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Bezugspunkt für andere Länder Lateinamerikas

Venezuela nach dem Referendum

Nachfolgenden Artikel haben wir der sehr informativen Website www.venezuela-avanza.de entnommen.


Von Otto Pfeiffer*

"Nach dem Referendum ist vor dem Referendum." So apostrophierten vorsichtige Beobachter die Perspektiven Venezuelas, wenn man sie vor dem 15. August 2004 nach den Konsequenzen dieser Volksbefragung befragt hatte. Eine Amtsenthebung von Hugo Chávez Frías erschien als wenig wahrscheinlich.(1) Man ging davon aus, daß der Versuch scheitern würde, daß sich aber am Kräfteverhältnis nichts ändern werde. Mittlerweile hat das Referendum stattgefunden. Bei einer Beteiligung von 70% der Wahlbevölkerung sprachen sich 59% für den Präsidenten und damit auch für seine Politik aus. Hat dieser Ausgang etwas am verbissenen Grabenkampf ändern können? Die Härte und Heftigkeit der Auseinandersetzungen sind offensichtlich.

Vor 25 Jahren bot sich ein anderes Bild. Damals konnte man selbst aus Kreisen der venezolanischen Linken hören, wenn es in Lateinamerika künftig Revolutionen geben werde, dann zuletzt in Venezuela. Was sollte schon geschehen in einem Lande mit ungeheuren natürlichen Ressourcen vor allem im Erdölsektor, mit einer weitgehend verstaatlichten Industrie, fragmentierten und zerstrittenen Linksparteien und einem seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts passabel funktionierenden Zweiparteiensystem, geradezu einemVorzeigeobjekt repräsentativer Demokratie?

Eine Geschichte des Öls

Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hörte Venezuela Land endgültig auf, nur ein eher marginaler Kaffee- und Kakaoexporteur zu sein. Seitdem ist seine Geschichte vor allem eine Geschichte des Erdöls. Bis 1945 war das Land - nach den USA - zweitgrößter Ölproduzent der Welt und weltweit größter Erdölexporteur. Die von US-Konzernen und der britisch-niederländischen Royal Dutch Shell Company betriebene Förderung überstieg diejenige aller Länder des Nahen und Mittleren Ostens zusammen. Auch nach dem Verlust dieser Spitzenposition gehört Venezuela mit einer Fördermenge um 3 Mio. Faß/Tag laut Mitteilung des zuständigen Ministeriums zur Gruppe bedeutender Ölproduzenten, vergleichbar mit dem Iran, China, Norwegen und den Vereinigte Arabische Emiraten. Es erbringt heute 10 bis 12% des OPEC-Öls und rd. 3,5% der Weltproduktion. Nach Saudiarabien, Rußland und Mexiko nimmt es gleichauf mit dem Iran weltweit einen vierten Platz als Erdölexporteur ein. Für die USA ist es noch immer Öllieferant Nummer drei und deckt 14% ihres Bedarfs.(2)

Die perspektivische Bedeutung der venezolanischen Energieressourcen geht jedoch weit über den gegenwärtigen Anteil des Landes an der Weltförderung hinaus: Nimmt man zu den konventionellen Lagerstätten die Vorräte an schwerem Öl des Orinokogürtels und an Erdgas hinzu, so ergibt sich die kompakteste Ansammlung von Energierohstoffen auf dem amerikanischen Kontinent (3) und zugleich - worauf zurückzukommen sein wird - die bedeutendste im unmittelbaren geographischen Umfeld des größten Energieverbrauchers der Welt, der USA.

Der Erdölreichtum hatte für Venezuela zwiespältige Folgen. Die engen Export-Import-Beziehungen zur nördlichen Supermacht machten das Land quasi zum Bestandteil des USA-Wirtschaftskörpers mit einer abhängigen, semikolonial deformierten Wirtschaftsstruktur, verschafften dem venezolanischen Staat aber beträchtliche Einkünfte; denn laut Verfassung waren Bodenschätze Eigentum des venezolanischen Staates. Nach dem aus der Regierungszeit von Präsident Isaías Medina Angarita (1941-45) stammenden "Gesetz über Kohlenwasserstoffe" von 1943 sollten sich Staat und ausländische Erdölkonzerne die Erdölgewinne hälftig teilen.(4)

Diese Einkünfte aus dem Ölexport reichten aus, um die venezolanische politische Klasse in völlige Abhängigkeit von den USA einzubinden. Kaum ein anderes lateinamerikanisches Land (vom vorrevolutionären Kuba vielleicht abgesehen) verfügte über eine in ihrer übergroßen Mehrheit so einseitig auf die USA fixierte, mit dem allmächtigen Nachbarn im Norden wirtschaftlich, finanziell, geistig und emotional verbundene herrschende Elite wie Venezuela.

1976 nationalisierte die sozialdemokratische Regierung Carlos Andrés Pérez (5) den Erdölsektor. Der Schritt stand zweifellos im internationalen Kontext einer zu jener Zeit selbstbewußter gewordenen Nichtpaktgebundenen-Bewegung (6) und einer erstarkten OPEC, bei deren Gründung Venezuela bereits eine wichtige Rolle gespielt hatte. In seiner Bewertung sollte allerdings nicht außer Acht gelassen werden, daß nach dem oben genannten Gesetz alle Erdölkonzessionen nach 40 Jahren - d.h. am 1. Januar 1984 - unter entschädigungsloser Übereignung aller Förderanlagen an den venezolanischen Staat gefallen wären. Die Nationalisierung von 1976 hat diesen Prozeß beschleunigt, jedoch um den Preis der Zahlung von Entschädigungen an die internationalen Erdölkonzerne. Diese hatten in Erwartung eines Schrittes in diese Richtung ihre Investitionstätigkeit in den Jahren zuvor bereits gedrosselt, so daß die Ausrüstungen der venezolanischen Erdölindustrie nicht mehr dem neuesten technischen Stand entsprachen.

Angesichts gestiegener Exportpreise im Zusammenhang mit der Nahostkrise der 1970er Jahre wuchsen die Erdöleinnahmen des Staates zunächst weiter stürmisch an. Venezuela tätigte - da die eigene Wirtschaft die gewachsene zahlungskräftige Nachfrage nicht befriedigte - Importe an Investitions- und Verbrauchsgütern in größtem Umfang. Der Geldzufluß wurde in großem Stil in den Ausbau der Grundstoffindustrie (Eisenverhüttung und Stahlproduktion, Tonerde- und Aluminiumproduktion, Energieerzeugung), die Infrastruktur sowie den Erwerb von Dienstleistungseinrichtungen investiert. Der von Präsident C.A. Pérez proklamierte Aufbau eines "Großen Venezuela" erfolgte zu beträchtlichen Teilen kreditfinanziert unter der falschen Voraussetzung, daß auch nach der Krise weiter steigende Erdölpreise Venezuela jederzeit erlauben würden, Schulden in beliebiger Höhe aus der künftigen Produktion zu begleichen.(7) Damit wurde der Grundstein für eine wachsende Auslandsverschuldung gelegt.

Das Erdöl alimentierte den Staat, der Staat seine Bürokratie und beide die Wirtschaft

Venezuela verfügte in Gestalt der Erdölwirtschaft und der aus ihren Einkünften vorgenommenen Investitionen schließlich über einen bedeutenden staatskapitalistischen Sektor, der etwa drei Viertel des Bruttoinlandsprodukts erbrachte. Hinzu kam umfangreicher Grundbesitz. Die staatlichen Unternehmen enthoben das nationale Kapital des unternehmerischen Risikos in der kapitalintensiven Grundstoffindustrie. Sie warfen Rohstoffe und Halbfertigwaren zu günstigen Preisen auf den nationalen Markt und agierten so als Umverteilungsmechanismus der staatlich vereinnahmten Erdölrendite an nationale Kapitalgruppen und im Lande operierende ausländische Unternehmen. Das nationale Kapital alimentierte sich aus den Erdöleinkünften des Staates, die von nur wenigen Arbeitskräften erwirtschaftet wurden: 1% der ökonomisch aktiven Bevölkerung produzierte hier fast die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts und bis zu 97% der Exporterlöse.(8)

Demgegenüber war die Leistung der im Unternehmerverband FEDECAMARAS zusammengeschlossenen Privatwirtschaft gering. Sie erbrachte nur 7% des BIP, davon im Handel 3,2%, im Transportwesen 2,1% und in der verarbeitenden Industrie lediglich 1,7%.(9)

Ein weiterer Begünstigter des Erdöl-Dollar-Regens war die ausufernde Staats- und Wirtschaftsbürokratie. Die Zahl der Staatsangestellten wuchs von 1945 bis 1990 von 45.000 auf 1,3 Millionen. Sie lenkten den Erdölreichtum auf legalen und illegalen Kanälen in eigene Taschen und auf die Konten der Günstlinge der jeweils herrschenden Partei.

Die Staatsbürokratie steuerte letztlich auch den Kapitalfluß in die Privatwirtschaft. Die Stärke der jeweiligen Kapitalgruppen wurde weniger durch Leistungsfähigkeit ihrer Unternehmen bestimmt als vielmehr durch ihre Geschicklichkeit, sich über politische Verbindungen und Einflußnahme auf die Bürokratie Anteile an der Erdölrendite zu verschaffen.

Überfluß schuf Mangel

Venezuela blieb trotz aller natürlichen Reichtümer ein Land, dessen soziale Spaltung sich immer mehr vertiefte. Auf der einen Seite stand das Lager der Profiteure: die Vertreter der nationalen Kapitalgruppen, die Politiker der regierenden Parteien, leitende Angestellte in Staat und Wirtschaft, die Gewerkschaftsbürokratie, die in das Korruptionsnetz einbezogenen Spitzen den Armee sowie die traditionell mit der Oligarchie verbundenen Oberschicht der klerikalen Hierarchie; auf der anderen Seite eine breite Masse der Bevölkerung, die von diesen Segnungen ausgeschlossen blieb, vor allem die städtische Armut. Sie wuchs durch massenhaften Zustrom entwurzelter Landbevölkerung, Immigration vornehmlich aus dem benachbarten Kolumbien und Deklassierung eines Teils der Mittelschichten zahlenmäßig ständig an, während ihr Lebensstandard sank.

Die Situation spitzte sich zu, als die Erdölpreise auf dem Weltmarkt nachgaben. Venezuela häufte bis 1994 eine Auslandschuld von 30,475 Mrd. US$ an.(10) Die Abwertung der Landeswährung Bolívar gegenüber dem US$ betrug 1980 bis 1995 jahresdurchschnittlich (!) über 40%. Die Verbraucherpreise stiegen im gleichen Zeitraum jedes Jahr (!) im Durchschnitt um 30%. Das Bruttoinlandsprodukt sank 1980-90 pro Kopf jährlich um 3,2%, der private Verbrauch um 6,2%.(11) Unter der Schuldenlast beugten sich die damaligen Regierungen dem Diktat des IWF, die wirtschaftlichen Probleme auf den Rücken der Ärmsten abzuwälzen.

