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Eine weitere Etappe

Venezuela wählt am Sonntag auf Landes- und Kommunalebene. Hugo Chávez wirbt für die PSUV-Kandidaten - und für eine hohe Beteiligung am Urnengang

Von Malte Daniljuk, Caracas *

Am Sonntag (23. November) wählt Venezuela die Volksvertretungen auf Landes- und Kommunalebene. Mehr als 16 Millionen der insgesamt 27 Millionen Einwohner sind dazu aufgerufen. Es ist der ingesamt vierzehnte Wahlgang seit dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chávez im Jahr 1999, und die Opposition hofft diesmal auf leichte Gewinne. Neu bestimmt werden 23 Gouverneure, der Oberbürgermeister in Caracas sowie mehr als 300 Bürgermeister. Die Regierung kündigte an, nach ihrem - angenommenen - Wahlsieg den Umbau zu einem sozialistischen Staat beschleunigen zu wollen. Zugleich führt sie eine Kampagne gegen Korruption.

Kapitalismus überwinden

Auch wenn er selbst nicht zur Wahl steht, befindet sich Hugo Chávez seit nun über zwei Wochen im Kampf um Mandate für seine Partei, die PSUV (Vereinte Sozialistische Partei). Er unterstützt mit seiner Popularität deren lokale Kandidaten und spart dabei nicht mit Hinweisen. Seinen Bruder Adán forderte er auf, im Bundesstaat Barinas endlich mit den Landenteignungen ernst zu machen. Diosdado Cabello, Gouverneur in Miranda, rügte er öffentlich dafür, daß Mittel aus den öffentlichen Haushalten an private Unternehmen fließen.

Die täglichen, oft mehrstündigen Reden sollen vor allem ein Ziel erreichen: mobilisieren. Denn den Regionalwahlen wird in Venezuela traditionell wenig Bedeutung beigemessen, und Chávez möchte mehr Menschen zu eigenem Engagement bewegen, auch von der bisherigen Entwicklung Enttäuschte. So prangerte der Präsident an, daß in einigen Bundesstaaten die Programme der Regierung verschleppt würden. Die Folge: »Ineffizienz« führe insbesondere an der Basis zu Unmut, so merkte der Präsident in Zulia an.

Der Vizepräsident der PSUV, Alberto Müller Rojas, betonte am Mittwoch, daß Aktivisten der Partei, die nicht wählen gehen, sich damit selbst ausschließen würden. Der Oberbürgermeisterkandidat für Caracas, Aristóbulo Istúriz, bekräftigte, daß das Wahlergebnis eine Grundlage für die Überwindung des Kapitalismus legen soll. »Die Bürokratie ist ein Hindernis, das wir mit der Beteiligung und Einbeziehung der Bevölkerung überwinden sollten. Wir brauchen den Aufbau eines 'kommunalen Staats'. Wir müssen transparent regieren. Ineffizienz ist kontrarevolutionär.«

Zugleich mobilisiert die Reak­tion: In den meisten Bundestaaten gelang es den größeren konservativen Parteien der Opposition, Un Nuevo Tiempo (UNT), Christdemokraten (Copei) und Primero Justicia, sich auf gemeinsame Kandidaten zu einigen. Die privaten Medien mischen sich deutlich in den Wahlkampf ein und agitieren gegen den sozialistischen Regierungskurs. So hetzte der Verleger Rafael Poleo im TV-Sender Globovisíon, daß Hugo Chávez »enden wird wie Mussolini: An den Füßen aufgehängt und mit dem Kopf nach unten«.

Korruptionsvorwürfe

Die Opposition versucht insbesondere, im Zuge der Regionalwahlen die von ihr regierten Bundesstaaten zu antichavistischen Bastionen auszubauen. Schwerpunkt ihrer Aktivitäten ist der im Nordwesten gelegene Bundesstaat Zulia, wo es immer wieder zu Attacken und Provokationen paramilitärischer Gruppen kommt. Dabei sind politische und wirtschaftliche Interessen oft nur schwer zu trennen. Beispielsweise sieht sich der UNT-Gouverneur des Bundesstaates, Manuel Rosales, anhaltenden Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Er und seine Familie sollen sich während seiner Amtszeit umfangreiche Ländereien angeeignet haben.

