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Der Countdown läuft

In einem Jahr wird in Venezuela gewählt. Hugo Chávez liegt in Umfragen klar vorne aber auch die Opposition macht mobil

Von André Scheer *

Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen in Venezuela bleibt Amtsinhaber Hugo Chávez der klare Favorit. Einer am Donnerstag (6. Okt.) von der Tageszeitung Correo del Orinoco veröffentlichten Meinungsumfrage des regierungsnahen Instituts GIS-XXI zufolge würde Chávez derzeit 58 Prozent der Stimmen erreichen. Auf alle Vertreter der Opposition, die derzeit noch um die Nominierung eines gemeinsamen Kandidaten streiten, würden demnach zusammengenommen 26 Prozent entfallen. Als populärster Regierungsgegner gilt demnach der derzeitige Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles Radonski, auf den acht Prozent der Stimmen entfallen würden. Der Nationale Wahlrat (CNE), die oberste Wahlbehörde des südamerikanischen Landes, hat als Termin für die Abstimmung den 7. Oktober kommenden Jahres festgelegt. Einige Wochen später, am 16. Dezember 2012, finden Regionalwahlen statt, bei denen über die Gouverneure und Parlamente der Bundesstaaten Venezuelas entschieden wird. Der Zyklus wird schließlich am 14. April 2013 mit den Kommunalwahlen abgeschlossen.

Gegenüber der staatlichen venezolanischen Nachrichtenagentur AVN zeigte sich Chávez am Freitag sicher, die Wahlen im kommenden Jahr mit mehr als 60 Prozent gewinnen zu können. Ziel sei es, an eine Gesamtzahl von zehn Millionen Stimmen heranzukommen, so der Präsident. Damit greift Chávez das bei den letzten Wahlen 2006 proklamierte Ziel auf. Damals hatte er mit 7,3 Millionen Stimmen die angepeilten zehn Millionen zwar verfehlt, mit knapp 63 Prozent der Stimmen jedoch sein bislang bestes Wahlergebnis geholt.

Für die Unterstützer des Präsidenten hat der Wahlkampf bereits begonnen. An diesem und den folgenden vier Wochenenden sind die politischen und sozialen Bewegungen sowie die Gewerkschaften aufgerufen, sich offiziell als Unterstützer des »Großen Patriotischen Pols« einzutragen. Dieses Bündnis haben die von Chávez geführte Vereinte Sozialistische Partei (PSUV), die Kommunistische Partei (PCV) und mehrere kleinere Organisationen gegründet, um den Wahlkampf gemeinsam zu führen. Proklamiertes Ziel ist jedoch, diese Allianz nicht auf Parteien zu beschränken, sondern sie zu einem »Netz der Netzwerke« zu machen. Zu den Gruppen, die ihre Unterstützung des Präsidenten bereits angekündigt haben, gehören so unterschiedliche Vereinigungen wie die Bolivarische Organisation der Taxifahrer, die Lesbische Basisbewegung oder eine Gruppe von Rockmusikern um den bekannten Sänger Paul Gillman.

Auch die Regierungsgegner machen mobil. Am Freitag wollten die verschiedenen »Vorkandidaten« bei parallelen Kundgebungen in verschiedenen Städten den »Countdown« zum 7. Oktober 2012 einläuten, »an dem in Venezuela wieder die Freude, die Hoffnung und die Einheit regieren werden«. Zuvor muß sich das zersplitterte Oppositionslager aber erst mal auf eine gemeinsame Frontfigur einigen. Die Vorwahlen dazu sollen am 12. Februar stattfinden.

Die große Unbekannte in der politischen Szenerie Venezuelas ist jedoch weiterhin der Gesundheitszustand des an Krebs erkrankten Präsidenten. Vor wenigen Tagen kündigte Chávez, der sich bislang vier Chemotherapien unterzogen hat, eine weitere Reise nach Kuba an, um sich dort erneut untersuchen zu lassen. Der Staatschef zeigt sich jedoch unerschütterlich optimistisch, gesund zu werden und seine Arbeit wieder vollständig aufnehmen zu können. Es kribbele ihn am ganzen Körper, endlich zu seinem hyperaktiven Tagesrhythmus zurückkehren zu können, sagte er am Donnerstag (6. Okt.) dem staatlichen Fernsehen VTV.

Hatten die Fehlinformationen, die zu Beginn der Erkrankung aus dem Umfeld des Präsidenten verbreitet worden waren, zunächst zu einem Glaubwürdigkeitsverlust der Regierung geführt, ist es Chávez mittlerweile gelungen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Das räumte auch der Chef des der Opposition nahestehenden Meinungsforschungsinstituts Datanálisis, Luis Vicente León, am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur AFP ein. Chávez habe es geschafft, das Bild eines kranken Mannes zu verdrängen und sich in der Öffentlichkeit als siegreicher Kämpfer zu präsentieren, der auch diese Herausforderung meistern werde.

* Aus: junge Welt, 8. Oktober 2011


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