1998 verfügten die 20 ärmsten Prozent der venezolanischen Bevölkerung über 3 Prozent der Einkünfte und des Verbrauchs, während auf die 20 reichsten Prozent 53,4 Prozent entfielen.(12)

Was dieser Verelendungsprozeß für die Ärmsten konkret bedeutete, dazu nur einige Zahlen, die zu Beginn der Regierungszeit von Präsident Chávez im Barrio Sucre, einem der größten Armenviertel der Hauptstadt, erhoben wurden: Von etwa einer Mio. Einwohnern lebten dort 600 000 in extremer Armut, 35% waren arbeitslos, 45% unterbeschäftigt, nur 20% hatten eine sichere Arbeit. 37,7% der unter Fünfzehnjährigen hatten noch nie eine Schule besucht. 65,6% der Kinder bis zu sechs Jahren hatten noch nie ärztliche Betreuung erhalten. (13)

Venezuela befand sich in einer allseitigen tiefen Krise, (14) die der Lateinamerikanist Miquel Izard 1995 so charakterisierte:
"Die Erdöleinnahmen reichen nicht aus, um die Korruption zu befriedigen, den Konsum weiter zu subventionieren und den Schuldendienst für die enormen Kredite zu leisten, die in der Aufschwungphase gewährt wurden. ... Die staatliche Sozialpolitik kann unter den gegebenen Bedingungen lediglich das Schlimmste verhindern; sie berührt indessen die Ursachen der Verelendungsprozesse nicht, die erst durch tiefgreifende politische, soziale und ökonomische Veränderungen in Venezuela beseitigt werden können." (15)

Aber wer sollte diese "tiefgreifenden politischen, sozialen und ökonomischen Veränderungen" durchführen?

Zersplitterte Linke

Beim Sturz der Diktatur des Obersten Marcos Pérez Jiménez im Jahre 1958 (16) war die parteipolitisch organisierte Linke noch eine bedeutende politische Kraft. Eine breite Volksbewegung unter Beteiligung progressiver Militärs hatte den Diktator verjagt. Der revolutionäre Aufschwung stärkte die Linkskräfte, darunter die KP Venezuelas, die zur damals stärksten und einflußreichsten kommunistischen Partei Lateinamerikas wurde.

Um nach dem Sturz der Diktatur ein System der repräsentativen Demokratie zu etablieren, vereinbarten die drei bürgerlichen Parteien AD, COPEI (17) und URD (18).- unter Ausschluß der KP - im sog. Pakt von Punto Fijo, (19) sich gegenseitig die Alternanz der Machtausübung auf der Basis der jeweiligen Wahlergebnisse zu garantieren. De facto bildete sich ein Zweiparteiensystem AD/COPEI heraus.

In den Präsidentschaftwahlen 1959 siegte der Exponent des rechten AD-Flügels Rómulo Betancourt über den von den Linkskräften unterstützten Vizeadmiral Wolfgang Larrazábal. Der prononciert konservative und proamerikanische Kurs der Betancourt-Regierung traf auf den Widerstand der Linken im zivilen und militärischen Bereich, die - beflügelt vom Beispiel der siegreichen kubanischen Revolution - im bewaffneten Kampf Kurs auf den Sturz der Regierung nahmen. Aus dem nun folgenden Bürgerkrieg der 60er Jahre gingen sie jedoch geschlagen, dezimiert und zersplittert hervor. Die ideologischen Rückwirkungen der CSSR-Ereignisse 1968 und tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten über die künftige Strategie taten ein Übriges.

Obwohl in der ersten Regierungszeit des Christdemokraten Rafael Caldera (1969-74) in die Legalität zurückgekehrt, spielten linke Parteien in der Folgezeit machtpolitisch keine wesentliche Rolle. Ungeachtet dessen existierte innerhalb und auch außerhalb von Parteien permanent ein beachtliches intellektuelles linkes Potential, z.B. an den staatlichen Universitäten und im kulturellen Bereich.

Das Grundanliegen der "bolivarischen Revolution"

Wichtig für das Verständnis der weiteren Entwicklung ist die besondere Rolle des venezolanischen Militärs. Bereits in den 1950er und 1960er Jahren waren Angehörige der Streitkräfte progressiv hervorgetreten - erfolgreich beim Sturz der Pérez-Jiménez-Diktatur 1958, letztlich erfolglos bei den Militärrevolten 1959 gegen den Rechtskurs der Regierung Betancourt. Die nachfolgende Periode des Bürgerkrieges führte zeitweilig zu einer Entfremdung zwischen den linken Parteien und der Armee. Doch bald begannen sich die in der spezifischen venezolanischen Realität verwurzelten Faktoren bestimmend durchzusetzen. Das waren vor allem:
  • das historisch bedingte Fehlen einer Militärkaste; selten gingen Militärs aus mehreren Generationen einer Familie hervor; die Militärlaufbahn war für Angehörige der Oberschicht weit weniger attraktiv als eine Karriere in Wirtschaft oder Politik,

  • das Offenstehen der Offizierskarriere auch für Bewerber aus einfachen Verhältnissen ohne gravierende Klassen- und Rassendiskriminierung, was die soziale Zusammensetzung und Volksverbundenheit großer Teile des Offizierskorps prägte und

  • die fließenden Grenzen zwischen ziviler und militärischer akademischer Bildung: Militärhochschulen hatten Universitätsrang erworben; Militärs absolvierten an zivilen Universitäten ordentliche und postgraduale Studiengänge, was sie mit der progressiven Studentenbewegung, Linksintellektuellen im Lehrkörper und deren Gedankengut in Kontakt brachte. (20) In den Streitkräften setzten sich Gruppen junger Offiziere kritisch mit der nationalen Realität auseinander und begannen, inspiriert von progressiven nationalen Traditionen, nach Wegen für positive Veränderungen zu suchen.
Hier ist die Gründung der "Revolutionären Bolivarischen Bewegung 200" (MBR-200) (21) im Dezember 1982 durch Hugo Chávez und weitere damals 28jährige Hauptleute einzuordnen, die zur Keimzelle einer neuen politischen Kraft werden sollte. Ihr Leitmotiv war soziale Gerechtigkeit: Die Aneignung des Reichtums des Landes durch eine Minderheit sollte beendet werden und das ganze Volk - vor allem die bisher Marginierten - an ihm teilhaben können.

Der Weg dorthin war nicht von Anfang an klar definiert: Am 4. Februar 1992 wurde der Versuch unternommen, den korrupten Präsidenten C. A. Pérez in seiner zweiten Amtszeit (1989-93) durch eine Militärerhebung zu stürzen. Die Aufständischen siegten in den wichtigen Städten Maracaibo, Valencia und Maracay, scheiterten aber - vor allem wegen des Ausbleibens ziviler Unterstützung - in der Hauptstadt. Absprachen, die mit Vertretern der liksradikalen Partei "Causa R" getroffen worden waren, erwiesen sich als nicht tragfähig. Doch die Umstände der Niederlage verschafften Hugo Chávez schlagartig nationalen Respekt, vor allem seine in einer Fernsehansprache an die Gefährten gerichtete Aufforderung, den Kampf "vorerst" (por ahora) zu beenden. Er übernahm ausdrücklich die Verantwortung für den Aufstand.(22) Hugo Chávez und eine Reihe seiner Mitstreiter mußten die Armee verlassen. Doch weder der regierende und 1993 wegen Korruption amtsenthobene Präsident Pérez noch sein Nachfolger Rafael Caldera in seiner zweiten Amtszeit wagten es, einen Prozeß gegen sie anzustrengen. (23) Das Verfahren wurde im März 1994 eingestellt.

Nach seiner Haftentlassung widmete sich Hugo Chávez ganz der politischen Arbeit. Er bereiste das ganze Land, suchte das Gespräch mit Gleichgesinnten und arbeitete am Aufbau einer Kraft, die in der Lage wäre, grundlegende Veränderungen in Venezuela herbeizuführen. Diese sollte progressive Elemente sowohl aus dem Militär als auch aus dem zivilen Sektor umfassen. Die Militärs sollten sich nach dem Sturz des alten Systems nicht von der Teilnahme an der Macht verdrängen lassen, wie das nach 1958 in Venezuela geschah, aber auch nicht an der Macht isolieren, wie es aus seiner Sicht das linke Militärregime des Generals Velasco Alvarado in Peru getan hatte. (24) Die Bolivarische Bewegung beruft sich Simón Bolívar (1783-1830), den Befreier von spanischen Kolonialjoch, als Symbol für nationale Unabhängigkeit und lateinamerikanische Solidarität. (25)

Kernstück der - so das Selbstverständnis - "Bolivarischen Revolution" ist die gesicherte nationale Kontrolle über die Reichtümer des Landes, vor allem das Erdöl, und die gerechte Verteilung der daraus resultierenden Einkünfte zugunsten der bisher Benachteiligten sowie die umfassende Gewährleistung ihrer Rechte und ihrer gleichberechtigten Entwicklung. Es geht dabei im Prinzip nicht um die Umverteilung von Eigentum an Produktionsmitteln, aber in der Konsequenz natürlich um Eingriffe in die Lebensverhältnisse der bisher Privilegierten. (26)

Mehr Rechte und aktive Beteiligung

Die Bolivarische Bewegung ging davon aus, daß ein grundlegender sozialer Wandel im Rahmen des gegebenen Systems der repräsentativen parlamentarischen Demokratie nicht zu erreichen sein würde und es dafür anderer staatsrechtlicher Formen bedürfe. Daraus resultierte die zentrale Forderung nach Einberufung einer Konstituierenden Versammlung zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die Ablehnung der Beteiligung an Wahlen im Rahmen des alten institutionellen Systems.

