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Als David über Goliath triumphierte

Vor 40 Jahren wurde das Pariser Friedensabkommen unterzeichnet, das den Vietnamkrieg beendete

Von Hellmut Kapfenberger *

Nach jahrelangen zähen Verhandlungen und etlichen erpresserischen Versuchen der Regierung in Washington, der Gegenseite mit massiver militärischer Gewalt Bedingungen für einen Friedensschluss zu diktieren, konnte am 27. Januar 1973 in Paris das Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam unterzeichnet werden. Die Außenminister der Demokratischen Republik Vietnam (DRV) und der USA, Xuan Thuy und William P. Rogers, setzten ihre Namenszüge unter ein Dokument, das von den Gegnern des Aggressionskrieges auf der indochinesischen Halbinsel mit erkämpft worden war und von der demokratischen Weltöffentlichkeit leidenschaftlich begrüßt wurde. Ein zweites Exemplar signierten die legendäre Nguyen Thi Binh, Außenministerin der Provisorischen Regierung der 1969 für die damals bereits befreiten Gebiete im Landessüden proklamierten Republik Südvietnam (RSV), und der Außenminister des als Republik Vietnam firmierenden Saigoner Regimes, Tran Van Lam.

Die Unterzeichnungszeremonie in einer Kongresshalle der französischen Hauptstadt war Ausdruck des auf den Schlachtfeldern errungenen und von weltweiter Solidarität getragenen Triumphes des vietnamesischen Volkes über die stärkste imperialistische Macht. Von einem historischen Tag war allerdings am 27. Januar, einem normalen Arbeitstag, in Hanoi auch wegen des Zeitunterschieds noch nichts zu spüren. Am Sonntag aber präsentierte sich die Metropole am Roten Fluss in einem über Nacht angelegten Festkleid. Zur abendlichen Großkundgebung zogen »20 000 Vertreter der fast 300 000 Werktätigen Hanois«, wie es in den Medien hieß, unter einem Wald von Transparenten, Fahnen und Ho-Chi-Minh-Porträts im Zentrum Hanois auf. Freude und Stolz gaben der Kundgebung das Gepräge. Natürlich war mehr von Sieg als von Opfern, Leid und Trauer die Rede, wurde die politische und moralische Niederlage der USA auch als eine militärische gewertet.

Präsident Lyndon B. Johnson, auf dessen Befehl hin im August 1964 nach dem von der USA-Marine inszenierten sogenannten »Zwischenfall im Golf von Tonkin« die Kriegshandlungen gegen Nordvietnam aus der Luft und von See her begonnen hatten, streckte bereits Anfang 1967 erstmals seine Fühler in Richtung Nordvietnam aus. Vergebens, denn die Bereitschaft zu »direkten Gesprächen« verband er nicht mit der von Hanoi geforderten bedingungslosen Einstellung der Kriegshandlungen gegen den Norden, wohl aber mit dem Verlangen an die Regierung der DRV, die Unterstützung des Kampfes im Süden einzustellen. Der Krieg ging im ganzen Land verstärkt weiter.

Am 31. März 1968 ordnete Johnson jedoch die Einstellung der Angriffe auf das Gebiet der DRV nördlich des 20. Breitengrades an und erklärte Gesprächsbereitschaft. Anlass dafür waren das Ausbleiben durchschlagender Erfolge beim systematisch intensivierten Feldzug in Südvietnam, der unüberhörbare Proteste in der ganzen Welt und den USA selbst gegen den Krieg sowie die anstehenden US-Präsidentschaftswahlen. Hanoi reagierte postwendend positiv. So konnten am 12. Mai 1968 in Paris vorbereitende Gespräche zwischen beiden Seiten aufgenommen werden.

Doch der am 20. Januar 1969 in das Weiße Haus eingezogene neue Präsident Richard Nixon wollte den Krieg fortsetzen. Sein Sicherheitsberater Henry Kissinger, US-Chefunterhändler, ließ Möglichkeiten für einen »brutalen, entscheidenden Schlag« prüfen. Denn: »Ich weigere mich zu glauben, dass eine viertklassige Macht wie Nordvietnam nicht an irgendeinem Punkt aufgeben muss.«

Am 14. Mai verkündete Nixon die »Vietnamisierung« des Krieges durch schrittweise Herauslösung der Bodentruppen der USA und ihrer SEATO-Verbündeten aus den Kämpfen in Südvietnam. Es kam zu jahrelangem erbitterten Pokern am Verhandlungstisch und in inoffiziellen Gesprächen. Spätestens Ende 1971 ließ ein Patt in der militärischen Auseinandersetzung klar werden, dass nur ein Kompromiss beider Seiten dem Krieg ein Ende setzen konnte. Dennoch wagten Ende 1972 die USA noch einmal »drastische Maßnahmen« (Kissinger). Vom 18. Dezember bis zum 29. Dezember durchlitt Nordvietnam eine beispiellose Bombardierungskampagne. Dieser Wahnsinn hat den ursprünglich bereits für den 30. Oktober vereinbarten Unterzeichnungsakt in Paris nur um drei Monate verzögert. Aber zu welchem Preis!

* Aus: neues deutschland, Samstag, 02. Februar 2013


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