Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gewaltsame Sticheleien

Malte Daniljuk über die Proteste in Venezuela und einen Putsch in der Oppositionsbewegung *

Ein Teil der venezolanischen Opposition versucht die aktuellen Studentenproteste auszunutzen, um erneut die Machtfrage auf die Straße zu tragen. Bereits nach ihrer knappen Wahlniederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2013 hatten Politiker wie Leopoldo López und María Corina Machado zu gewalttätigen Straßenprotesten aufgerufen. Anlass war damals ein angeblicher Wahlbetrug durch die bolivarische Regierung. Nach einer kompletten Neuauszählung der Stimmen lösten sich die Vorwürfe in Luft auf. Zurück blieben zehn Tote – ausnahmslos Unterstützer der linken Regierung.

In den vergangenen Wochen eskalierten im Westen des Landes die Studentenproteste. Eigentlich handelt es sich dabei um althergebrachte Rituale an den Hochschulen: Kleine radikale Gruppen stürmen aus den Hochschulen, blockieren die Straßen und verwickeln die Polizei in Straßenschlachten. Wenn die Einsatzkräfte nicht mitspielen wollen, beginnen die Aktivisten mit scharfer Munition herumzuballern. Spätestens jetzt erscheinen die Ordnungshüter. In den vergangenen Jahren kamen bei diesen gefährlichen Spielchen mehrere Studenten durch Schüsse ihrer Kommilitonen ums Leben.

Zuletzt wuchsen sich die Proteste allerdings aus und griffen am vergangenen Mittwoch auf die Hauptstadt Caracas über. Ein Grund dafür ist sicher eine verbreitete Unzufriedenheit mit der wirtschaftspolitischen Situation, etwa der hohen Inflationsrate. Ein weiterer Grund mag sein, dass die Polizei teilweise unverhältnismäßig hart gegen Demonstranten vorging. In zahlreichen Städten sollen Protestierende durch Plastikschrotmunition teilweise schwer verletzt worden sein. Ob dafür die linke Regierung verantwortlich zu machen ist, kann jedoch bezweifelt werden. Die Polizeieinheiten der betreffenden Bundesstaaten unterstanden bis zu deren Wahlniederlage vor 14 Monaten Gouverneuren aus dem Oppositionslager.

Ein Teil der Opposition bringt die Gewalt nun erneut auf die Straße. Auch diesmal werden staatliche Gebäude, öffentliche Medien und Gesundheitsstationen attackiert. Machado erklärte, das Land lebe in einer »Tyrannei, einer Castro-kommunistischen Diktatur«. Die »Freiheit« müsse nun auf der Straße erkämpft werden, sagte die rechte Abgeordnete. Bei Auseinandersetzungen zwischen Chavisten und Oppositionellen kamen bisher drei Personen ums Leben: ein Oppositionsanhänger, ein Unbeteiligter und ein Sprecher einer militanten bolivarischen Gruppe.

Die Öffentlichkeit spricht inzwischen von einem Putsch innerhalb der Opposition. Der bisher unumstrittene Führer des rechten Lagers, Henrique Capriles, wandte sich gegen die Proteste. Die Bedingungen für einen Sturz von Präsident Nicolás Maduro seien noch nicht vorhanden, meint er. López und Machado setzen hingegen weiter auf Straßenmobilisierung. Ihr Ziel ist ausdrücklich, die seit 15 Jahren in demokratischen Wahlgängen immer wieder bestätigte linke Regierung zu Fall zu bringen.

Aber die Verhältnisse auf den venezolanischen Straßen sind andere. Niemand profitiert mehr als die Oppositionsanhänger davon, dass sich – trotz der polarisierten öffentlichen Meinung – alle Parteien weitgehend an demokratische Gepflogenheiten halten. Ein Teil der militanten proletarischen Basis des Chavismus reagiert zunehmend gereizt auf den Umstand, dass ihnen eine kleine, weiße und wirtschaftlich privilegierte Minderheit immer wieder mit Konfrontationen droht. Die gewaltsamen Sticheleien einiger Oppositionsanhänger – welche sich öffentlich ansonsten als Gralshüter der Gewaltfreiheit und als Opfer angeblicher Repressionen des Staates inszenieren – könnten die Situation irgendwann zum Entgleisen bringen. Was López, Machado und andere dabei zu vergessen scheinen: Bisher hat ihnen jeder ihrer Versuche, den Chavismus mit nicht legalen Mitteln zu stürzen, geschadet. Der größte Teil der venezolanischen Bevölkerung ist zurecht stolz auf die demokratischen Institutionen des Landes. Und in den Wahlen seit 2005 konnte das Oppositionslager – anders als bei Straßenmobilisierungen – tatsächlich Gewinne verzeichnen.