In Anbetracht des wachsenden Masseneinflusses der Bewegung wurde 1996 unter den Mitgliedern darüber abgestimmt, ob man doch die Chance nutzen solle, an Präsidentschaftswahlen teilzunehmen und Hugo Chávez als Kandidaten aufzustellen. Ein Nationalkongreß der Bewegung im April 1997 entschied sich dafür. Im Oktober 1997 - nur 14 Monate vor der Wahl - wurde die "Bewegung Fünfte Republik" (27) (MVR) als politische Partei gegründet. Hugo Chávez gewann die Wahl 1998 mit in der jüngsten Geschichte Venezuelas sensationellen über 62% der Stimmen. (28)

Die rasche Folge der ersten Schritte nach dem Wahlsieg 1998 veranschaulicht das atemberaubende Tempo der Entwicklung:
  • April 1999: Referendum für die Einberufung der Konstituierenden Versammlung,
  • Bildung des "Patriotischen Pols", eines Bündnisses des MVR mit den Linksparteien KP, PPT (29), MEP (30),
  • Liga Socialista (31) und MAS (32) zwecks Zusammenarbeit bei der Verfassungsgebung,
  • Juli 1999: Wahl der Konstituierenden Versammlung; der "Patriotische Pol" gewinnt 120 Sitze, die Opposition 11,
  • Dezember 1999: Annahme der neuen Verfassung nach einer breiten Volksdiskussion durch Volksentscheid mit 80% der Stimmen;
  • Juli 2000: Neuwahl des Präsidenten, der 165 Abgeordneten der Nationalversammlung, der 23 Gouverneure der Bundesstaaten, der Bürgermeister etc. auf der Grundlage der neuen Verfassung.
Die Verfassungsgebung beschritt methodisch und inhaltlich neue Wege. Sie war verbunden mit einer breiten Volksdiskussion, die wesentliche Bestimmungen dieses Grundgesetzes tief im Bewußtsein der Massen verankert hat, und sie schuf eine Verfassungsordnung neuer Qualität. Herausragende Charakteristika der Bolivarischen Verfassung sind:
  1. ein umfassender, auf den Menschenrechtskonventionen aufbauender Grundrechtekatalog, der politische, soziale, kulturelle, edukative, wirtschaftliche und ökologische Rechte einschließt, geregelt sind auch die Rechte der indigenen Minderheiten - von einer garantierten Präsenz im Parlament und anderen Vertretungskörperschaften bis zum Recht, die Muttersprache im offiziellen Verkehr und in Schulen zu gebrauchen;
  2. das Prinzip der partizipativen Demokratie, die die aktive Mitwirkung des Volkes auf allen Ebenen fördert:
    Die Verfassung enthält umfangreiche plebiszitäre Elemente. Einem Referendum können unterworfen werden:
    • Fragen von besonderer Bedeutung, um die Meinung der Wähler zu konsultieren (sowohl im nationalen Maßstab als auch auf örtlicher Ebene),
    • die Abberufung jedes gewählten Mandatsträgers - vom Gemeindevertreter bis zum Staatspräsidenten - nach der Hälfte der Legislaturperiode,
    • Gesetzentwürfe, die der Nationalversammlung vorliegen (ein positives Votum verleiht dem Entwurf Gesetzeskraft),
    • internationale Verträge, die die nationale Souveränität berühren oder Kompetenzen an supranationale Organe übertragen,
    • die vollständige oder teilweise Aufhebung von Gesetzen und von Dekreten des Präsidenten mit Gesetzeskraft (ausgenommen Haushalts-, Steuer- und Amnestiegesetze sowie Gesetze zum Schutz der Menschenrechte und zur Billigung internationaler Abkommen)
    Diese Verfassungsbestimmungen werden ergänzt durch Maßnahmen der praktischen Politik, die auf der genossenschaftlichen und nachbarschaftlichen Selbstorganisation (33) basieren: Arztstützpunkte in den Armenvierteln im Rahmen des Gesundheitsprogramms "Barrio Adentro" entstehen z.B. dort, wo durch örtliche Initiative Räumlichkeiten für die Unterbringung der Ambulanz und des Arztes geschaffen wurden. Das gleiche Prinzip gilt für die Unterstützung landwirtschaftlicher Kooperativen durch Kredite, Ausrüstungen und Bewässerungssysteme. Die sozialen Veränderungen werden folglich von den konkret Betroffenen gewollt und akzeptiert.
  3. Erweiterung des Konzepts der Gewaltenteilung: Die Bolivarische Verfassung fügt den klassischen drei Gewalten (Legislative, Exekutive und Justiz) die beiden von diesen unabhängigen Elemente "Bürgergewalt" (verkörpert durch das Amt des Volksverteidigers - einer Art Ombudsmann -, die Generalstaatsanwaltschaft und den obersten Rechnungshof) und "Wahlgewalt" (verkörpert durch den Nationalen Wahlrat und ihm nachgeordnete Organe) (34) hinzu.
Kuba schickt 13.000 Ärzte

Präsident Chávez übernahm die Amtsgeschäfte in einer außenwirtschaftlich extrem schwierigen Situation. (35) Hinzu kam eine Überschwemmungskatastrophe im Bundesstaat Vargas im unmittelbaren Vorfeld der Hauptstadt. Um dennoch Verbesserungen für die Masse der Bevölkerung spürbar zu machen, wurden im "Plan Bolívar" die Kapazitäten der Armee im zivilen Sektor eingesetzt: beim Bau von Schulen, Ambulanzen, Brücken und Straßen sowie bei der gesundheitlichen Betreuung durch Militärärzte.

Erst allmählich konnten weiter reichende soziale Pläne greifen, die sich vor allem auf folgende Gebiete richten:
  • das Gesundheitswesen: Schwerpunktmäßiger Aufbau einer kostenlosen Gesundheitsversorgung vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten durch das Programm "Barrio Adentro", unterstützt durch zunächst 5000, heute 13 000 kubanische Ärzte. In den zwei Jahren 2002/2003 wurde der medizinische Versorgungsgrad von etwas über 50% auf 95% der Bevölkerung erhöht. (36) Von 1998 bis 2003 stieg der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 7,8 auf 12,1%. Die Säulingssterblichkeit sank von 21,5 auf 17,5 Todesfälle auf 1000 Geburten.
  • die Volksbildung: Die Schulspeisung in den "Bolivarischen Schulen" hat vielen Kindern überhaupt erst ermöglicht, eine Schule zu besuchen. Die Zahl der in Tagesstätten betreuten Kinder wuchs von 150.000 (1999) auf 350.000 (2003). Über eine Million frühere Analphabeten erwarben bisher Grundkenntnisse des Lesens und Schreibens; in einer zweiten Etappe sollen diese Kenntnisse auf das Niveau der 6. Klasse gehoben werden. Für 2004 ist der erfolgreiche Abschluß der Alphabetisierungskampagne vorgesehen. 200 000 Studienplätze an Universitäten und 500 000 Freistellen zum Erwerb des Abiturs werden für Kinder aus armen Familien, vorwiegend Studienabbrecher aus ökonomischen Gründen, bereitgestellt. Der Anteil der Bildungsausgaben stieg von 3,2 auf 5,1% des BIP.
  • Die Landwirtschaft: Im Rahmen der Bodenreform wurden 2,2 Mio. ha Land aus Staatsbesitz an 160 000 Bauern zur Nutzung übergeben. Die Steigerung der Agrarproduktion gestattet voraussichtlich 2004 die Deckung des Reisbedarfs aus eigenem Aufkommen. Gleiches soll in einem längeren Zeitraum bei Zucker erreicht werden.
  • Die Lebensmittelversorgung: Zur Sicherstellung der Belieferung der ärmeren Volksschichten mit Grundnahrungsmitteln zu herabgesetzten Preisen wurde das staatliche Handelssystem "Mercal" unter der Verantwortung des Landwirtschaftsministeriums und unter der Regie der Armee geschaffen. Es liefert z.Z. 2000 t Lebensmittel täglich an 1,5 Mio. Kunden, Ende 2004 sollen es 2,7 bis 3 Mio. sein. Außerdem gibt es eine kostenlose Speisung für Familien in kritischer Armut. Außerdem erfolgt eine kostenlose Speisung der Personen in kritischer Armut.
  • Die Förderung von Kleinunternehmern: Kleine und mittlere Unternehmen werden bei der Vergabe von Staatsaufträgen, von der sie früher durch die Verquickung von Großkapital und Verwaltungsbürokratie ausgeschlossen waren, bevorzugt und erhalten vorrangig Kredite einer für diese Zwecke geschaffenen Bank. Auch andere gesetzliche Regelungen, wie das Verbot der Schleppnetzfischerei in Küstengewässern, begünstigt Kleinbetriebe.
  • Schaffung von Arbeitsplätzen: Im März 2004 lief die "Misión Vuelvan Caras" an. Durch sie sollen neu alphabetisierte, meist un- oder minderqualifizierte Personen durch die Heranführung an eine sinnvolle produktive Tätigkeit sozial eingegliedert werden. Die Beseitigung des Analphabetismus hätte einen geringen gesellschaftliche Effekt, wenn die Frauen und Männer, die soeben das Schreiben und Lesen gelernt haben, wieder in der Arbeitslosigkeit versänken. Diesen Menschen soll eine Perspektive im Arbeitsleben gegeben werden, die vom gegebenen Qualifizierungsniveau ausgeht und es weiter entwickelt.
Im Wirtschaftsorganismus Venezuelas klaffen historisch bedingt große Lücken. Es gibt Möglichkeiten, in diesen Bereichen Arbeitskräfte aufzunehmen und gleichzeitig dringenden gesellschaftlichen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Das betrifft vor allem die Landwirtschaft. Die Eigenproduktion würde Währungsreserven freisetzen, die heute für den Nahrungsmittelimport aufgewandt werden müssen. Defizitär ist auch die Weiterverarbeitung von Erdöl (Plastik, Chemikalien) als auch die Zulieferindustrie für die Erdölförderung.

Auf der landwirtschaftlichen Rohstoffbasis könnten sich weiterverarbeitende Industrie- und Handwerksbetriebe entwickeln. Ähnliches gilt für den Tourismus, Dienstleistungen und infrastrukturelle Maßnahmen, z.B. bei der Bewässerung.

Auf all diesen Gebieten wird nicht der Staat Unternehmer sein, sondern gewissermaßen Sponsor, um - meist kleinteilige - genossenschaftliche und private Produktionsstrukturen zu selbständiger Existenz zu befähigen. Dabei sollen auch brachliegende Industrieparks unter Ingangsetzung und Ergänzung vorhandener Maschinen wieder produktiv gemacht werden. Bis zur Erreichung der Wirtschaftlichkeit erhalten die Beteiligten eine staatlich gestützte Bezahlung etwa in Höhe eines Lehrlingsentgeltes. (37)

Beutestreit: Wessen Kader sitzen im Erdölkonzern?

