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Charisma statt Wirtschaftsstrategie

Die Sozialwissenschaftlerin Margarita López Maya über strukturelle Probleme der venezolanischen Ökonomie *


Venezuela kämpfte zuletzt mit den Folgen von Devisenknappheit. Mangels verfügbarer Dollars konnten Importe nicht bezahlt werden, weshalb es selbst an Lebensmitteln fehlte. Am Montag lockerte die Regierung das starre Wechselkurssystem – es kam sofort zur drastischen Abwertung der Währung von 89 Prozent. Mit Margarita López Maya, Sozialwissenschaftlerin am Forschungszentrum für Entwicklung der Zentraluniversität von Venezuela, sprach Knut Henkel über finanzielle und wirtschaftliche Probleme des Landes.


Es mehren sich die Indizien, dass der venezolanische Staat nicht sonderlich liquide ist. Panamas Präsident hat Caracas aufgefordert, 900 Millionen US-Dollar Schulden zurückzuzahlen, und auch die Lufthansa soll Außenstände von 100 Millionen Dollar in Venezuela haben. Hat die Regierung von Präsident Nicolás Maduro ein Finanzproblem?

Ja, definitiv. Bester Beleg dafür ist die Einführung eines neuen Wechselkurssystems namens »Sicad II«. Dieses könnte eine Antwort auf die extreme Diskrepanz zwischen dem offiziellem Wechselkurs (für den Import lebenswichtiger Güter, d.Red.) von zuletzt einem US-Dollar zu 6,3 Bolívares fuertes und dem Schwarzmarktkurs (1:80) sein. Auch der zweite Wechselkurs (für bestimmte Wirtschaftsbranchen wie den Tourismus, d.Red.) war nicht sehr erfolgreich und lag zuletzt bei einem Kurs von 1:11 Bolívares fuertes.

Ist die finanzielle und wirtschaftliche Situation so prekär?

Ja. Ein Indiz dafür ist auch die Tatsache, dass Venezuela seine Schulden nicht mehr bezahlt. Die Regierung von Nicolás Maduro feilscht seit Monaten mit Panama um die Begleichung unbezahlter Rechnungen. Das schafft sicherlich kein Vertrauen in Venezuelas Liquidität und wirft ein negatives Licht auf unsere Wirtschaft.

Ist die Wirtschaft von den zahlreichen Protesten lahmgelegt, wie die Regierung erklärt, oder geht es um strukturelle Defizite?

In den Supermärkten gibt es derzeit nichts zu kaufen und vor allem im Osten der Hauptstadt ist fast alles paralysiert. In den Geschäften sieht man häufig lange Schlangen und die Verteilung der Lebensmittel funktioniert nicht gut. Auch der öffentlichen Nahverkehr ist beeinträchtigt.

Sind denn auch U-Bahn-Stationen geschlossen?

Ja, in Vierteln wie Altamira, Parque del Este, aber auch in Städten im Landesinnern wie San Cristobal oder Valencia funktioniert der öffentliche Nahverkehr nur rudimentär.

Wo liegen die Ursachen der Wirtschaftskrise?

Viele strategisch wichtige Unternehmen Venezuelas wurden verstaatlicht. Aber es hat bislang schlicht nicht geklappt, sie vernünftig zu managen – viele wurden unproduktiv, schlitterten in die Pleite. Das gilt für große Agrarunternehmen, für Maismühlen, Zementwerke und viele andere Unternehmen – das ist eine Tragödie und da herrscht eine unglaubliche Inkompetenz und Bürokratie.

Venezuela hat mit die höchsten Erdölreserven weltweit. Warum reichen die Petro-Dollars nicht aus, den Staatshaushalt im Lot zu halten?

