Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zwei Monate vor der Entscheidung

Zwei Monate vor der Entscheidung

Von Modaira Rubio, Caracas *

Zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl in Venezuela am 7. Oktober wird das Wettrennen zwischen den beiden wichtigsten Kandidaten – Amtsinhaber Hugo Chávez und dem Vertreter der Rechten, Henrique Capriles Radonski – zunehmend in den Medien ausgetragen. Vor allem die Opposition greife »mehr auf Medienpräsenz als auf Großkundgebungen« zurück, analysierte der Historiker Amílcar Figueroa am Wochenende im Gespräch mit junge Welt. Capriles setzt auf »Spaziergänge«, den Kontakt »Haus für Haus« und kleine Meetings, während große Kundgebungen nicht seine Stärke sind. Er ist kein großer Redner, und seine »Wahlkampfmaschinerie« ist nicht in der Lage, Massen zu mobilisieren. Zudem wird seine Kampagne durch die notorische Zersplitterung zwischen den verschiedenen Teilen des Oppositionsbündnisses »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD) erschwert. Dieses versuche, Vorteile aus in Venezuela existierenden Problemen zu ziehen, analysiert ­Figueroa. So sei die Unsicherheit in den Städten tatsächlich ein Thema, werde von den Medien jedoch aufgebauscht und manipuliert. Das Niveau der Gewalt in der venezolanischen Gesellschaft sei mit dem in Chicago, Mexiko-Stadt oder Rio de Janeiro nicht zu vergleichen, doch in den Massenmedien werde Venezuela als einer der gefährlichsten Orte der Welt präsentiert. Figueroa zufolge »entstaubt« die Opposition zudem alte Forderungen der Arbeiterbewegung und kann sich dabei auf die Amtsführung einiger linker Regionalregierungen stützen, denen tatsächlich Versäumnisse vorzuwerfen sind. »In der Bevölkerung gibt es eine stabile Wertschätzung für Chávez, sein humanistisches Denken und seine Entschlossenheit, dem Volk zu dienen. Deshalb können sie ihn und seine Amtsführung nicht direkt angreifen und wählen darum die bürokratisierten Einrichtungen, in denen es administrative Probleme gibt«, kommentiert Figueroa.

Der Wahlkampf von Amtsinhaber Hugo Chávez hingegen wird seit seiner Rückkehr auf die politische Bühne von einer Reihe großer Kundgebungen im ganzen Land dominiert. Diese erinnern mehr als in den vergangenen Jahren an den Wahlkampf von 1998, als der erstmals antretende Chávez Tausende Menschen spontan begeistern und auf die Straße bringen konnte. Auch in Bundesstaaten wie Zulia und Miranda, die von der Opposition regiert werden, kam es in den vergangenen Wochen zu riesigen Massendemonstrationen bei den Auftritten des Präsidenten.

Zugleich gewinnt der »Krieg der Umfragen« an Schärfe, je näher der Wahltag rückt. Die Familie des Oppositionskandidaten besitzt mit der »Cadena Capriles« selbst ein einflußreiches Medienunternehmen und kann somit die Titelseiten der Zeitungen mit Vorhersagen eines »technischen Gleichstands« oder eines Siegs der Opposition füllen. So erscheint in den Medien plötzlich das Gespenst der »Unentschiedenen« und »Unzufriedenen«, die in letzter Minute die Tendenz umkehren könnten, die allen seriösen und wissenschaftlichen Umfragen zufolge Chávez mit einem Abstand von rund 20 Prozentpunkten vor Capriles sieht.

Vor diesem Hintergrund beharrt dessen Team darauf, Venezuelas Wahlbehörde, den Nationalen Wahlrat (CNE), und dessen Bestimmungen zu mißachten. Figueroa überrascht dies nicht: »Der Präsident wird am 7. Oktober mit großer Mehrheit gewinnen. Die Opposition greift permanent den CNE an, um ihn zu delegitimieren. Am 7. Oktober will sie sich selbst zur Siegerin erklären und von Wahlbetrug sprechen, um ihre Chefs und Verbündeten im Ausland zu Hilfe zu rufen.«

Die große Stärke des Amtsinhabers bestehe hingegen auf dem wachsenden politischen Bewußtsein eines Großteils der Bevölkerung und in den Ergebnissen seiner bisherigen Amtszeit, vor allem im Transfer der Erdöleinnahmen in Sozialausgaben, aus denen die Garantie einer kostenfreien Gesundheitsversorgung, das Recht auf Lebensmittelsicherheit und nun mit großem Erfolg das Recht auf angemessenen Wohnraum finanziert werden. »Die Bolivarische Regierung hat bereits mehr als 300000 Wohnungen übergeben, Tausende weitere sind im Bau. Diese Tatsachen, zusammen mit Erfolgen zum Beispiel bei der Sportförderung, haben das Wachstum der Opposition unter der Jugend, den Frauen und in der Mittelschicht gestoppt«, so Figueroa.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 7. August 2012


Zurück zur Venezuela-Seite

Zurück zur Homepage