Der Kurs des Präsidenten war von Beginn an nur gegen heftigen Widerstand durchzusetzen. Seine Politik entzog den zuvor herrschenden Eliten die Möglichkeiten, die Richtung der Politik zu bestimmen und den nationalen Reichtum für sich zu monopolisieren. Anfängliche Erwartungen des Großkapitals, den Präsidenten manipulieren zu können, wurden enttäuscht. (38) Schon in der Phase der Ausarbeitung der neuen Verfassung begannen sie hinhaltende Gegenwehr, die sich mit der Ausprägung des Programms sozialer Veränderungen immer mehr verschärfte. Zu einem Wendepunkt, an dem konservativere Kräfte ausscherten, wurde die Annahme des Paketes von 49 sozialen Gesetzen im Dezember 2001.(39)

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand dabei der Kampf um die künftige Rolle des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA, des Kernstücks der venezolanischen Wirtschaft, größten Betriebes des Landes und seit 1991 drittgrößten Erdölkonzerns der Welt. Nicht umsonst entzündeten sich die beiden gefährlichsten Versuche, durch Sturz der Regierung einen Kurswechsel herbeizuführen, an diesem Problem.

Seit 1985 hatten die damaligen Regierungen unter der euphemistischen Überschrift der "Öffnung" des Erdölsektors in Zusammenarbeit mit internationalen Konsortien seine schleichende Reprivatisierung begonnen, die bis Ende der 1990er Jahre fortdauerte. (40) Der nationale Erdölkonzern PDVSA hatte sich unter seiner damaligen Leitung von den nationalen Interessen gelöst und funktionierte mehr wie ein multinationales Konsortium, das eher zufällig seinen Sitz in Caracas hatte.

Um das Erdöl in den Dienst der nationalen Interessen zu stellen, war der radikale Bruch mit dieser Entwicklung unumgänglich. Das erforderte als ersten Schritt die Einsetzung einer neuen Konzernleitung, die bereit war, in diesem Sinne zu handeln. Offensichtlich würde diese Maßnahme - so sah es auch die Opposition - das Kräfteverhältnis deutlich zugunsten der Regierung verschieben. Der oppositionelle Protest hiergegen - deklariert als Demonstration zum PDVSA-Sitz im Osten der Hauptstadt - wurde am 11. April 2002 umfunktioniert zum Marsch auf den Präsidentenpalast mit vorbereiteten blutigen Zwischenfällen, die der Regierung angelastet werden sollten, um schwankende Militärs zu veranlassen, sich der Gruppe ziviler und militärischer Verschwörer gegen Präsident Chávez anzuschließen.

Dieser zweifellos gefährliche, aber gescheiterte Putschversuch hat im Endeffekt dazu geführt, daß der antidemokratische Charakter der Opposition offengelegt wurde und daß in der militärischen Führungsspitze, aber auch in anderen Bereichen, eine "Klärung der Fronten" erfolgte. Mit der erfolgreichen Niederschlagung des Putsches wuchs das Selbstbewußtsein der die Regierung unterstützenden Kräfte.

Der nächsten großen Attacke, der Lahmlegung der Erdölindustrie (41) ab Dezember 2002 konnte so erfolgreicher widerstanden werden. Die Aktion rief allerdings gravierende wirtschaftliche Schäden hervor bzw. vertiefte bestehende Probleme: 700 000 verlorene Arbeitsplätze (einschließlich in den Zulieferindustrien), mit allen Folgeschäden 12 Mrd. $ Verluste, Absinken des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal 2003 um 29% und 2002/2003 um zusammen 20% (42), Preissteigerungen 2002 um 33,8%, 2003 um 26,6% (43). Um der Kapitalflucht zu begegnen, die einen Umfang von 6 Mrd. US$ angenommen hatte, wurde im Februar 2003 die Devisenkontrolle eingeführt. Am 06.02.2004 wurde der Bolívar um weitere 20% abgewertet; der schleichend sich entwickelnde Schwarzmarktkurs des US$ bewegt sich um das 1,5fache der offiziellen Parität, mit in letzter Zeit fallender Tendenz. (44) Nach der Wiederingangsetzung der Erdölförderung auf dem alten Niveau von etwa 3 Mio, Faß/Tag konnten erneute Fortschritte erzielt werden. 1,1 Mio. Arbeitsplätze wurden 2003 geschaffen. (45) Die Devisenreserven erreichten am 30. Januar 2004 den Rekordstand von 22,257 Mrd. $ (46) bei einem Auslandschuldenstand in etwa gleicher Höhe (22,5 Mrd. $). (47) 2003 belief sich der Handelsbilanzüberschuß auf 14,7, der Zahlungsbilanzüberschuß auf 6,1 Mrd. $. (48) Das Haushaltsdefizit konnte 2003 auf 5,1% des BIP begrenzt werden.(49)

Im ersten Quartal 2004 wuchs das BIP um 29% gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum, d.h. der Rückstand aus der Erdölsabotage 2002/2003 wurde praktisch aufgeholt. Für das gesamte Jahr 2004 prognostiziert die CEPAL ein Wachstum von über 10% in Venezuela - eine Spitzenposition für Lateinamerika. (50)

Das Scheitern der Umsturzversuche hat den Handlungsspielraum der Opposition zweifellos eingeengt, während die Regierung und die sie unterstützenden Kräfte heute besser auf weitere Angriffe vorbereitet sind. (51) Die überwiegenden Mehrheit der Militärs läßt sich heute von den Prinzipien der Verfassungstreue und der Sicherung der nationalen Souveränität und Integrität leiten - Grundsätze, zu denen die Politik der Opposition in grundsätzlichem Widerspruch steht.

Die Chávez-Gegner haben andererseits nicht die Fähigkeit verloren, zu neuen Taktiken und Kampfformen zu greifen. Gerade in der Auseinandersetzung um die Überprüfung fragwürdiger Unterschriften gegen Präsident Chávez aus der Kampagne vom Ende November/Anfang Dezember 2003 wartete sie Ende Februar/Anfang März 2004 mit einer Doppelstrategie auf: einerseits provokative Störung der öffentlichen Ordnung, (52) um die "Unregierbarkeit" des Landes zu demonstrieren und eine internationale Intervention wie in Haiti zu provozieren; (53) andererseits die Zuflucht zu ihr geneigten Richtern in der Kammer für Wahlangelegenheiten beim Obersten Gericht, die die fraglichen Unterschriftenlisten, ohne auch nur eine in Augenschein zu nehmen und ohne Anhörung der Gegenpartei, für gültig erkärten. Die Verfassungskammer des gleichen Gerichts hob diesen Spruch auf. (54)

Die Mittelschichten schwanken

Trotz erlittener Niederlagen konnte und kann sich die Opposition weiter auf wichtige Potenzen stützen:
  1. auf ihren unangetasteten Kapitalbesitz in der Privatwirtschaft;
  2. auf ihre beherrschende Position im Medienwesen (d.h. alle audiovisuellen Medien mit gesamtnationaler Reichweite außer neuerdings zwei staatlichen Fernsehkanälen und dem Rundfunksender Radio Nacional; fast alle gesamtnationalen Tageszeitungen; diese im Besitz einer Handvoll Familien konzentrierten Medien haben in der Auseinandersetzung mit der Regierung die Rolle der politischer Parteien eingenommen; sie geben den politischen Organisationen oft Strategie und Taktik vor) (55);
  3. auf große Teile des Regierungs- und Justizapparates, der unter früheren Regierungen gewachsen ist, einschließlich einiger hoher Militärs und der eng mit der sozialdemokratischen AD verquickten Bürokratie der traditionellen Gewerkschaft CTV (56); dazu kommt, daß wichtige Bundesstaaten von oppositionellen Gouverneuren regiert werden, was dort zu Erscheinungen einer auch bewaffnet untersetzten "Doppelherrschaft" führt, da die örtlichen Regierenden über eigene Polizeikräfte verfügen, die regierungsfeindliche Kundgebungen offen unterstützen und wiederholt blutige Zwischenfälle provozierten;
  4. auf ihren Einfluß in dem Mittelschichten, die lange "zwischen den Fronten" schwankten, aber in ihrer Mehrheit der Propaganda der Opposition erlegen sind; (Umfragen Ende 2003 sprachen von 40% der Gesamtbevölkerung, die die Regierung zuverlässig unterstützen und 25%, die fest mit der Opposition verbunden sind (57); bei einer Umfrage im Juli 2004 identifizierten sich 34% der Befragten mit Parteien, die die Regierung stützen, 23% mit Oppositionsparteien (58); im Vorfeld des Referendums vom 15. August 2004 wurde die Polarisierung weiter verschärft)
  5. auf Spaltungen bei den die Regierung tragenden politischen Kräften (Ausscheren bürgerlicher Politiker; Zerfall der MAS; Verrat von einigen Glücksrittern und Opportunisten aus der MVR während des Putsches vom April 2002);
  6. auf ihre internationalen Verbindungen; dazu gehören in erster Linie die Beziehungen zu den USA, aber auch die Einbindung der Parteien AD und COPEI sowie des traditionellen Gewerkschaftsbundes CTV in die entsprechenden internationalen Parteienbündnisse und Verbände; oppositionelle Verbände und Organisationen werden z.B. von der National Endowment for Democracy Foundation aus den USA regelmäßig finanziell gestützt.(59)
Kurzum: Es gibt wohl kaum ein Land, in dem die Opposition über so viele Freiheiten und Ressourcen verfügt wie in Venezuela. Die Opposition rechnete damit, daß die Regierung den Rahmen der Verfassung nicht verlassen will, während sie selbst in den verschiedensten Formen illegal handelte. Die Regierung ihrerseits besitzt langfristig ausbaufähige Positionen. Dazu zählt in erster Linie die Unterstützung der großen Masse des einfachen Volkes, die ein erstaunlich hohes politisches Bewußtsein und eine früher nicht gekannte politische Aktivität entwickelt. Die Regierung verfügt dort über eine enorme Mobilisierungskraft zu Verteidigung des eingeschlagenen Weges (an den Demonstrationen zur Wiedereinsetzung von Präsident Chávez beteiligten sich im gesamten Land 8 Mio. Menschen, in Caracas 1,5 Mio. - allein 300.000 blockierten das Fort "Tiuna", den Sitz der militärischen Konterrevolution). Die Bemühungen um eine stärkere organisatorische Strukturierung der die Regierung unterstützenden Kräfte sind noch nicht abgeschlossen. Die Gründung des "Comando Ayacucho" als Zusammenschluß aller die Regierung tragenden Organisationen zur Durchführung der Unterschriftenkampagnen gegen Abgeordnete der Opposition im November/Dezember 2003 und die Schaffung einer nationalen Leitung der an der Basis wirkenden "Bolivarischen Zirkel" konnte die in sie gesetzten Erwartungen nicht voll erfüllen. In Vorbereitung des Referendums im August 2004 erfolgte eine landesweite Mobilisierung aller die Regierung unterstützenden Kräfte ("Comando Nacional Maisanta"), um die Bestätigung des Präsidenten im Amt zu gewährleisten. Ob sich daraus die dringend erforderliche dauerhaft wirksame Organisationsstruktur entwickelt, die die Regierung politisch trägt, bleibt abzuwarten. Es ist jedenfalls vorgesehen, sie fortbestehen zu lassen. Der Präsident bestätigte, daß die für das Referendum geschaffenen sog. Wahlkampfpatrouillen, Gruppen von etwa 10 politischen Aktivisten, die für die politische Arbeit mit rund 100 Bürgern verantwortlich sind, weiterbestehen und ausgebaut werden sollen, um eine Grundlage für eine umfassende Massenorganisation, für eine dauerhafte Struktur zur Führung politischer Kampagnen, zur Lösung örtlicher Probleme und für den permanenten Kontakt zu den Bürgern zu haben.