Insofern ist das Vorgehen der Hardliner im Oppositionslager nicht nur extrem riskant, sondern offensichtlich auch unvernünftig. Das einzige Argument für diese widersinnige Strategie ist die Tatsache, dass einige ihrer Protagonisten sich nicht bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen in fünf Jahren gedulden wollen – um dann auch noch zu riskieren, erneut einer demokratischen Mehrheit zu unterliegen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 19. Februar 2014


Yoanis Weisheiten

Kuba solidarisiert sich mit Regierung Venezuelas. Contras hoffen auf deren Sturz

Von Volker Hermsdorf, Havanna **


Mit einer Solidaritätsveranstaltung im Kubanischen Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) in Havanna haben Gäste der derzeit stattfindenden Internationalen Buchmesse und andere Persönlichkeiten am Dienstag (Ortszeit) ihre uneingeschränkte Unterstützung für das Volk und die Regierung Venezuelas bekräftigt. Auch die Ausstellung in den Mauern der historischen Festungsanlage La Cabaña über dem Hafen der kubanischen Hauptstadt wird von der zugespitzten Lage in dem befreundeten südamerikanischen Land geprägt. Im Namen des Organisationskomitees hatte die Präsidentin des Kubanischen Buchinstituts (ICL), Zuleica Romay, bereits am Wochenende die »Angriffe auf die Stabilität, die soziale Gerechtigkeit und den Frieden« in Venezuela scharf kritisiert. »Wir verurteilen ener­gisch die von verschiedenen Gruppen der venezolanischen Rechten ausgehende faschistische Gewalt«, hieß es in einer auf der Buchmesse veröffentlichten Erklärung des ICL. Diese Gruppen versuchten, heißt es weiter, »im Bündnis mit international agierenden Vertretern der extremen Rechten erneut einen Putsch vorzubereiten«.

Demgegenüber versuchen die mit den Contras in Venezuela verbündeten kubanischen Systemgegner, Öl ins Feuer zu gießen. Als eine der ersten stellte sich die in westlichen Medien gefeierte »Bloggerin« Yoani Sánchez offen auf die Seite der gewalttätigen gegner des gewählten venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro. Zunächst hatte sie über den Internetdienst Twitter die Berichterstattung in den kubanischen Medien über die Ereignisse in Caracas angegriffen und versucht, den Eindruck zu erwecken, daß deren Analysen über den Hintergrund der Auseinandersetzungen gefälscht seien. In einer Mitteilung konstruierte sie eine infame Gleichsetzung der Jugendproteste in Chile mit den Gewaltaktionen in Venezuela: »Wenn Studenten in Chile protestieren, ist es für das offizielle kubanische Fernsehen eine Bürgerbewegung, wenn dasselbe in Venezuela geschieht, nennen sie es Faschismus.«

Natürlich weiß auch Yoani Sánchez, daß die Schüler und Studenten in Chile für ihr Recht auf Bildung auf die Straße gehen, weil ein in weiten Teilen privatisiertes System dort vor allem die ärmere Bevölkerung vom Besuch qualifizierter Schulen und Hochschulen ausschließt. In Venezuela mobilisieren dagegen vor allem Angehörige der Oberschicht und der alten Oligarchie, unterstützt von aus Kolumbien eingeschleusten paramilitärischen Söldnern, um genau das, wogegen die Chilenen sich auflehnen, wieder einzuführen. Tatsachen haben Yoani Sánchez allerdings noch nie interessiert. In weiteren Twitter-Botschaften machte sie dann die kubanische Regierung für die Krise in Caracas verantwortlich: »Venezuela, vieles was dir angetan wird, trägt den unverwechselbaren Stempel vom Platz der Revolution in Havanna«, behauptete sie mit Hinweis auf den dortigen Sitz der Kommunistischen Partei Kubas. »Venezuela, sie wollen mit dir das gleiche machen, was sie mit Kuba angestellt haben«, behauptete die angeblich an Politik nicht interessierte Systemgegnerin.

Mittlerweile ist bekannt, daß die sich selbst stets als »gewaltfrei« bezeichnende Sánchez seit mindestens fünf Monaten in die Absichten der rechten Aktivisten eingeweiht war. Wie das spanische Onlineportal Cubainformación am Montag enthüllte, hatten Sánchez und andere kubanische Systemgegner im September 2013 gemeinsam mit einigen Wortführern der heutigen Putschisten während des von ultrarechten Organisationen veranstalteten XVII. Treffens des »Forums 2000« in Prag Pläne zur Systemveränderung in ihren Ländern geschmiedet. Die Teilnehmer aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas und Europas verabredeten dort eine Koordinierung ihrer Aktivitäten und Medienarbeit, um »im geeigneten Moment« vereint loszuschlagen. Auf dem Podium in Prag saß Yoani Sánchez neben Leopoldo López, berichtete der Journalist Gregorio Salas Ribas. In Venezuela wird López inzwischen wegen Anstiftung und Vorbereitung der gewalttätigen Aktionen der letzten Woche mit Haftbefehl gesucht.

