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Alte Köpfe für neue Partei

Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas wählte ihren Vorstand

Von Tobias Lambert *

Die von Hugo Chávez initiierte Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) erhält einen provisorischen Vorstand, der ein Jahr im Amt bleiben soll. Bereits im November muss sich die größte Partei der venezolanischen Geschichte erstmals bei Wahlen bewähren.

Ganz so wie geplant konnte der Zeitplan dann doch nicht eingehalten werden. Am vergangenen Wochenende sollte der Gründungskongress der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) mit der Wahl des provisorischen Parteivorstandes nach knapp zwei Monaten Diskussion eigentlich abgeschlossen sein.

Im Hinblick auf die im November stattfindenden Regionalwahlen, bei denen die PSUV erstmals antreten wird, hatten die 1681 Delegierten seit Mitte Januar ein eng gestecktes Programm zu absolvieren. Die vorgesehene Verabschiedung fester Parteistatuten sowie des Prozederes der Kandidatenauswahl für die Regionalwahlen mussten denn auch vorerst verschoben werden. Aufgrund der kommenden Regionalwahlen soll auch der Parteivorstand (Nationales Komitee) lediglich ein Jahr lang Bestand haben.

Große Überraschungen waren bei der PSUV-internen Wahl am vergangenen Sonntag (9. März) nicht zu erwarten gewesen, da Staats- und Parteipräsident Hugo Chávez das letzte Wort bei der Kandidatenaufstellung hatte. Aus tausenden Vorschlägen des Gründungskongresses erstellte er eine Liste von 69 Personen. Die Mehrzahl der 15 gewählten Vorstandsmitglieder, unter denen sich sieben Frauen befinden, haben oder hatten wichtige politische Funktionen innerhalb der Regierung inne. Die meisten Stimmen erhielt der frühere Bürgermeister von Caracas und Ex-Bildungsminister Aristóbulo Isturiz, gefolgt von Chávez' Bruder, dem heutigen Bildungsminister Adán Chávez.

Neben den altbekannten Politikern schafften es aber auch die angesehene Journalistin Vanessa Davis, der ebenso populäre wie polarisierende Journalist Mario Silva sowie Studierendenführer Héctor Rodríguez in die Parteiführung. Für Diosdado Cabello, den an der Basis umstrittenen Gouverneur von Miranda, der als enger Vertrauter von Chávez gilt, reichte es hingegen nur für einen Stellvertreterposten. Dem Parteivorstand kann Chávez als Präsident der PSUV bis zu fünf Vizepräsidenten hinzufügen, so dass mit ihm selbst maximal 21 Personen das Nationale Komitee bilden werden. Als oberste Entscheidungsinstanz der neuen Partei wird aber der Gründungskongress dienen.

Das Wahlprozedere war vorab vereinzelt von Politikern und Basisaktivisten kritisiert worden. So wählte nicht die gesamte, in mehr als 14 000 regionalen Gruppen organisierte Parteibasis, sondern lediglich die von jeder Basisgruppe gewählten Sprecher, Vertreter und Bevollmächtigten stimmten ab. Diese etwa 90 000 Personen entsprechen unter zwei Prozent der insgesamt gut 5,7 Millionen eingeschriebenen Aspiranten auf eine Mitgliedschaft. Laut dem basisnahen chavistischen Nachrichtenportal aporrea.org wurde auch aus den Reihen der 1681 Delegierten des Gründungskongresses Kritik laut. So hätten mehrere hundert von ihnen einen Brief an Präsident Chávez verfasst, in dem sie vor allem die Aufstellung der Kandidaten für den Vorstand als intransparent kritisierten. Vor allem im Hinblick auf die im nächsten Jahr stattfindenden Wahlen zur Ablösung des provisorischen Vorstands mahnten die Verfasser des Briefes Änderungen am Wahlsystem an. Zunächst stehen aber die Regionalwahlen im November im Vordergrund, bei denen die PSUV erstmal als Partei antreten wird und Geschlossenheit demonstrieren will. Den Wahlen wird entscheidende Bedeutung für die politische Zukunft des Landes beigemessen, da sich die Opposition durch den Sieg beim Verfassungsreferendum im vergangenen Dezember erstmals seit Jahren wieder im Aufwind sieht. Daher drängt die Parteibasis auf eine breite Partizipation hinsichtlich der Aufstellung von Kandidaten.