Von gleichem Gewicht ist zweitens die zuverlässige Unterstützung durch die übergroße Mehrheit des Militärs. Nach dem Putsch rückten langjährige politische Kampfgefährten des Präsidenten in wichtige Kommandopositionen auf und übernahmen auch wichtige Funktionen im zivilen Bereich. Bei den anstehenden Gouverneurs- und Kommunalwahlen im Herbst d.J. werden einige prominente Militärs kandidieren, um wichtige, heute noch von der Opposition besetzte Bastionen für die Regierung zu gewinnen.

Drittens festigen die Fortschritte bei den sozialen und wirtschaftlichen Programmen langfristig die Positionen der Regierung. In der früher marginierten Bevölkerung gibt es schon jetzt kaum eine Familie, die nicht in der einen oder anderen Weise die positive Wirkung der sozialen Maßnahmen aus eigener Erfahrung spürt - sei es in der Gesundheitsfürsorge, im Bildungswesen oder in der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln.

Makroökonomische Fortschritte vollziehen sich jedoch sehr langsam. Im Bewertungsindex für menschliche Entwicklung des UN-Entwicklungsprogramms rückte Venezuela 2002 bis 2003 unter allen Ländern der Welt um einen Platz auf den 68. Rang vor (8. Platz in Lateinamerika).(60)

Wichtige Fragen bleiben noch offen. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 14%. (61) Mit einer Inflationsrate von 25% wird 2004 offiziell gerechnet. (62) Auch einige andere besonders hartnäckige Probleme harren ihrer Lösung, vor allem Korruption und Kriminalität.

Das Referendum - Versuch einer konstitutionellen Lösung

Die innenpolitische Situation war nach der Lahmlegung der Erdölindustrie um die Jahreswende 2002/2003 aus äußerste gespannt. Unter Vermittlung von OAS, Carter-Zentrum und UN-Entwicklungsprogramm (63) am 23. Mai 2002 einigten sich Regierung und Opposition auf die Einleitung des in der Verfassung vorgesehenen Verfahrens für Referenden zur Abberufung des Präsidenten und ausgewählter Abgeordneter beider Seiten in der Nationalversammlung, um "eine verfassungsgemäße, friedliche, demokratische, durch Wahlen bestimmte Lösung" für die innenpolitischen Probleme zu finden.

Die Regierungsseite hat zugestimmt, um die Opposition auf verfassungsgemäße Formen der politischen Auseinandersetzung festzulegen. Diese unternahm jedoch immer wieder Versuche, diesen Weg zu verlassen und blieb eine klare Aussage schuldig, ob sie eine eventuelle Niederlage in der Unterschriftenkampagne akzeptieren würden - eine Haltung, die sich im Vorfeld des Referendums wiederholte.

Am 3. Juni bestätigte Präsident Chávez sofort nach Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses der Überprüfung der Unterschriftenlisten seinen Entschluß, sich dem Abwahlreferendum zu stellen. Bis zuletzt waren Manipulationen bei der Unterschriftensammlung, aber auch Unzulänglichkeiten bei der Wahlbehörde offensichtlich. Die vollständige Eliminierung aller Fehler erwies sich letztlich als unmöglich. In dieser Situation war die Entscheidung für das Referendum ein Versuch, die Streitigkeiten zu beenden und die Probleme im Vorwärtsschreiten zu lösen. Der Triumphalismus der regierungsfeindlichen Kräfte, für die am Ende 20,13% statt der geforderten 20% Unterschriften aller Wahlberechtigten gezählt wurden, war gewiß fehl am Platze.

Die Opposition schaltete von ihrer Hauptpropagandathese, der "Diktator" Chávez werde das Referendum "aus Angst vor einer Niederlage" nie zulassen, auf vorgespiegelte Siegesgewißheit um. Aber aus dem Versuch der Abwahl wurde wurde der siebente Sieg des Präsidenten in Folge bei Wahlen und Abstimmungen seit 1998. Ein Mehr von über 1,8 Mio. Stimmen, d.h. 59 zu 41 Prozent für den Amtsinhaber bei 70% Wahrbeteiligung (64), war in der gegenwärtigen innenpolitischen Situation des Landes eine bemerkenswert klare Entscheidung.

Wie das Ergebnis zeigt, hat die Politisierung der venezolanischen Bevölkerung weiter zugenommen. Ihre extreme Polarisierung dauert an. 41% Gegenstimmen sind keine zu vernachlässigende Größe.

Alle eingeladenen Wahlbeobachter (65) und die internationale Öffentlichkeit haben das Ergebnis als korrekt akzeptiert und betrachten dieses Kapitel als abgeschlossen. Das Weitere hängt nun davon ab, wie die Chávez-Gegner mit ihrer Niederlage umgehen werden und wie sich die Regierung darauf einstellt, daß ihre Politik sozialer Veränderungen im Rahmen der Bolivarischen Revolution von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung bisher nicht mitgetragen wird.

Das Verhalten des Oppositionsbündnisses Coordinadora Democrática läßt vorerst nicht erkennen, daß man bereit ist, die Niederlage zu akzeptieren. Dadurch wird der vom Präsidenten angebotene Dialog unmöglich gemacht. Während die Regierung zu Ruhe und Besonnenheit aufforderte, riefen einige Oppositionspolitiker sofort dazu auf, ihren angeblichen Sieg auf der Straße "zu verteidigen". Gewaltsame Zwischenfälle ließen nicht auf sich warten, blieben aber die Ausnahme. Die Sprecher des oppositionellen Parteienbündnisses scheuten schließlich nicht davor zurück, erst Überprüfungen der Akten einer größeren Zahl von Wahllokalen durch internationale Beobachter zu fordern und sie dann zu boykottieren, (66) weil das angeblich dazu führe, "ein betrügerisches Wahlergebnis anzuerkennen". Die Erosion der Glaubwürdigkeit der "Oppositionisten", wie man die engstirnigen Gegner des Präsidenten in Venezuela jetzt nennt, ist infolgedessen international und national in vollem Gange. Vertreter des Privatkapitals, einige Medienbosse und Bischöfe machen der Regierung - wenn auch noch zaghafte - Gesprächsangebote an den Hardlinern vorbei. Sollte es in der Zukunft gelingen, den Block der von den gewaltbereiten Kräften irregeführten, bisher jedem rationalen politischen Gespräch verschlossenen Chávezgegner in den Mittelschichten aufzubrechen, wäre das ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft Venezuelas.

Widersprüche innerhalb der in der "Coordinadora Democrática" zusammengeschlossenen Opposition sind nach dem Referendum spürbarer geworden. In der Öffentlichkeit ist aber eine Distanzierung solcher Gruppierungen, die sich selbst als demokratisch darstellen möchten, von den provokatorischen, gewaltbetonten Kampfmethoden des putschistischen Kerns der Opposition oder von Kräften, die offen von den USA finanziert werden, bisher nicht erfolgt. Sollte die Coordinadora auf ihrem Standpunkt pauschaler Ablehnung der Ergebnisse des Referendums beharren, so wird die Geschichte früher oder später darüber hinweggehen, wie sie über die Nichtanerkennung des Wahlsieges von Präsident Chávez im Jahre 2000 hinweggegangen ist.

Für die Regierung bestehen Voraussetzungen, ihre Positionen im institutionellen System weiter auszubauen. Die fälligen Abberufungsreferenden gegen 9 oppositionelle Abgeordnete der Nationalversammlung könnten die derzeitige prekäre Mehrheit von nur 8 Sitzen geringfügig aufbessern. Die Neun geben sich jedoch nicht geschlagen. Keiner nahm die verfassungsmäßige Möglichkeit in Anspruch, sich durch rechtzeitigen Mandatsverzicht eine erneute Kandidatur zu sichern. Außerdem ist der bei einer Abwahl eintretende Nachrücker nicht in jedem Fall ein Unterstützer des Präsidenten.

Noch wichtiger wäre, bei den Regional- und Kommunalwahlen im Herbst 2004 der Opposition wenigstens einige Gouverneursposten in den Bundesstaaten zu entreißen, besonders in so wichtigen wie Zulia und Carabobo mit den nach Caracas größten Städten und Industriestandorten Maracaibo und Valencia sowie in Miranda, das den südlichen "Speckgürtel" um die Hauptstadt einschließt. Dieser Kampf ist noch nicht gewonnen: In Miranda erhielt der Präsident beim Referendum nur eine sehr knappe Mehrheit (50,56 zu 49,44%). In Carabobo regiert die Lokalpartei "Proyecto Venezuela", die starke Hausmacht des ehemaligen Gegenkandidaten von Präsident Chávez in den Wahlen von 1998 und Golfpartners der Familie Bush, Henrique Salas Römer. In Caracas wird der Kampf um den Posten des Oberbürgermeisters geführt, welcher der Opposition durch das Überlaufen des ehemaligen Chavisten Alfredo Peńa zufiel, dessen Polizeikräfte in allen politischen Gewaltkonflikten der letzten Jahre eine unrühmliche Rolle spielten. Hinzu kommt, daß es vor allem auf der untersten Ebene, bei den Bürgermeisterwahlen, erfahrungsgemäß schwerer ist, überall die Einheit der den Präsidenten stützenden Kräfte zu wahren.

Auch in dem schwerfälligen Prozeß der Erneuerung der Justiz könnte es mit der Reform des Obersten Gerichts und der Neuwahl von Richtern vorangehen. Es wäre schon ein spürbarer Gewinn, wenn künftig die vorherrschende Straflosigkeit bei individuellem Terror gegen Unterstützer der Regierung, bei Angriffen auf die Staatsgewalt und Störungen der öffentlichen Ordnung beendet werden könnte und mutmaßliche Delinquenten nicht immer wieder von willfährigen Richtern auf freien Fuß gesetzt oder gerichtliche Verfahren gegen sie eingestellt bzw. gar nicht erst eröffnet würden.