** Aus: junge Welt, Mittwoch 19. Februar 2014


Fünf Millionen Dollar

Venezuela: US-Unterstützung für Regierungsgegner angeprangert. Oppositionspolitiker ruft zu weiteren Protesten auf

Von André Scheer ***


Nach tagelangen Ausschreitungen rechter Oppositionsgruppen war die Lage in Venezuela am Dienstag weiter angespannt. Zwar herrschte in den meisten Stadtvierteln der Hauptstadt Caracas Ruhe, wie Augenzeugen gegenüber junge Welt berichteten, doch in einigen Gebieten hielten die Proteste an. Für Dienstag (Ortszeit) hatte der Chef der Rechtspartei »Voluntad Popular«, Leopoldo López, seine Anhänger zu einer weiteren Demonstration aufgerufen. Deren geplante Route zum Innenministerium im Zentrum von Caracas wurde von Bürgermeister Jorge Rodríguez allerdings untersagt. Zudem sollte am angekündigten Auftaktort, der Plaza Venezuela, zur selben Zeit ein Friedenskonzert stattfinden. Über den Internetdienst Twitter hielt López trotzdem an seinem Aufruf fest: »Wir brauchen keine Genehmigung, über seine Rechte verhandelt man nicht.« Wegen seiner Verwicklung in die gewaltsamen Ausschreitungen der vergangenen Woche wird er von den venezolanischen Behörden mit Haftbefehl gesucht.

Inzwischen verdichten sich die Hinweise darauf, daß die Auseinandersetzungen in Venezuela keine »spontanen Proteste unzufriedener Studenten« sind, wie die meisten westlichen Medien es darstellen. Am Montag abend (Ortszeit) präsentierte der Fernsehmoderator Miguel Ángel Pérez Pirela im staatlichen Fernsehen VTV den Mitschnitt eines Gesprächs zwischen einem im Ruhestand befindlichen General der venezolanischen Streitkräfte und einem Soziologen, der als Berater des Sekretärs des Oppositionsbündnisses MUD, Ramón Guillermo Avaledo, vorgestellt wurde. In der Aufnahme ist zu hören, wie sich die Gesprächspartner darüber unterhalten, daß Demonstrationen im Zentrum von Caracas derzeit unmöglich seien und daß es zur »Plünderung eines großen Einkaufszentrums« kommen werde. Zudem erklären die beiden namentlich nicht genannten Personen offen, daß sich Teile der Opposition den Tod von Leopoldo López wünschten, um für diesen dann die Regierung verantwortlich machen zu können.

Auch Washington ist offenbar wieder in die Destabilisierung Venezuelas verwickelt. Nachdem Präsident Nicolás Maduro am Sonntag die Ausweisung von drei Konsularbeamten der US-Botschaft in Caracas angeordnet hatte, berichtete die US-amerikanische Rechtsanwältin und Publizistin Eva Golinger am Montag, daß die USA allein für 2014 nicht weniger als fünf Millionen Dollar zur Unterstützung der Oppositionsgruppen in dem süd­amerikanischen Land bereitgestellt haben. Das sei zudem nur ein kleiner Teil der Gesamtsumme, mit der »die US-Regierung offen diese Gruppen finanziert«, erklärte sie im Gespräch mit VTV. 2005 war sie international bekannt geworden, als sie über den »Freedom of Information Act« Geheimdokumente veröffentlichen konnte, die eine Finanzierung venezolanischer Oppositionsgruppen durch die US-Administration seit 2001 belegen. Allein in den vergangenen drei Jahren seien den Regierungsgegnern aus Washington sogar mehr als 100 Millionen Dollar zugeflossen, bekräftigte Außenminister Elías Jaua am Montag unter Berufung auf »geleakte« Depeschen von US-Diplomaten. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, wies das zurück. »Die Anschuldigungen, daß die Vereinigten Staaten dabei helfen, Proteste in Venezuela zu organisieren, sind unbegründet und falsch«, erklärte sie.

Der innerhalb der Opposition inzwischen an die Seite gedrängte frühere Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles Radonski distanzierte sich inzwischen vorsichtig von den Aktionen seiner Gesinnungsgenossen. Es sei ein »Fehler« gewesen, unter den unzufriedenen Jugendlichen die Hoffnung zu wecken, durch Demonstrationen einen Sturz der Regierung erreichen zu können, sagte er dem Rundfunksender Unión Radio. »Mutig ist nicht, wer mehr Steine schmeißt oder wer mehr und härter redet oder mehr Drohungen ausspricht. Mutig ist, wer eine andersdenkende Person für seine Ideen gewinnen kann«, sagte er. Den gegenwärtigen Protesten fehle eine verantwortliche Führung.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch 19. Februar 2014


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