Eine genaue Prognose der Wahlergebnisse ist unmöglich. Umfrageinstitute gehen aber davon aus, daß die PSUV die meisten Kandidaturen gewinnen wird. Es sei sogar möglich, daß die Opposition den Bundesstaat Zulia verliert. Das würde für die PSUV einen Erfolg von nationaler Tragweite darstellen.

Carolus Wimmer von der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) beschreibt das wahrscheinlichste Szenario. Weder könne das Regierungslager seinen Wahlerfolg von 2004 wiederholen, als es lediglich in zwei Bundesstaaten unterlag; noch werde die Opposition ihr Ergebnis vom letzten Referendum im Dezember 2007 erreichen, als in acht der 23 Bundesstaaten die neue Verfassung abgelehnt wurde. Wimmer: »Die Regierung kann mehr als zwei Bundesstaaten verlieren, aber weniger als acht.«

Hintergrund: Wahlkampf im Herzen Venezuelas

Im Bundesstaat Bolívar ist der größte Teil der venezolanischen Schwerindustrie angesiedelt. Dort liegen die meisten mineralischen Rohstoffe wie Bauxit, Eisen, Diamanten und Gold in der Erde. Gleichzeitig ist Bolívar der Schauplatz wichtiger Arbeitskämpfe der vergangenen Jahre. In deren Folge verstaatlichte die Regierung im April das Stahlunternehmen Sidor. Und im staatlichen Aluminiumwerk Alcasa wurde jahrelang um die Einführung einer Arbeitermitverwaltung gerungen. Trotzdem zeigt sich die Linke in dem strategisch wichtigen Bundesland gespalten.

Insgesamt stellen 60 Parteien zwölf verschiedene Kandidaten für Gouverneursposten, darunter der jetzige Amtsinhaber Francisco Rangel Gomez von den Vereinten Sozialisten (PSUV). »Vamos con Todos« (Wir gehen mit allen voran) steht auf dessen Wahlplakaten - auf manchen haben Kritiker aus dem eigenen Lager hinzugefügt: »Chávez Sí, Rangel No«. Rangel hatte sich beim linken Flügel der bolivarischen Bewegung unbeliebt gemacht, als er sich in einem monatelangen Arbeitskampf im Stahlunternehmen Sidor offen auf die Seite der Unternehmensleitung gestellt und die Polizei gegen die Streikenden geschickt hatte. Erst als die Zentralregierung im Frühjahr 2008 eingriff und Präsident Chávez die Verstaatlichung des Unternehmens ankündigte, konnte der Konflikt im Interesse der Beschäftigten gelöst werden. Trotzdem nominierte die PSUV Rangel erneut. Schon im Juni hatten sich die eigentlich mit der PSUV verbündeten Linken der Kommunistische Partei (PCV), von Patria Para Todos (PPT) und der Tupamaros entschieden, mit Manuel Arciniegas einen eigenen Kandidaten aufzustellen.

Da die rechte Konkurrenz ebenfalls gespalten antritt und entgegen interner Absprachen zwei Kandidaten nominierte, kann sich die PSUV trotzdem einen Wahlerfolg in Bolívar erhoffen. Umfragen sehen Francisco Rangel Gomez als Sieger. Unverhoffte Unterstützung erhielt der bereits als abgeschlagen geltende Arciniega jedoch noch in den vergangenen Tagen von Basisgruppen der Sozialisten. Bei einer Pressekonferenz in Upata riefen nun PSUV-Mitglieder dazu auf, Arciniega anstatt Rangel zum Gouverneur zu wählen. (mada/jW)



* Aus: junge Welt, 21. November 2008


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