Zweiffellos haben die erfolgreich verlaufenden sozialen Programme für die arme Bevölkerung die Wählerbasis der Regierung entscheidend gestärkt. Vielen der früher Marginalisierten wurde überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, sich an Wahlen zu beteiligen. Allein im letzten dreiviertel Jahr wuchs die Zahl der im zentralen Wahlregister erfaßten Bürger von 12 auf über 14 Mio. an. Einige Wahllokale wurden in den Armenviertel oder in ihrer Nähe errichtet. Und dennoch: Die Chávez-Politik hat die gerechtere Verteilung der Erdölrendite erfolgreich eingeleitet, aber sie hat an den ökonomischen Grundstrukturen wenig geändert. Folgen der Globalisierung und des weltweiten Neoliberalismus schlagen auf die Lebenslage der Bevölkerung durch. Inflation, Reallohnverfall und Arbeitslosigkeit wurden gebremst, nicht beseitigt. Maßnahmen wie die Erhöhung des Mindestlohnes können angesichts der Größe des informellen Sektors keine umfassende positive Wirkung haben. Die Stimmen der Armen für Chávez sind weithin Vertrauenbonus und Zeichen ihrer großen Hoffnung. Sie sind Ausdruck des tief verwurzelten Gefühls, daß ihnen dieser Präsident ein Gesicht und die Würde wiedergegeben hat. Dieses Potential ist keineswegs erschöpft.

In einer Atmosphäre größerer innenpolitischer Ruhe müssen grundsätzlichere Lösungen gesucht werden. So ist geplant, die Wirtschaftsentwicklung auf eine Diversifizierung der Produktion, die strategische Förderung von Entwicklungsgebieten im Landesinnern und die Ausgestaltung der regionalen Zusammenarbeit im Rahmen des MERCOSUR (67), dem Venezuela in diesem Jahr beitrat, auszurichten. Ein Wohnungsbauprogramm wurde beschlossen, für das der Staat in diesem Jahr 1,3 Bio. Bolívares (über 670 Mio. US-Dollar) bereitstellt Gerade angesichts der gegenwärtigen Höhe der Erdöleinkünfte bestehen für all das finanziell günstige Voraussetzungen.

Steigender Ölpreis plus neoliberale Krise = Bolivarische Revolution

Anknüpfend an die bolivarische Tradition des Unabhängigkeitskampfes zu Beginn des 19. Jahrhunderts strebt Venezuela die Festigung der nationalen Souveränität im umfassenden Sinne an. Die Schaffung international günstiger Bedingungen für die Umgestaltungsprozesse im Lande hat die Abwehr jeglicher Einmischung von außen, die Festigung der außenwirtschaftlichen Positionen, die Entwicklung der regionalen lateinamerikanischen Zusammenarbeit und die Verteidigung neoliberaler Einflüsse, die die eigene souveräne Entwicklung ver- oder behindern, zur Voraussetzung. (68) Allein schon das Ringen um die gesicherte nationale Kontrolle über die Reichtümer des Landes besitzt essentiell eine starke außenpolitische Komponente. Es steht strategisch im unversöhnlichen Widerspruch zu den Bestrebungen der internationalen Ölkonzerne und der ihre Interessen vertretenden Regierungen, insbesondere der USA. Die Bolivarische Revolution entzog das venezolanische Erdöl den USA nicht als Energiequelle, aber als wichtige Profitquelle und störte die Strategie der Zerschlagung oder Entmachtung der OPEC und der Errichtung einer unumschränkten Macht der Erdölkonzerne.

Festigung der außenwirtschaftlichen Position heißt vor allem Sicherung der Erdöleinkünfte, die für die Weiterführung der sozialen Veränderungen erforderlich sind. Präsident Chávez begann seine zweite Amtszeit mit intensiven Aktivitäten zur Festigung der OPEC. Dazu boten die Durchführung des OPEC-Gipfels 2000 in Caracas und die Wahl des damaligen Energieministers Alí Rodríguez Araque(69) zum OPEC-Generalsekretär günstige Voraussetzungen. Der Präsident besuchte während der Präsidentschaft Venezuelas in der Organisation ausnahmslos alle OPEC-Mitgliedsländer, was in den Fällen Iran, Irak und Libyen das offensichtliche Mißfallen der USA erregte.

Sicherung der Erdöleinkünfte erfordert auch stabile Lieferbeziehungen zum Hauptabnehmer USA. (70)

Die Bush-Administration strebt strategisch zweifellos eine Veränderung der Verhältnisse in Venezuela zu ihren Gunsten an. Gleichzeitig müssen die USA in Rechnung stellen, daß die Zerstrittenheit der Oppositionspolitiker in der nächsten Zeit keine Gewähr für eine stabile Alternative zur Chávez-Regierung in ihrem Sinne bieten und daß exzessive destabilisierende Aktivitäten der Opposition dem Interesse an einer zuverlässigen Sicherung der Erdölbezugsquellen - auch unter dem Aspekt der gegenwärtigen Probleme im Irak - zuwiderlaufen würden.

Die US-Regierung hatte und hat enge Beziehungen zu den aggressivsten Wortführern der Opposition, die in Washington aus und ein gehen, und begrüßte den 2-Tage-Putsch von 2002 nicht nur unverhohlen, sondern kooperierte mit den Putschisten. (71) Parallel zu von der Opposition angezettelten innenpolitischen Zuspitzungen verschärft sich regelmäßig der Tenor von Stellungnahmen offizieller USA-Sprecher zu inneren Angelegenheiten Venezuelas. Allerdings sah sich das State Department genötigt, das Resultat des Referendums vom 15. August 2004 anzuerkennen. (72)

Neben einer aktiven Mitarbeit in Gremien der Kooperation der Entwicklungsländer (Gruppe der 77, Gruppe der 15 für Süd-Süd-Zusammenarbeit) richtet Venezuela seine besondere Aufmerksamkeit auf die lateinamerikanische regionale subregionale Integration. Seine Bemühungen, dem Andenpakt durch ein Gipfeltreffen eine politischen Dimension zu verleihen, blieben trotz eines entsprechenden Beschlusses 1999 in Cartagena (Kolumbien) allerdings bisher erfolglos. Auch für weiter reichende Pläne wie die Schaffung einer Art lateinamerikanischer OPEC ist die Zeit offensichtlich nicht reif. Venezuela strebt als Schutz gemeinsamer lateinamerikanischer Interessen (73) eine enge Zusammenarbeit von Andenpakt (74) und MERCOSUR (75) an, die auf dem Gipfeltreffen des MERCOSUR im Dezember 2003 in Montevideo inzwischen mit der Unterzeichnung der Dokumente über eine Freihandelszone zwischen beiden Organisationen beschlossen wurde. In jüngster Zeit wurden Vereinbarungen über Erdöllieferungen an Guyana und Argentinien getroffen.

Die Regierung von Hugo Chávez lehnt die Blockadepolitik der USA gegen Kuba strikt ab und entwickelte mit ihm vielseitige solidarische Beziehungen. Kuba erhält z.Z. täglich 53 000 Faß Erdöl zu Vorzugsbedingungen (76) aus Venezuela, die rund ein Drittel seines Importbedarfs decken. (77) Venezuela empfängt im Gegenzug umfangreiche kubanische Hilfe im Gesundheits- und Erziehungswesen.

Die Entwicklung einer souveränen, von den nationalen Interessen geprägten Wirtschafts- und Sozialpolitik ist für Venezuela unvereinbar mit Formen der Integration, die das Land neoliberalen Zwängen unterwerfen würden. Die völlige und absolute Handels- und Investitionsfreiheit ohne Berücksichtigung der verschiedenen Entwicklungsniveaus würde das souveräne Recht, Politik und Strategie für nationale Entwicklungsziele zu bestimmen, definitiv aufheben.(78)

Daraus resultiert die klare Ablehnung der Amerikanischen Freihandelszone (ALCA). (79) Da die ALCA zu einem vorrangigen Projekt (80) der USA geworden ist, um ihre vollständige politische und ökonomische Dominanz in Lateinamerika und der Karibik durchzusetzen, ergeben sich auch auf diesem Gebiet ernste Reibungspunkte mit der USA-Politik. Wie sich im Fortgang der ALCA-Verhandlungen zeigt, steht das Land in der Sache mit vielen seiner Vorbehalte nicht allein.

Fazit

Die Entwicklung Venezuelas verdeutlicht, wie aus ganz spezifischen nationalen Bedingungen heraus und unter Nutzung besonderer Potenzen der Weg zu tiefgreifenden sozialen Veränderungen eingeschlagen werden kann. Nichttraditionelle Akteure und progressive nationale Traditionen können dabei eine entscheidende Rolle spielen. Das Land, das die in der 1960er Jahren mißglückte Nachahmung eines fremden Revolutionsmusters hinter sich hat, betrachtet sich deshalb nicht als zu kopierendes Modell, sondern als Bezugspunkt (81) für andere Länder.

Als der kubanische Präsident Fidel Castro 2000 in Caracas weilte, erklärte er: "... ich denke, daß in einem Land mit solch enormen Ressourcen wie denen, über die Venezuela verfügt, die Bolivarische Revolution in der Hälfte der Zeit 75 Prozent von dem erreichen kann, was Kuba als blockiertes und an Bodenschätzen unendlich ärmeres Land nach dem Sieg der Revolution erreichen konnte. Das bedeutet, es liegt in der Reichweite dieser Regierung, den Analphabetismus in wenigen Jahren vollkommen zu beseitigen, eine hochwertige Bildung für alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erreichen, ein allgemein höheres Kulturniveau für die Mehrheit der Bevölkerung, eine optimale medizinische Betreuung für alle Bürger zu garantieren, allen Jugendlichen Arbeit zu geben, die Veruntreuung zu eliminieren, die Kriminalität au ein Minimum zu reduzieren und allen Venezolanern anständigen Wohnraum zu verschaffen." (82)

Für die Kürze der Zeit, die seitdem vergangen ist, wurden bemerkenswert viele dieser Probleme angegangen und auf einigen Gebieten schon beachtliche Erfolge erzielt. Welche weitere Entwicklung dieser unter Schwierigkeiten voranschreitende Prozeß nehmen wird, hängt von der Entwicklung der inneren Kräfteverhältnisse und auch der Gestaltung des äußeren Umfeldes ab; denn diese Politik vollzieht sich ohne die Existenz eines strategischen Bündnispartners, welcher der nach dem Ende der Blockkonfrontation verbliebenen einzigen Supermacht Paroli bieten könnte.

Das Referendum hat jedoch günstigere Perspektiven für ein weiteres Voranschreiten eröffnet. Insofern ist doch nicht alles wie vorher.

