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Generäle unter Putschverdacht

Venezuelas Präsident Maduro gab Festnahme von drei Militärs vor UNASUR-Vermittlungskommission bekannt

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Wegen mutmaßlicher Konspiration und Beteiligung an Putschplänen sind in Venezuela drei Generäle festgenommen worden.

In Venezuela sind erstmals seit Beginn der Proteste hochrangige Militärs unter dem Vorwurf des Putschversuchs verhaftet worden. »Drei Generäle, die versuchten, dass die Luftwaffe sich gegen die legitime Regierung erhebt«, verkündete Präsident Nicolás Maduro, seien bereits in der Nacht zum Montag festgesetzt worden. »Diese Generäle haben gesagt, dies sei die entscheidende Woche, um den Staatsstreich in Venezuela zu vollbringen«, erklärte Maduro.

Der Putschversuch sei jedoch durch die Wachsamkeit jüngerer Offiziere aufgedeckt worden. »Sie haben uns alarmiert. Die festgenommene Gruppe hat direkte Verbindungen zum rechten politischen Sektor«, sagte Maduro. Die Namen der Verhafteten nannte er nicht. Nur, dass sie bereits der Justiz überstellt wurden.

Nach Angaben der Zeitung »Ultimas Noticias« handelt es sich um die drei Brigadegeneräle der Luftwaffe Osvaldo Hernández Sánchez, José Daniel Machillanda Díaz und Carlos Alberto Millán Yaguaracuto. Das Blatt beruft sich auf eine Quelle aus dem Militär. Die drei sollen in Arrestzellen beim militärischen Abwehrgeheimdienst DIM untergebracht sein.

Hernández Sánchez war Vizeminister für Wehrerziehung und soll der Chef der Gruppe sein. Machillanda Díaz war dem Generalkommando der Luftwaffe in der zentralen Basis La Carlota bei Caracas zugewiesen und von dort in die zentralvenezolanische Region Los Llanos versetzt worden. Millán Yaguaracuto war in einem Außenposten des Strategischen Einsatzkommandos der Luftwaffe tätig. Mehr ist bisher nicht bekannt.

Zufall oder Absicht? Präsident Maduro machte die Verhaftungen bei der ersten Sitzung der UNASUR-Außenministergruppe bekannt. Die Union Südamerikanischer Staaten hatte angesichts der andauernden Proteste in Venezuela Mitte März die Entsendung einer Vermittlungskommission beschlossen, die aus den Außenministern der zwölf Mitgliedsstaaten besteht. Die Kommission war am Dienstag in Caracas erstmals zusammengekommen. Dabei schlug ihr Maduro vor, sich mit der nationalen Friedenskonferenz zusammenzuschließen. Maduro selbst hatte dieses Dialogforum eingerichtet, das aber vom Großteil der Opposition abgelehnt wird.

Die Vermittlungskommission hatte sich am Dienstagabend auch mit Vertretern der Opposition getroffen. »Die Außenminister haben lange zugehört. Wir haben ihnen erzählt, was wir auch den Menschen in Venezuela immer sagen«, berichtete Ramón Guillermo Aveledo, der Sekretär des Tisches der Nationalen Einheit, eines Zusammenschlusses der Oppositionsparteien. Ein weiteres Treffen der UNASUR-Kommission mit den Abgeordneten der Opposition in der Nationalversammlung sei vereinbart worden, gab Avelado bekannt.

Bei den seit Anfang Februar anhaltenden Protesten gegen die Regierung, ausgelöst unter anderem durch Versorgungsengpässe, die Inflationsrate von über 50 Prozent und die ausufernde Kriminalität, sind inzwischen 36 Menschen ums Leben gekommen, teilte Generalstaatsanwältin Luisa Ortega mit. Vor wenigen Tagen hatte Ortega erstmals auch Übergriffe durch Polizei, Nationalgarde und Geheimdienst eingeräumt. Inzwischen sollen in 60 Ermittlungsverfahren illegale und unverhältnismäßige Gewaltanwendungen von Einsatzkräften untersucht werden.

Derweil wurde der Bürgermeister der Provinzhauptstadt San Cristóbal, einer Hochburg der Opposition im Bundesstaat Táchira, in einem schnellen Verfahren vom Obersten Gerichtshof zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Daniel Ceballos war vor gut einer Woche verhaftet worden. Ihm wird vorgeworfen, gewaltsame Ausschreitungen und Blockaden unterstützt zu haben, anstatt polizeilich gegen die Unruhestifter vorzugehen. Ceballos ist bereits der zweite Bürgermeister, den eine solche Verurteilung trifft.

