige zarte Frau lächelt, als sie es geschafft hat. Der Bruder geleitet sie fürsorglich zu einer Bank; er weiß, wie schnell die Kräfte seine Schwester verlassen. Neffen und Kinder aus der Nachbarschaft versammeln sich um die beiden Geschwister.

Nguyen Thi Di wird nie eigene Kinder haben. Das von der US-Airforce während des Vietnamkriegs eingesetzte dioxinhaltige Entlaubungsgift Agent Orange hat ihren Körper krank und schwach gemacht. Die Familie hat sie immer mit Liebe und Fürsorge umgeben – und ist dabei arm geblieben. Sie gehört zu den 320 Familien mit Opfern von Agent Orange sowie von explosiven Hinterlassenschaften des Krieges, denen SODI gemeinsam mit der Vietnamesischen Vaterlandsfront zu einem wetterfesten Haus und einem Kleinkredit für die Anschaffung von Vieh verhilft. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert. Bis Ende Mai hatten bereits 70 Familien ein festes Dach über dem Kopf. Ohne Nachbarschaftshilfe in den Gemeinden wären diese Ergebnisse in der kurzen Zeit seit Projektbeginn Ende 2007 nicht denkbar gewesen.

Allein in Quang Tri sind 15 451 Opfer von Agent Orange registriert, 2290 Menschen starben hier bereits an den Folgen des Gifts. Es war von den Kriegsherren des Weißen Hauses bei den Konzernen Dow Chemical, Monsanto und anderen Produzenten bestellt und von der US Air Force aus orangefarbenen Behältern über den Wäldern und Feldern von Vietnam, Laos und Kambodscha versprüht worden, um den Befreiungskräften das dichte Blätterdach über dem Ho-Chi-Minh-Pfad zu nehmen.

Menschen, über die sich der giftige Nebel legte, starben oder wurden krank, erlitten Schädigungen des Erbgutes. Viele Neugeborene kommen auch drei Generationen nach dem Krieg noch mit schweren Missbildungen zur Welt. In ganz Vietnam leiden etwa drei Millionen Menschen unter den Folgen.

Die Vietnamesische Vereinigung der Opfer von Agent Orange (VAVA) hat 2004 mit Hilfe vietnamesischer und spezialisierter Anwälte aus den USA, die aus Solidarität mit den Opfern bislang ohne Honorar arbeiten, eine Zivilklage gegen Herstellerfirmen des Entlaubungsgifts angestrengt. Nachdem die Klage ein Jahr später in erster Instanz abgewiesen wurde, hat ein Bundesappellationsgericht in New York am 22. Februar 2008 dieses Urteil bestätigt. »Wir werden unter keinen Umständen locker lassen«, hatte VAVA-Rechtsanwalt Le Duc Tiet gegenüber SODI wenige Tage vor diesem – wie erwartet – negativen Verdikt angekündigt.

VAVA begrüßte die Absicht von SODI, mit seinen Mitteln und Möglichkeiten zur internationalen Solidaritätsbewegung für Gerechtigkeit und Entschädigung der Opfer von Agent Orange in Vietnam beizutragen. Wie die Friedens-, Freundschafts- und Solidaritätsorganisationen Vietnams unterstützt auch SODI die Entscheidung von VAVA, die Klage nunmehr vor das Oberste Gericht der USA zu bringen. Ein Appell der Organisationen erinnert daran, dass US-Chemieunternehmen die Folgen von Agent Orange und ihre daraus abgeleitete Verpflichtung de facto anerkannt haben, als sie 1984 in einem außergerichtlichen Vergleich 180 Millionen Dollar an ehemalige US-Soldaten bezahlten. Monsanto und Dow Chemical stellten kürzlich auch sechs Millionen Dollar für die medizinische Betreuung südkoreanischer Vietnamkriegsveteranen zur Verfügung.

1996 hatte die US-Regierung die Auswirkungen von Agent Orange zugegeben und sich bei den USVeteranen für dessen Einsatz entschuldigt. All dies unterstreicht die Fragwürdigkeit juristischer Winkelzüge, mit denen die völkerrechtliche Begründung der Klage von VAVA zurückgewiesen wird und vietnamesischen Opfern Gerechtigkeit und eine angemessene Entschädigung verweigert werden. SODI hat sich deshalb nachdrücklich dem Appell europäischer Freundschaftsgesellschaften mit Vietnam, die sich schon über Jahre für die Opfer von Agent Orange engagieren und die Anstrengung der Zivilklage solidarisch begleiten, angeschlossen.

* Aus: Neues Deutschland, 9. August 2008>


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