Anmerkungen

1) Bei seiner ersten Wahl am 06.12.1998 hatte Hugo Chávez Frías 62,46% der Stimmen erhalten, d.h. 4,62 Mio. (66,48% Wahlbeteiligung); bei der Neuwahl nach der neuen Verfassung am 30.06.2000 waren es 59,76%, d.h. 3,76 Mio. (56,31% Wahlbeteiligung).

2) 2003 waren das 57% der venezolanischen Erdölexporte. 30% gingen nach Lateinamerika und in die Karibik, 9% nach Europa und 4% in andere Länder (Angaben des MEM, zitiert in "El Universal" 02.03.2004).

3) 300 Mrd. Faß konventionelles Erdöl; 270 Mrd. Faß superschweres Öl im Orinokogürtel (Luis Britto García, "Venezuela: Investigación de unos medios por encima de toda sospecha.")

4) Venezuela erhielt 1941-1945: 971 Mio. Bolívares, 1974-1978: 148.640 Mio. Bolívares; Angaben der Zentralbank, zitiert in Karl, Terry Lynn, The Paradox of Plenty. Oil Booms and Petro-States, University of California Press, Berkeley-Los Angeles-London 1997, S. 117. Ein Bolívar entsprach damals 0,2326 US$.

Der Begriff "sozialdemokratisch" für die Partei Acción Democrática (AD), der Carlos Andrés Pérez angehörte, wird unter dem Vorbehalt verwendet, daß es sich von ihrem Ursprung her um eine kleinbürgerlich-populistische Partei handelt, die nicht wie die europäische Sozialdemokratie auf eine historische Verwurzelung in der Arbeiterbewegung der Großindustrie verweisen kann. Der spätere Anschluß der Partei an die Sozialistische Internationale, in der C. A. Pérez und andere AD-Politiker auch Führungspositionen einnahmen, rechtfertigt jedoch diese Zuordnung.

5) Der Begriff "sozialdemokratisch" für die Partei Acción Democrática (AD), der Carlos Andrés Pérez angehörte, wird unter dem Vorbehalt verwendet, daß es sich von ihrem Ursprung her um eine kleinbürgerlich-populistische Partei handelt, die nicht wie die europäische Sozialdemokratie auf eine historische Verwurzelung in der Arbeiterbewegung der Großindustrie verweisen kann. Der spätere Anschluß der Partei an die Sozialistische Internationale, in der C. A. Pérez und andere AD-Politiker auch Führungspositionen einnahmen, rechtfertigt jedoch diese Zuordnung.

6) Die Einbindung Venezuelas in die NPG-Bewegung erfolgte auch zum Zeitpunkt seiner größten Aktivität in diesem Rahmen während der ersten Regierungszeit von C. A. Pérez (1974-78) unter gewissem Vorbehalt. Das Land sei "so vollständig blockfrei, daß es auch dem Block der Blockfreien nicht angehört", formulierte Pérez gelegentlich.

7) Karl, Terry Lynn, The Paradox of Plenty. Oil Booms and Petro-States, University of California Press, Berkeley-Los Angeles-London 1997, S. 153

8) Daten der Weltbank, zitiert in Karl, Terry Lynn a.a.O. S. 198

9) L. Britto García a.a.O.

10) Karl, Terry Lynn a.a.O S. 258

11) Anuario Estadístico de América Latina y el Caribe, CEPAL 2002

12) PNUD-Jahresbericht 2004

13) Antiescuálidos.com 12. August 2003

14) Die in ihrem parasitären Lebensstil und Exzessen von Korruption befangene Machtelite zeigte sich außer Stande, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes zu lösen. Das herrschende Parteiensystem war schließlich völlig diskreditiert. Auch die zweite Regierung des Christdemokraten Rafael Caldera (1993-98) enttäuschte. Zunächst hatte sie Hoffnungen geweckt, weil Caldera sich von seiner Partei (COPEI) gelöst und die Präsidentschaft mit Hilfe seiner unmittelbaren Anhänger in der Parteineugründung "Convergencia" und einiger Linksparteien gewonnen hatte (mit dem mageren Ergebnis von 30% der gültigen Wählerstimmen bei nur 50prozentiger Wahlbeteiligung. Drei Gegenkandidaten erzielten jeder um 20%!)

15) Miquel Izard, Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, Bd. 3, Klett-Cotta, Stuttgart 1996

16) Pérez Jiménez hatte sich 1948 gegen den gewählten Präsidenten Rómulo Gallegos an die Macht geputscht

17) christlich-soziale bürgerliche Partei; die Abkürzung steht für "Comité de Organización de Política Electoral Independiente", "Komitee für die Organisierung einer unabhängigen Wahlpolitik", d.h. "unabhängig" von der 1945-1948 mit deutlicher Mehrheit regierenden AD. Die COPEI hatte den Sturz der AD durch die Militärrevolte von 1948, die in die Pérez-Jiménez-Diktatur mündete, zunächst begrüßt und unterstützt.

18) "Unión Republicana Democrática", "Republikanische Demokratische Union". Die Partei vereinigte in sich vor allem liberale bürgerliche Kräfte - darunter auch deutlich linksorientierte. Sie verlor jedoch nach dem Tod ihres Gründers Jóvito Villalba stark an Einfluß und verschwand aus dem Parteienspektrum.

19) Vorgespräche waren schon vor dem Sturz der Diktatur in New York geführt worden.

20) Interview mit General Carlos Martínez Mendoza in: Cuadernos para la Emancipación Nr. 25. - Auch Hugo Chávez absolvierte nach der Militärakademie ein postgraduales Studium der Politikwissenschaften an der Universidad Simón Bolívar in Caracas.

21) Historischer Bezug war der 1983 begangene 200. Geburtstag Simón Bolívars.

22) Karl, a.a.O. S. 182

23) Caldera hätte sonst die Tragfähigkeit seiner mit linken Gruppen eingegangenen Parteienkoalition aus Spiel gesetzt. Die KP z.B. hatte die Freilassung der Chávez-Gruppe zur Bedingung ihrer Unterstützung für Caldera gemacht.

24) Chávez selbst hatte Gelegenheit gehabt, im Rahmen eines Offiziersaustauschs die peruanischen Erfahrungen zu studieren und hatte Kontakte zum Umfeld des progressiven panamaischen Präsidenten Omar Torrijos.

25) Weitere wichtige Bezugspunkte sind Ezequiel Zamora (1817-1860), Führer der Liberalen in den Bürgerkriegen des 19. Jahrhunderts, als Symbol für eine antioligarchische Politik und für den Kampf der Bauern um Boden, sowie Simón Rodríguez (1771-1854), Lehrer und Freund Simón Bolívars, Humanist und Pädagoge, als Symbol für das Recht auf gleichberechtigte Entwicklung, Bildung und Erziehung aller, für Überwindung von Standes- und Rassenschranken und für soziales Neuerertum. Sein Wahlspruch "o inventamos, o erramos" (entweder wir sind schöpferisch oder wir scheitern) wurde zu einer Grundorientierung für die Suche nach neuen Wegen bei der Veränderung der sozialen Verhältnisse.

26) Weitergehende Ziele sind nur punktuell definiert, z.B. die Weiterführung der Bodenreform bis zum völligen Verschwinden des Großgrundbesitzes (Lucila Gallino und Ralph T. Niemeyer: Interview mit Hugo Chávez am 09.10.03, zitiert in: Sahra Wagenknecht, Hg., "Aló Presidente. Hugo Chávez und Venezuelas Zukunft")

27) "Movimiento Quinta República"; das bis zur Annahme der Bolivarischen Verfassung herrschende System der repräsentativen Demokratie gilt als vierte Republik; die erste bis dritte Republik waren kurzlebige Staatsgründungen aus der Zeit des Kampfes gegen die spanische Kolonialherrschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

28) Zum Vergleich: Sein Vorgänger Rafael Caldera erhielt 1993 nur 30% der Stimmen, die - da verfassungsgemäß die relative Mehrheit für die Wahl ausreichte - seinen Sieg über drei Mitbewerber mit je etwa 20% der Stmmen sicherten.

29) "Patria Para Todos" ("Vaterland für alle"): Abspaltung der Chávez unterstützenden Kräfte von der linksradikalen "Causa R" ("Radikale Sache"), die sich in die rechte Opposition eingereiht hat.

30) "Movimiento Electoral del Pueblo" ("Wahlbewegung des Volkes"): Anhänger von Luis Beltrán Prieto Figueroa, des Führers eines linkssozialistischen Flügels in der AD, dessen Präsidentschaftskandidatur für die Wahlen 1968/69 von den Rechtskräften um Betancourt hintertrieben wurde. Die darauf folgende Spaltung und Schwächung der AD ermöglichte den Wahlsieg des COPEI-Kandidaten Rafael Caldera. Die MEP konnte jedoch keinen dauerhaften Masseneinfluß gewinnen.

31) "Sozialistische Liga": Linkspartei mit trotzkistischen Wurzeln und prononciert basisdemokratischer Orientierung.

32) "Movimiento al Socialismo" ("Bewegung zum Sozialismus"): Ging aus der tiefgreifendsten Spaltung der KP Venezuelas gegen Ende des Bürgerkriegs hervor. Die Gründung der MAS erfolgte unter dem Eindruck der CSSR-Ereignisse 1968 in klarer Abgrenzung zum sowjetischen Sozialismusmodell. Sie wurde in den 70er/80er Jahren zur einflußreichsten Linkspartei Venezuelas, zerbrach aber an inneren Auseinandersetzungen um die Haltung zum Kurs der Chávez-Regierung. Die aus einem Teil der früheren MAS hervorgegangene Partei "Podemos" ("Wir können") ist weiter Bestandteil der Regierungskoalition

33) Keimzellen solcher Basisorganisationen entstanden als Selbsthilfegruppen bereits nach dem "Caracazo" 1989. Die Bolivarische Verfassung gab ihnen einen offiziellen Status und Entwicklungsmöglichkeiten.

34) Nationale Wahlkommission, Kommission für die Wählerliste, Kommission für Teilnahme am politischen Leben und Parteienfinanzierung.

35) Der von der Vorgängerregierung aufgestellte Etat rechnete mit Erdölpreisen von 14 $/Faß. Anfang 1999 wurden aber nur 7,6 $ erlöst. Die OPEC strebt ein Preisniveau von 22 bis 28 US$ an. Im August 2004 wurden 40 US$/Faß überschritten. Allerdings realisieren die in Venezuela geförderten Qualitäten diese Höchstpreise in der Regel nicht

36) Rede von Präsident Chávez vor dem Nationalkongreß am 15.01.2004

37) Das Projekt "Vuelvan Caras" ist - nach der Bodenreform - ein weiteres in die Produktionsstruktur des Landes eingreifendes Vorhaben.