Die neoliberale Oppositionsabgeordnete Corina Machado kündigte indes in Peru an, dass sie nach Venezuela zurückkehren werde, obwohl der sozialistische Parlamentspräsident Diosdado Cabello erklärt hatte, dass sie in der Nationalversammlung keinen Sitz mehr habe. Hintergrund ist die scharfe Kritik Machados an der Regierung, ihre Beteiligung an der Organisation der Proteste und an einer Konferenz der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 27. März 2013


"Es gibt keinen menschlichen Kapitalismus"

In Venezuela gibt es keine Wirtschaftskrise. Währungsprobleme müssen gelöst werden. Gespräch mit Bernardo Álvarez **

Bernardo Álvarez ist seit Herbst 2013 Generalsekretär der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA). Diesem Bündnis gehören unter anderem Venezuela, Kuba, Ecuador, Bolivien und Nicaragua an.

Die Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas, ALBA, ist das einzige Staatenbündnis weltweit, das sich selbst als sozialistisch versteht. Was bedeutet das für Sie?

Zu Beginn war die ALBA eine Organisation, die den Kapitalismus abgelehnt hat, denn uns ist bewußt geworden, daß der Kapitalismus schädlich für unsere Länder ist. Der Kapitalismus wird nie anders sein, denn es gibt keinen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz. Wir haben also festgestellt, daß wir echte Alternativen brauchen, die den Kampf um die Unabhängigkeit mit einem Wiederaufbau der Handlungsfähigkeit der Staaten und Regierungen kombiniert. Dazu gehört die Einbeziehung der Ausgegrenzten, der Armen, der Landbevölkerung, der Indígenas und die Entwicklung alternativer Eigentumsformen. Aber schon die Klassiker des Marxismus haben festgestellt, daß dies eine sehr lange Übergangsphase ist, in der noch Formen und Mechanismen des alten Modells existieren. Es kommt darauf an, in großem Umfang die Produktionskräfte zu entwickeln, um aus einer solchen Position der Stärke heraus zu einer anderen Gesellschaft voranschreiten zu können.

Gegründet wurde die ALBA 2004 von Kuba und Venezuela. In diesem Land wird derzeit jedoch eher über wirtschaftliche Schwierigkeiten gesprochen, etwa die hohe Inflation oder die Probleme bei der Lebensmittelversorgung …

Die Lage in Venezuela ist keine Wirtschaftskrise. In Venezuela herrscht eine Krise des Währungs- und Umtauschsystems. Die Inflation und die Schwierigkeiten mit den Warenlieferungen hängen direkt mit dieser Währungskrise zusammen. Es kommen mehrere Faktoren zusammen: Maßnahmen, die nicht rechtzeitig ergriffen wurden, und andere, die noch Zeit brauchen, um wirken zu können. Hinzu kommen Fälle von Sabotage sowie viel Spekulation und Schmuggel. Das hat eine komplizierte Situation provoziert. Das sind auch strukturelle Herausforderungen, denen sich eine Erdölwirtschaft wie die unsere stellen muß, wenn sie den Sozialismus aufbauen will. Es geht darum, die Abhängigkeit von den Erdöleinnahmen zu überwinden.

Bevor Sie Generalsekretär der ALBA wurden, haben Sie zahlreiche andere Ämter ausgeübt. 2002, während des Putsches gegen Hugo Chávez, waren Sie der für Erdöl zuständige Vizeminister im Bergbauministerium. Sie stehen also schon lange in der ersten Reihe des Kampfes …

Sagen wir: in der zweiten Reihe. In der ersten stand Hugo Chávez.

Einverstanden. Aber schon damals gingen die Auseinandersetzungen vor allem um den staatlichen Erdölkonzern PDVSA. Zu welchen Schlüssen kommen Sie, wenn Sie die Lage von damals mit der Situation heute vergleichen?

Die Lage ist vollkommen anders. Damals stand die gesamte Erdölbürokratie gegen uns, ebenso große Teile der Streitkräfte. Davon ist heute nichts zu sehen.

Anfang März hat ein aus Deutschland stammender Universitätsprofessor, der in den Medien gerne als ehemaliger Berater von Hugo Chávez ausgegeben wird, in einem Interview erklärt, Nicolás Maduro werde sich nur noch maximal acht Wochen an der Macht halten können. Die Hälfte dieser Frist läuft gerade ab. Was halten Sie von solchen Prognosen?

Ich glaube, Präsident Maduro hat mutig einen Kurs eingeschlagen, der ihn erfolgreich durch die schwierige Phase des revolutionären Prozesses nach dem frühen Tod des Präsidenten Hugo Chávez geführt hat. Ich denke, daß er sein Amt großartig führt. Alles andere sind Einzelmeinungen von Leuten, die glauben, die Wahrheit gepachtet zu haben.

Interview: André Scheer

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. März 2013


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