In den letzten Jahren ist die Produktivität in Venezuela immer tiefer gesunken. Es wird kaum mehr etwas produziert, rund 95,5 Prozent unserer Exporte entfallen auf Erdöl. Zudem wurden immer wieder große Summen für die »Misiónes« (Sozialprogramme) mobilisiert, die aus den Erdöleinnahmen bestritten werden. Zu den Wahlen im Jahr 2012 waren es ein Wohnungsbauprogramm und ein Programm zur besseren Ausstattung der Wohnungen. Diese sorgten dafür, dass der Staat über kaum mehr liquide Mittel verfügte. So wurden die Wahlen aber gewonnen.

Die berühmten »Misiónes« im Gesundheits- und Bildungsbereich wurden zu Beginn dieses Jahrtausends parallel zu den bestehenden Strukturen in diesen Sektoren aufgelegt. Existieren diese kostspieligen Doppelstrukturen heute noch?

Ja, und es werden auch weiter Mittel bereitgestellt für »Misiónes«, die schlicht ineffektiv arbeiten. Zum Beispiel ist das Lebensmittelprogramm »Mercal« sehr teuer und ineffektiv. Zudem gibt es im Erdölsektor seit Jahren Probleme mit der Raffineriekapazität. Grundsätzlich basierte die Regierung Hugo Chávez auf seinem Charisma, nicht aber auf einer langfristigen Wirtschaftsstrategie, denn es wurde kaum Wert darauf gelegt, eigene Leute auszubilden und einen Management-Nachwuchs heranzuziehen, der den nationalen Erdölkonzern PdVSA und andere Unternehmen effektiv führt. Die Zahl der Angestellten der PdVSA hat sich seit 2002 mehr als verdoppelt. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass es kaum gute Jobs gibt und dass viele Arbeitsplätze über die Kontakte in den Staatsapparat vergeben werden

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. März 2013


Druck auf Venezuelas Rechte

Südamerikas Außenminister in Caracas. Oppositionsführerin verliert Abgeordnetenmandat **

Die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) stellt sich an die Seite der Regierung Venezuelas. Am Dienstag sind in Caracas die Außenminister der Organisation zusammengekommen, um an der von Präsident Nicolás Maduro angeregten »Nationalen Konferenz für den Frieden und das Leben« teilzunehmen. Wie Ecuadors Chefdiplomat Ricardo Patiño erklärte, wollen die Minister vor allem die führenden Vertreter der Opposition in Venezuela dazu bewegen, an diesen Gesprächen zur Beendigung der politischen Krise teilzunehmen. Bislang hat das Oppositionsbündnis MUD Bedingungen für eine Beteiligung gestellt, die die Regierung nicht akzeptieren wollte. Die seit Mitte Februar anhaltenden gewaltsamen Proteste in Venezuela haben bislang mindestens 32 Menschenleben gefordert. Die Entsendung der Ministerdelegation war am 12. März beim Gipfeltreffen der UNASUR in Santiago de Chile vereinbart worden.

Ins Aus manövriert hat sich derweil die Oppositionspolitikerin María Corina Machado. Wie Parlamentspräsident Diosdado Cabello am Montag (Ortszeit) mitteilte, ist sie kein Mitglied der Nationalversammlung mehr. Machado habe ihr Abgeordnetenmandat verloren, als sie einen Posten in der Regierung Panamas angenommen habe. Tatsächlich hatte Panama im Vorfeld einer Tagung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) am Freitag in Washington Machado akkreditiert – und zwar »ab diesem Datum (20. März) als stellvertretende Repräsentantin der Delegation der Republik Panama bei der OAS«. Die Verfassung Venezuelas verbietet Abgeordneten jedoch die Übernahme von Ämtern, Ehrungen oder Zahlungen ausländischer Regierungen ohne vorherige Genehmigung durch die Nationalversammlung.