38) Präsident Chávez lehnte es rundweg ab, die ihm von diesen Kreisen "empfohlene" Ministerliste auch nur in Erwägung zu ziehen.

39) Charakteristisch hierfür war der Rücktritt des langjährigen Vertrauten des Präsidenten und ehemaligen Vorsitzenden der Verfassungsgebenden Versammlung, Luis Miquilena, von allen Ämtern. Er stellte sich schließlich während des Putsches im April 2002 offen auf die Seite der Opposition. Dasselbe gilt für den ehemaligen Staatssekretär im Präsidialamt und später mit den Stimmen der MVR gewählten Oberbürgermeister von Caracas, Alfredo Peńa.

40) PDVSA vergab Konzessionen an Privatfirmen, erwarb für 2,5 Mrd. US-Dollar Unternehmensbeteiligungen in Deutschland, Belgien, Curaçao, den USA, Großbritannien und Schweden und subventionierte die Rohöllieferungen an die Tochterfirmen im Ausland, wodurch dem venezolanischen Staat allein 6 Mrd. $ verloren gingen. Jährlich wurden 500 Mio. $ Gewinne ins Ausland übertragen und dem venezolanischen Fiskus entzogen. Ab 1990 wurde auch ein wachsender Teil der eigenen Förderung über ausländische Subkontrakteure abgewickelt, denen bei fallenden Exportpreisen stabile Gewinne garantiert wurden. (L. Britto García a.a.O.)

41) Von 43 000 Beschäftigten nahmen 18 000 am Streik teil. Die Sabotage sensibler Bereiche wie des Transports brachte die Förderung jedoch praktisch zum Erliegen. (Interview mit PDVSA-Präsident Ali Rodríguez Araque, Panorama 04.12.2003)

42) Jesús Germán Faría, Perspectivas económicas del país, in: Tribuna Popular Nr. 101

43) Zentralbank, Venpres 03.02.2004

44) El Universal 18.08.2004

45) Erklärung des Ministera für Planung und Entwicklung, Jorge Giordani, Venpres 18.02.2003

46) Venpres 04.02.2004

47) Venpres 08.01.2004

48) Banco Mercantil, Venpres 02.02.2004

49) Zentalbank, zitiert in El Universal 23.01.2004

50) Venpres 01.06.2004

51) Interview mit Hugo Chávez in "El Universal", 03.02.2004

52) Die Woche der "Guarimba" ab Ende Februar 2004: Jugendgangs der Opposition, organisiert vor allem von der Partei "Primero Justicia", errichteten brennende Straßensperren aus Autoreifen und zogen sich dann in ihre Verstecke zurück. Da das aber nur im Umfeld ihrer Hochburgen in den Wohngebieten des Mittelstands und der Oberschicht möglich war, richtete es sich schließlich gegen die eigene Klientel und wurde wieder aufgegeben.

53) unter der Losung "Erst Aristide - dann Chávez"

54) Ein neues gefährliches Element die Einschleusung ausländischer - vor allem kolumbianischer - Paramilitärs zur Durchführung terroristischer Kommandoaktionen im Innern Venezuelas. Die Mitte Mai d.J. auf dem Landgut eines Exilkubaners in der Nähe von Caracas 132 Verhafteten waren zweifellos nur die Spitze eines Eisbergs. Man hatte sie gerade frisch mit venezolanischen Armeeuniformen eingekleidet. Wohin diese Machenschaften zielen, zeigt die unverblümte Mordhetze von Exilpolitikern gegen den Präsidenten, die von oppositionellen Medien ungehindert im ganzen Lande verbreitet wird, z.B. das Interview mit Carlos Andrés Pérez, welcher forderte, Präsident Chávez müsse "sterben wie ein Hund", El Nacional 25.07.04.

55) Luis Britto García a.a.O.

56) Confederación de Trabajadores de Venezuela

57) Venpres, 21.01.2004

58) Evans McDonough Company, Inc.

59) Diese Stiftung stellte allein für das Projekt "Consenso País", das die Politik nach dem erhofften Sturz von Präsident Chávez umreißt, 318 Mio. $ zur Verfügung (Radio Nacional de Venezuela, 11.07.04)

60) PNUD-Jahresbericht 2004, zitiert bei Venpres 14.07.2004

61) Mitteilung des Arbeitsministeriums, Venpres 31.01.2004

62) Planungsminister Giordani, Venpres 31.01.2004

63) Das UNDP nahm jedoch von einer aktiven Begleitung des Prozesses Abstand.

64) Zahlen nach dem Endergebnis vom 26.08.2004

65) Der Nationale Wahlrat hatte neben der OAS und dem Carter-Center über 100 Vetreter der Öffentlichkeit eingeladen, darunter fünf ehemalige Präsidenten lateinamerikanischer Staaten, Präsidenten bzw. hohe Beamte von Wahlbehörden anderer Länder, Parteienvertreter, Juristen, Intellektuelle und Verteter von NGOs.

66) Die auf Antrag der Opposition von OAS und Carter-Center durchgeführte Überprüfung nach dem Zufallsprinzip ausgeloster 150 Wahllokale ergab eine Abweichung von 0,02% des ursprünglichen Ergebnisses

67) Ursprüngliche Mitglieder des MERCOSUR: Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay; weitere Länder Südamerikas sind assoziiert.

68) Sie hat - auch wieder unter Berufung auf Simón Bolívar - eine explizit antiimperialistische Ausrichtung. (Brief an Patricio Campbell vom 05.08.1829: "Die USA scheinen vom Schicksal dazu bestimmt, Amerika im Namen der Freiheit mit Elend heimzusuchen.")

69) Er ist heute Chef des nationalen Erdölkonzerns PDVSA.

70) Nach dem gescheiterten Putschversuch im April 2002 erklärte der Präsident:

"Wenn die Regierung der Vereinigten Staaten am venezolanischen Erdöl interessiert ist, dann wäre die Unterstützung unserer Regierung die beste Methode, es weiter zu erhalten. Wir können ihr versichern, daß sie mit unserem Erdöl rechnen kann. Es ist im gegenseitigen Interesse, diesen Handelsaustausch aufrechtzuerhalten. Dagegen würde eine politische Destabilisierung im Lande nur dazu führen, daß diese Lieferungen nicht mehr gewährleistet wären. ... wir haben kein Interesse, die Beziehungen zu den USA zu komplizieren, sie zu beschädigen - geschweige denn, sie abzubrechen. Aber immer werden wir die Frage der Souveränität und der Unabhängigkeit stellen - nicht nur gegenüber den Vereinigten Staaten, sondern gegenüber allen Ländern der Welt." (Hugo Chávez Frias - un hombre - un pueblo, Entrevista de Marta Harnecker, Asociacion Civil Universitarios por la Equidad, Caracas 2002).

Wiederholt hat Präsident Chávez klargestellt, daß jede interventionistische Aktion gegen Venezuela die Erdöllieferungen beenden würde.

71) Dazu zählten Aktivitäten der US-Navy in venezolanischen Hoheitsgewässern, die Landung von Militärflugzeugen in Maiquetía, die Präsenz von Beratern im Fort "Tiuna" und das allerdings gescheiterte Vorhaben, Präsident Chávez ins Ausland zu entführen.

72) Zur Festigung der außenwirtschaftlichen Position gehören auch die Bemühungen um eine Diversifizierung der Beziehungen in die verschiedensten Richtungen: Rußland, China, Westeuropa, Iran, Lateinamerika und Asien. Als Beispiele seien hier nur die Zusammenarbeit mit dem französischen Pechiney-Konzern in der Aluminiumproduktion und chinesische Investitionen bei der Erschließung der nichtkonventionellen Erdöllager im Orinoko-Gürtel und im Eisenbahnwesen genannt. Venezuela ist Hauptempfänger chinesischer Investitionen in Lateinamerika. Im Erdölsektor und im Eisenbahnwesen entwickeln sich die Beziehungen zu Rußland, das darüberhinaus als Abstimmungspartner in Fragen Erdölexport interessant ist - neben weiteren Nicht-OPEC-Ländern wie Norwegen und Mexiko. Rußland beabsichtigt weitere Investitionen in Höhe von 1 Mrd. $ u.a. beim Bau von Wasserkraftwerken und in der Tonerdeproduktion. Mit der Iran Tractor Manufacturing CO (Itmco) wurde die Errichtung einer Traktorenfabrik vereinbart.

73) Außenminister Roy Chaderton in einer Pressemitteilung des Außenministeriums vom 16.12.2003

74) Mitgliedländer sind Bolivien, Ekuador, Kolumbien, Peru und Venezuela

75) Mitgliedländer sind Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay

76) Diese auch gegenüber anderen Staaten Mittelamerikas und der Karibik angewandten Bedingungen sehen vor, daß die Bezieher nur 80% des Preises sofort entrichten und 20% längerfristig gestundet erhalten.

77) Zum Vergleich: Das sind weniger als 3% des venezolanischen Erdölexports in die USA.

78) Präsident der Außenhandelsbank und venezolanischer ALCA-Verhandlungsführer Victor Alvarez, Venpres 30.01.2004

79) Im Abschlußdokument des außerordentlichen OAS-Gipfels vom 13.01.2004 im mexikanischen Monterrey (Deklaration von Nueva León) findet sich deshalb folgender Vorbehalt:

"Venezuela erklärt aus grundsätzlichen Erwägungen und wegen tiefgehender Differenzen bezüglich des Konzepts und der Philosophie, die das vorgeschlagene Modell enthält, sowie wegen der Behandlung spezieller Fragen und der vorgesehenen Fristen seinen Vorbehalt gegen den Abschnitt über die ALCA. Wir bekräftigen unsere Verpflichtung zur Festigung eines regionalen Blocks für gerechten Handel als Grundlage für die Stärkung des Niveaus der Integration. Dieser Prozeß muß die kulturellen, sozialen und politischen Besonderheiten jedes Landes, die Souveränität und Verfassungsordnung sowie das Niveau und den Umfang ihrer Volkswirtschaften berücksichtigen, um eine gerechte Behandlung zu garantieren."

80) Lt. Peter DeShazo, Unterstaatssekretär für die westliche Hemisphäre, eine "fundamentale Priorität"; Rede auf der Tagung der Venezolanisch-Amerikanischen Handelskammer, El Universal 23.01.2004

81) Interview mit Gustavo Márquez Marín, Botschafter der Bolivarischen Republik Venezuela und ständiger Vertreter Venezuelas bei den Internationalen Organisationen in Wien vom 02.06.2004.

82) Ansprache vor der Nationalversammlung am 27. Oktober 2000

Quelle: www.venezuela-avanza.de

Der Beitrag erschien leicht gekürzt in Heft 10/2004 der Zeitschrift "Sozialismus"



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