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Opposition kehrt zurück

Venezuelas Nationalversammlung startet in neue Legislaturperiode

Von André Scheer *

Am heutigen Mittwoch nehmen in Caracas die am 26. September neugewählten Abgeordneten des venezolanischen Parlaments ihre Arbeit auf. Damit endet auch die Zeit einer fast vollständig vom Regierungslager kontrollierten Nationalversammlung. Bislang hatten die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) und ihre Verbündeten vom Wahlboykott der Regierungsgegner Ende 2005 profitiert. Nun werden 65 der 165 Sitze im Parlament vom Oppositionsbündnis »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD) besetzt, zwei Abgeordnete stellt die sich als »dritte Kraft« verstehende Partei »Heimatland für alle« (PPT). Trotzdem verfügen die Unterstützer von Staatspräsident Hugo Chávez mit den 97 Abgeordneten der PSUV und einem Vertreter der Kommunistischen Partei (PCV) über eine bequeme absolute Mehrheit. Lediglich bei Gesetzen, die eine Zweidrittelmehrheit benötigen, sind die Linken künftig auf die Unterstützung von Oppositionsabgeordneten angewiesen.

Das betrifft vor allem die sogenannten Organgesetze, durch die von der Verfassung gestellte Aufgaben geregelt werden sollen. Zu diesen gehört beispielsweise das seit Jahren im Parlament debattierte neue venezolanische Arbeitsgesetz. Vor allem einigen Parlamentariern aus den Reihen der PSUV war der von den Abgeordneten der PCV und linken Gewerkschaftern unterstützte Gesetzentwurf mit seinen weitreichenden Arbeiterrechten zu radikal. Trotzdem kündigte PCV-Vertreter Carlos Aquino am Montag bei der wöchentlichen Pressekonferenz seiner Partei in Caracas an, daß man auch unter den neuen Mehrheitsverhältnissen im Parlament für eine Verabschiedung dieses Gesetzes eintreten werde.

Die bisherige Parlamentspräsidentin Cilia Flores (PSUV) zog eine positive Bilanz der vergangenen fünf Jahre. Insgesamt seien 532 Gesetze verabschiedet worden. Allein im vergangenen Jahr hatten die Abgeordneten noch 141 Gesetze beschlossen und dazu in den letzten Wochen sogar eine Reihe von Sondersitzungen einberufen. Erst am Montag beendete Flores mit dem Kampfruf »Heimatland, Sozialismus oder Tod!« die Legislaturperiode. An diesem letzten Sitzungstag stimmten die Parlamentarier unter anderem einem Bericht über Bestechungen durch den deutschen Elektronikkonzern Siemens zu. Das Unternehmen soll hochrangige Beamte geschmiert haben, um den Zuschlag für den Bau von U-Bahnen in den venezolanischen Großstädten Maracaibo und Valencia zu erhalten. Die Parlamentarier fordern nun die zuständigen Behörden auf, juristische Maßnahmen gegen die Betroffenen zu ergreifen sowie diese künftig von der Übernahme öffentlicher Ämter auszuschließen.

Als neuen Parlamentspräsident hat die PSUV den einstigen Guerillakämpfer und früheren Vorsitzenden der marxistischen »Sozialistischen Liga«, Fernando Soto Rojas, vorgeschlagen. Auch wenn die Oppositionsparteien darauf bislang zurückhaltend reagiert haben und die PPT die »persönliche Integrität« Sotos hervorhob, werden künftig scharfe Auseinandersetzungen zwischen den Abgeordneten der verschiedenen Lager erwartet. Sowohl die Opposition als auch das Regierungslager haben ihre Anhänger jedenfalls für den heutigen Mittwoch bereits zu Demonstrationen aufgerufen, »um die neuen Abgeordneten ins Parlament zu begleiten«. In Deutschland versucht offenbar die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), Öl ins Feuer zu gießen. Für Ende Januar hat sie acht Oppositionsabgeordnete nach Berlin und Brüssel eingeladen. Begleitet wird die Gruppe vom KAS-Vertreter in Caracas, Georg Eickhoff.

Unterdessen zeichnet sich eine Entspannung in den Beziehungen Venezuelas zu den Vereinigten Staaten ab, die zuletzt durch den Streit um den designierten US-Botschafter in Caracas, Larry Palmer, belastet wurden. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Philip J. Crowley, deutete am Montag (Ortszeit) in Washington an, daß man bereit sei, auf Palmer zu verzichten. Dessen Nominierung sei durch das Ende der Amtszeit des bisherigen Kongresses »abgelaufen«, so daß die Administration einen neuen Kandidaten für das diplomatische Amt benennen müsse.

* Aus: junge Welt, 5. Januar 2011


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