Venezuela hatte die Beziehungen zu Panama Anfang März abgebrochen, nachdem dessen Regierung versucht hatte, das Kabinett von Nicolás Maduro durch die OAS verurteilen zu lassen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 26. März 2013


Mandat verloren

Parlament Venezuelas bestraft Abgeordnete ***

In Venezuela hat die oppositionelle Parlamentsabgeordnete María Corina Machado ihr Mandat eingebüßt. »Sie ist keine Abgeordnete mehr«, sagte Parlamentspräsident Diosdado Cabello am Montag (Ortszeit). Machado habe am Freitag auf Einladung Panamas und ohne Genehmigung der Nationalversammlung an einem Treffen der Organisation Amerikanischer Staaten in Washington teilgenommen, hieß es zur Begründung. Machado habe ihre parlamentarische Immunität verloren und könne jederzeit ohne Vorankündigung festgenommen werden, erklärte Cabello.

Vorige Woche hatte sich das Parlament in Caracas dafür ausgesprochen, im Zusammenhang mit den Protesten Ermittlungen gegen Machado wegen »Landesverrats, Terrorismus und Totschlags« einzuleiten. In der vergangenen Woche waren bereits zwei Politiker der rechten Opposition unter dem Vorwurf der Anstachelung zu einem Aufstand beziehungsweise der »Missachtung von Amtspflichten« festgenommen worden – Daniel Ceballos, Bürgermeister von San Cristóbal und Miguel Rodríguez, Bürgermeister von San Diego.

Die Aberkennung ihres Parlamentssitzes zeige, wie »schwach und verzweifelt« die Regierung sei, sagte Machado in Lima. Sie betrachte sich weiter als Abgeordnete der Nationalversammlung. Die Repressionen der Regierung verleihe den Gegnern Maduros »weitere Kraft, um diesen Kampf fortzusetzen«.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. März 2013


Hardlinerin

Von Martin Ling ****

Klein beigeben ist ihre Sache nicht: »Ich bin María Corina Machado, ich bin und bleibe Abgeordnete der Nationalversammlung in Venezuela. Ich kenne meine Pflichten und Rechte gut und werde weiterkämpfen, und als Abgeordnete in diesen schrecklichen Stunden der Repression in Venezuela weiter arbeiten.« So reagierte die Hardlinerin der rechten venezolanischen Opposition auf die Entscheidung des Parlamentspräsidenten Diosdado Cabello, ihr das Mandat zu entziehen, weil sie ohne Genehmigung der Nationalversammlung an einem Treffen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Washington teilgenommen hatte.

Machado weilte an jenem Montagabend auf einem Polittreffen in Peru, das von dem Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa eröffnet wurde, der seine eigenen politischen Ambitionen inzwischen begraben hat, aber nach wie vor einer der Lautsprecher der Neoliberalen in Lateinamerika ist. Machado ist nicht nur neoliberal, sondern im Gegensatz zu Vargas Llosa auch undemokratischen Methoden nicht abhold. Nach den Wahlen im April 2013 in Venezuela, die Nicolás Maduro zwar knapp, aber allgemein und international anerkannt gewonnen hatte, wollte sie die Niederlage nicht anerkennen. Dabei war sie selbst gar nicht gegen Maduro angetreten, sondern musste schon in der Vorauswahl der venezolanischen Opposition frühzeitig die Segel streichen, weil der »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD) mit Henrique Capriles auf den Kandidaten setzte, der zumindest rhetorisch die Errungenschaften der bolivarianischen Revolution nicht in Abrede stellen wollte, um mehrheitsfähig zu werden.

Machado ist für eine taktische Rhetorik nicht bekannt, sie sagt, was sie will: Weg mit dem »illegalen Regime« Maduros, lautet ihre Devise seit den Wahlen im April 2013. Seit Wochen gehört sie zu den Organisatoren der Demonstrationen gegen die Regierung und gewinnt so im Oppositionslager an Profil. Ob ihr der Mandatsverlust bei dieser Strategie nicht sogar zupass kommt, wird sich alsbald zeigen. Auf einen Sieg an den Urnen setzte sie bisher ohnehin nicht.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. März 2013




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