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Es geht ums Öl

Venezuela: Berichte internationaler Medien sind manipuliert

Von Modaira Rubio, Barinas *

Zehntausende Arbeiter der venezolanischen Erdölindustrie haben am Dienstag im Zentrum der Hauptstadt Caracas für den Frieden und gegen die gewaltsamen Ausschreitungen der rechten Opposition demonstriert. Offizieller Anlaß für die Großkundgebung am Präsidentenpalast Miraflores war die Unterzeichnung eines zwischen dem Management des Staatskonzerns PDVSA und den Gewerkschaften ausgehandelten Tarifvertrags. Tatsächlich sahen sich die Arbeiter jedoch vor allem durch die Proteste der Regierungsgegner in den vergangenen Tagen herausgefordert. Wenn diese die Herrschaft über Venezuela erlangen könnten, würden sie das Erdöl und andere Bodenschätze des südamerikanischen Landes den USA ausliefern, zeigten sie sich überzeugt.

Dieser Ansicht ist auch der Präsident der venezolanischen Gruppe im Lateinamerikanischen Parlament (Parlatino), Carolus Wimmer. »Die Interessen, die hinter der makabren Strategie der Rechten stehen, könnten die Stabilität der gesamten weltweiten Energieversorgung in Gefahr bringen«, warnte der kommunistische Politiker, der auch die Parlamentskommission für Energie und Bergbau leitet, im Gespräch mit junge Welt. Wenn sich die im Interesse des Imperialismus agierenden Gruppen durchsetzen, wäre »ein weiterer Krieg ums Öl« die Folge, dessen Konsequenzen nicht nur das venezolanische Volk ertragen müßte. »Auch die anderen Länder Lateinamerikas und der Karibik wären davon betroffen.« Deshalb habe sich in den vergangenen Tagen bereits starke internationale Solidarität entwickelt. So hätten sich die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR), die Lateinamerikanische und Karibische Staatengemeinschaft (CELAC) und unzählige fortschrittliche Regierungen, Parteien und Bewegungen mit Unterstützungserklärungen für die Regierung in Caracas und gegen die Gewalt zu Wort gemeldet.

»Was in Venezuela geschieht, ist kein isolierter Vorgang, sondern die Folge einer globalen Verschwörung, die die Stabilität der gesamten Region in Gefahr bringt«, so Wimmer. »Die Regierung des Präsidenten Nicolás Maduro ist vor weniger als einem Jahr rechtmäßig durch das Volk gewählt worden und konnte ihren demokratischen Charakter bei den Kommunalwahlen im vergangenen Dezember bekräftigen, bei denen die revolutionären Kräfte die Mehrheit der Lokalregierungen gewonnen haben. Die Opposition hat an diesen Wahlen teilgenommen und konnte ebenfalls Bürgermeisterämter und Stadtratsmandate erringen«, erinnerte Wimmer. Die Gegner der Zentralregierung hatten unter anderem in Caracas, Maracaibo und Valencia Mehrheiten gewinnen können. Maduro hatte diese Siege seiner Gegner umgehend anerkannt.

Trotzdem berichten die großen internationalen Medien und Nachrichtenagenturen fast ausschließlich über die Proteste der Opposition gegen »Diktatur und Repression« in Venezuela. Es handle sich um die gleichen Manipulationen, wie es sie auch vor den imperialistischen Interventionen in Syrien und Libyen gegeben habe, so Wimmer. »Für die Geopolitik unserer Region ist Venezuela eines der Schlüsselländer. In diesem Teil der Welt ist es uns gelungen, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, während die Rechte der Mehrheit der Bürger in den USA und Europa durch Kürzungen immer weiter eingeschränkt werden.«

Die Proteste der Opposition sind bislang weitgehend auf wenige Teile des Landes beschränkt geblieben. Vor allem in den Mittelschichtsvierteln im Osten von Caracas und den an Kolumbien grenzenden Bundesstaaten Táchira und Zulia kam es zu kritischen Situationen. Deshalb machte Maduro den früheren Präsidenten des Nachbarlandes, Álvaro Uribe, für die Ausschreitungen mitverantwortlich. In den übrigen Regionen Venezuelas herrschen dagegen Ruhe und Normalität, nur die Behinderung von Lebensmittellieferungen durch Autobahnblockaden ist auch dort spürbar. Im Bundesstaat Barinas ist es lediglich in der gleichnamigen, von der Opposition regierten Hauptstadt zu einigen Scharmützeln und kleineren Kundgebungen gekommen. Doch selbst Bürgermeister José Luis Machín nahm nicht an den Demonstrationen teil.