* Aus: Neues Deutschland, 12. März 2008


Revolutionäre Reformisten

Vorstand der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas gewählt. Gemäßigte Kräfte dominieren

Von Maxim Graubner (Caracas) und Harald Neuber **

Geht es um die neu entstehende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV), herrschen Superlative vor. Die PSUV soll die größte politische Gruppierung Lateinamerikas werden. Sie hat die meisten Basisgruppen – insgesamt knapp 15000. Der Gründungsprozeß dauert inzwischen über drei Monate. Und an der Wahl des Vorstandes am vergangenen Wochenende waren landesweit über 100000 Vertreter der »sozialistischen Bataillone« beteiligt, in der die Mitglieder auf lokaler Ebene organisiert sind. »Der Umstand, daß eine Partei von der Basis gebildet wurde, ist in Venezuela einmalig«, sagte der Erste Vizepräsident der neuen Gruppierung, Alberto Müller-Rojas: »Zum ersten Mal wurde eine politische Organisation nicht von einer kleinen Führungsclique aufgebaut«.

Der Ironie der Sache ist, daß ausgerechnet Müller-Rojas Auftritt als Vizepräsident der PSUV dieses an sich richtige Urteil ad absurdum führte. Denn der ehemalige General und Politiker der sozialdemokratischen Partei Vaterland für Alle war bei der Abstimmung über den 30köpfigen Vorstand am Sonntag nur in die zweite Reihe der Führung gelangt. Die gut 100000 Stimmberechtigten wählten Müller-Rojas aus mehreren hundert Wahllokalen lediglich in die Gruppe der 15 stellvertretenden Vorstandsmitglieder. Trotzdem stand der ehemalige Militär auf der sicheren Seite. Staatschef Hugo Chávez, der auf Drängen der Basismitglieder die Führung der PSUV Ende Februar übernommen hatte, hatte ihn zuvor schon zu seinem Stellvertreter berufen.

Ohnehin brachte die Wahl des Vorstandes wenig Neues. Das 15köpfige Führungsgremium besteht weitgehend aus alten Gesichtern. Neben den ehemaligen Bildungsministern Adán Chávez und Aristóbulo Istúriz gehören dem PSUV-Vorstand der linke Fernsehjournalist Mario Silva, Parlamentspräsidentin Cilia Flores und der frühere Erdölminister Alí Rodríguez an. Rechte Vertreter des Regierungslagers jedoch konnten sich nicht durchsetzen. Sowohl der frühere Innenminister Diosdado Cabello als auch der einstige Chávez-Kontrahent Francisco Arias Cárdenas wurden nicht in die Parteiführung gewählt. Auch dem Bürgermeister des Innenstadtbezirks von Caracas, Freddy Bernal, blieb ein Mandat verwehrt. Er war in den vergangenen Jahren wiederholt in Konflikt mit Basisgruppen geraten.

Allerdings konnten sich auch Kandidaten der revolutionären Linken nicht gegen die Mitbewerber behaupten. Zu dieser Gruppe gehört etwa der Generalsekretär der Kleinpartei Sozialistische Liga, Fernando Soto Rojas, aber auch der Journalist Vladimir Acosta und die Frauenaktivistin Lídice Navas. Carlos Luis Rivero, Parteitagsdelegierter und Mitglied der Nationalen Sozialistischen Versammlung, führte das schlechte Abschneiden der Linken darauf zurück, daß sie lediglich auf lokaler Ebene bekannt sind und nur dort Unterstützung erfahren. Vor allem aber »zeigen die Ergebnisse die Ablehnung der bekannten Vertreter des rechten Flügels«, sagte Rivero gegenüber dem Onlineportal Venezuelanalysis.com. Der Bericht der Internetseite sah die »traditionelle«, also gemäßigte Linke als eigentliche Siegerin der Wahlen.

Gegen Ende der Woche sollen die 15 Vorstandsmitglieder der PSUV und ihre Vertreter vereidigt werden. Radikalismus herrscht davor zumindest verbal: »Unsere wichtigsten Aufgaben«, so Müller-Rojas, »ist die Förderung sozialistischer Ideen, die Bildung von Kadern und die Mobilisierung der Gesellschaft«.

** Aus: junge Welt, 12. März 2008


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