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Widerstände gegen Einheitspartei

Venezuela: Präsident Hugo Chávez erhöht Druck auf Koalitionspartner

Von Harald Neuber, Caracas *

Verhalten haben die größten Koalitionspartner der venezolanischen Regierungspartei »Bewegung Fünfte Republik« (MVR) auf Vorwürfe von Hugo Chávez reagiert, das »revolutionäre Projekt« aufzuhalten. Nach teils stundenlangen internen Beratungen beteuerten die Bündnisparteien »Vaterland für Alle« (PPT), »Für eine Soziale Demokratie« (Podemos) und die Kommunistische Partei (PCV) Mitte der Woche die »bolivarische Revolution« und den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« weiter zu unterstützen. Zugleich vermieden es die Parteien, zu den Vorwürfen des Präsidenten direkt Stellung zu nehmen. Dieser will bis Ende des Jahres eine sozialistische Einheitspartei gründen und drängt darauf, daß sich neben der MVR und kleineren linken Gruppierungen auch die Koalitionäre eingliedern. Doch ausgerechnet die drei größten Parteien seines Bündnisses sträuben sich gegen die Vereinigung.

Zum ersten Mal seit Beginn der Debatte um die Einheitspartei hatte sich Chávez am vergangenen Sonntag in seiner Sendung »Aló Presidente« öffentlich an seine Bündnispartner gewandt: »Wenn ihr gehen wollt, geht, aber laßt uns in Ruhe die neue Partei aufbauen«, sagte er und löste damit ein mittelschweres politisches Erdbeben aus. Fast eine Stunde widmete sich Chávez den Problemen bei der Bildung der »Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas« (PSUV), um schließlich zu erklären: »Für mich sind sie (die drei Parteien, d. Red.) beinahe schon in der Opposition«.

Die Adressaten versuchten, dieses Urteil eilends zu entkräften. Gegenüber der Tageszeitung Últimas Noticias hielt ein Vertreter der sozialdemokratischen Podemos an dem Ziel seiner Partei fest, Teil der PSUV zu werden. Allerdings dränge man darauf, daß ein Gründungsparteitag einberufen werde, dessen Mitglieder von der Basis »und nicht per Fingerzeig« bestimmt werden. Der Vorsitzende der PPT, José Albornoz, verwies indes auf den Parteitag seiner Partei in zwei Monaten. Erst dann werde entschieden, ob sich die PPT der PSUV anschließt. Ähnlich hatten sich Vertreter der Kommunistischen Partei auf ihrer wöchentlichen Pressekonferenz am Montag geäußert. Diejenigen Kräfte, die sich vorerst nicht an der PSUV beteiligten, würden nicht automatisch von der Revolution ausgeschlossen, sagte der Generalsekretär der PCV, Oscar Figuera, der zugleich weiter darauf orientierte, eine einheitliche Gruppierung zu bilden. Die Angriffe von Chávez konterte Figuera selbstbewußt: »Dieser Prozeß ist auch unser Prozeß«.

Die Zuspitzung im Streit um eine gemeinsame Gruppierung der regierungsnahen Kräfte offenbart einmal mehr das tiefe Mißtrauen zwischen den Parteien, von denen die Regierung Chávez bislang unterstützt wird, und deren Spektrum von Kommunisten über Sozialdemokraten bis hin zu bürgerlichen Opportunisten reicht. Während die PCV eine Aufweichung der linken Programmatik befürchtet und ihren Vorbehalt als einzige Partei auch offen benennt, flüchten sich die gemäßigten Kräfte, zu denen PPT und Podemos gehören, in Scheingefechte. So wurde von ihrer Seite in den vergangenen Wochen ein Streit darüber entfesselt, ob der PSUV-Slogan »Vaterland, Sozialismus oder Tod« für alle Kräfte annehmbar sei. Chávez tat diese Diskussion am Sonntag kurzerhand ab: Wer solche Dinge zur Debatte stelle, solle sich fragen, ob ein Slogan das Problem ist, »oder das neue Wirtschaftssystem, das wir anstreben«.

* Aus: junge Welt, 23. März 2007


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