Der von der venezolanischen Justiz gesuchte Oppositionspolitiker Leopoldo López hat sich am Dienstag den Behörden gestellt. Nach einer Kundgebung von Regierungsgegnern in Chacaito im Osten von Caracas begab er sich in die Hände der Beamten und wurde in einem gepanzerten Fahrzeug weggebracht.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Februar 2014


»Die Gewalt geht von kleinen ultrarechten Gruppen aus«

In Deutschland lebende Venezolaner beobachten besorgt die gewaltsamen Proteste der Opposition in ihrer Heimat. Ein Gespräch mit Luiraima Salazar **

Luiraima Salazar ist politische Aktivistin aus Venezuela. Sie vertritt in Deutschland die Jugendorganisation der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas.

Wie nehmen die in Deutschland lebenden Venezolaner die aktuellen Demonstrationen der Opposition in Venezuela wahr?

Wir sind sehr besorgt, vor allem wegen der massiven Gewalt einer kleinen Gruppe der Opposition, die den Willen der Bevölkerung nicht akzeptiert. Diese hat Nicolás Maduro zum Präsidenten gewählt und unterstützt seine Regierung. Die Opposition weiß, daß der einzige Weg, sie abzusetzen, der der Gewalt ist. Sie versuchen, an einzelnen Orten Unruhe zu stiften, die Bilder davon weltweit zu verbreiten und dadurch eine Situation zu schaffen wie in Syrien und Libyen oder in der Ukraine. Auch in Deutschland gibt es eine – wenn auch kleine – venezolanische Diaspora, die diese antidemokratischen Mittel unterstützt. Ich denke, sie sind stark von dem beeinflußt, was die transnationalen Medienkonzerne verbreiten.

Wer steckt hinter den gewaltsamen Protesten?

Die Gewalt geht von kleinen ultrarechten Gruppen aus. Ihr einziges Ziel ist es, die Regierung zu stürzen. Sie wollen die Macht übernehmen, um Venezuela zu dem zu machen, was es früher war: ein abhängiges Land nach den Wünschen der imperialistischen Mächte. Aber die Opposition ist in sich gespalten: Ein Teil von ihr ist zu dem Dialog bereit, den Maduro zu Beginn seines Mandats eröffnet hat. Die venezolanische Regierung hat stets die Diskussion gesucht, auch mit der Opposition.

Wie berichten die internationalen Medien über die Situation in Venezuela?

Sie haben sich teilweise zu Komplizen gemacht. Sie haben mitunter Fotos verwendet, die nicht aus Venezuela, sondern aus Chile oder Ägypten stammen. Damit wollen sie beweisen, daß in Venezuela Menschenrechte verletzt werden – was aber nicht stimmt. Viele Falschmeldungen stammen aus Venezuela selbst und werden von hiesigen Zeitungen weiterverbreitet.

Wie regieren die Solidaritätsgruppen auf diese Art Berichterstattung?

Wir versuchen, die Lügen zu widerlegen, indem wir Dossiers erstellen oder die Manipulation hinter den verbreiteten Fotos aufdecken. Wir wollen diese Informationen möglichst vielen zugänglich machen und verbreiten sie deshalb über die sozialen Netzwerke. In den vergangenen Tagen haben wir daran intensiv gearbeitet, weil die Desinformationskampagne sehr massiv ist. Es gibt leider nur wenige Medien in Deutschland, die in bezug auf Lateinamerika eine objektive Linie vertreten, aber sehr viele, die gegenüber Venezuela negativ eingestellt sind.

Zwischen Oppositionellen und Befürwortern der venezolanischen Regierung gab es am Samstag eine Auseinandersetzung vor dem Generalkonsulat in Hamburg. Was ist genau passiert?

Über Facebook gab es Drohungen gegen unsere diplomatischen Vertretungen in Deutschland. Die Menschen, die die Bolivarische Revolution unterstützen, hatten sich vor dem Konsulat versammelt, um es zu schützen. Die Gegner kamen später, sie waren sehr feindselig gestimmt. Einige haben Maduro mit Hitler verglichen – eine absurde Beleidigung, nicht nur gegen Maduro gerichtet, sondern auch gegen das venezolanische Volk, das ihn gewählt hat. Das führte zu einem Streitgespräch, bei dem die Contras schließlich anerkennen mußten, wie unpassend dieser Vergleich ist. Es gab keine Gewalt. Zwar haben einige Oppositionelle Beleidigungen gerufen, die Unterstützer der Regierung haben sich aber nicht provozieren lassen. Die Polizei hat schließlich beide Gruppen getrennt. Für Freitag ruft die Gruppe Panamerica um 13 Uhr erneut zu einer Solidaritätskundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin auf.

Interview: Lena Kreymann

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Februar 2014


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