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"Das ist keine Theatralik, die Lage ist ernst"

Private Medienkonzerne versuchen, Venezuela zu destabilisieren. Ziel: Vorbereitung eines Staatsstreichs. Ein Gespräch mit Mario Silva *


Der venezolanische Politiker und Fernsehmoderator Mario Silva hat vom 11. bis 13. Februar in Havanna an einer Konferenz über alternative Medien teilgenommen. JW sprach mit ihm – kurz bevor der erkrankte Präsident Hugo Chávez nach Venezuela zurückkehrte.

Was treibt einen venezolanischen Journalisten Mitte Februar nach Havanna? Haben Sie sich Sorgen um die Gesundheit von Präsident Hugo Chávez gemacht?

Er bekommt hier die bestmögliche Behandlung. Deshalb muß sich ein seriöser Journalist keine Gedanken um seine Gesundheit machen. Ich bin mit einigen Kollegen aus Venezuela zu einer dreitägigen Diskussionswerkstatt über alternative Medien und soziale Netzwerke nach Havanna gereist. An der Konferenz haben rund 230 Blogger und Medienaktivisten aus 30 Ländern teilgenommen. Dabei ging es vor allem darum, wie wir die modernen Kommunikationsplattformen als Werkzeuge im Kampf gegen die globale Meinungsmanipulation der transnationalen Medienkonzerne nutzen können.

Aber die Krankheit von Chávez hat doch weltweit und vor allem in Venezuela für Schlagzeilen gesorgt. War das kein Thema?

Natürlich ist das ein Thema für die Medien. Aber viele von ihnen hat die Gesundheit unseres Comandante nie wirklich interessiert. Da Chávez im Kampf gegen seine Krankheit immer mehr Fortschritte macht und gute Chancen hat, auch diese Schlacht zu gewinnen, versuchen die rechten privaten Medienkonzerne in Venezuela und der übrigen Welt mit Desinformationskampagnen, zunächst Unsicherheit und dann Unruhe zu verbreiten. Sie wollen den Systemwechsel um jeden Preis, und weil die Vertreter der alten Oligarchie und der Ultrarechten bei Wahlen immer schlechter abschneiden, wollen sie mit ihren Kampagnen die Voraussetzungen für eine Konterrevolution und eine Invasion schaffen. Das ist keine Theatralik. Die Lage ist wirklich ernst.

Ist das nicht etwas übertrieben? Schließlich haben Chávez und die meisten anderen Regierungspolitiker doch starken Rückhalt in der Bevölkerung.

Klar, das ist so. Und die Mobilisierungskampagne zur Unterstützung unserer Revolution unter dem Motto »Yo soy Chávez« ist ja auch kein Ausdruck von Personenkult, wie rechte Medien behaupten, sondern zeigt, daß das Programm und die Politik von Chávez aus dem Volk kommen und vom Volk getragen werden. In diesem Sinne ist Chávez in unserem Land immer präsent, auch wenn der Comandante mal nicht in Venezuela sein kann.

Aber die Unterstützung der Bevölkerung darf uns nicht in Sicherheit wiegen. Wir kennen das Szenario, mit dem die USA, die einheimische Oligarchie und ihre Contras progressive Regierungen erst diskreditieren, dann destabilisieren und schließlich mit Söldnern und einer militärischen Invasion gewaltsam stürzen, doch aus anderen Ländern. Die Beseitigung des Sozialismus in Venezuela steht bei ihnen ganz oben auf der Agenda.

Die Medienkampagnen gingen oft nach hinten los. Zum Beispiel wurden die häufigen Meldungen von Chávez’ Tod schnell als Lügen entlarvt, und mit dem falschen Foto des Präsidenten auf der Titelseite hat die spanische Zeitung El País doch ein Eigentor geschossen. Verlieren die rechten Medien nicht immer mehr an Glaubwürdigkeit?

Das falsche Foto war eine gezielte Infamie und sollte Unruhe im Volk und Unsicherheit bei den Chávez-Anhängern schüren. Jedem, der sich nur etwas mit Medien auskennt, ist völlig klar, daß das keine Panne war. Das Video, aus dem das Foto stammt, steht seit Jahren im Internet. Mein Kollege Walter Martínez und mehrere Internetportale hatten schon Tage vor der Veröffentlichung auf die Fälschung hingewiesen, und El País ist schließlich keine Schülerzeitung, sondern beobachtet die Medien in unserem Land sehr genau. Solche Kampagnen werden bewußt inszeniert und zielen auf sich progressiv gebende Teile der Mittelschicht und vermeintliche Linke, die glauben, daß man auch den militanten Gegnern der Revolution Raum zur Selbstdarstellung geben muß. Bei der spanischen Zeitung ABC weiß jeder, daß sie profranquistisch ist. Aber El País gilt bei vielen immer noch als linksliberal. Diese Leute ignorieren, daß der Medienkonzern Prisa, der El País herausgibt, gemeinsam mit dem ultrarechten früheren spanischen Präsidenten José Maria Aznar Mitinitiator des Putschversuchs gegen Chávez im Jahr 2002 war.

Fidel Castro wird seit über 50 Jahren von den Gegnern der kubanischen Revolution regelmäßig für tot erklärt. Solche aus Miami und von einigen »Dissidenten« verbreiteten Falschmeldungen glaubt hier auf Kuba niemand. Sind die Menschen in Venezuela naiver?

Die Absichten und die Methode sind die gleichen. Man will die Anhänger demoralisieren, indem man die Revolutionsführer für tot erklärt. Aber die Kubaner sind ein intelligentes Volk und haben seit über 50 Jahren Erfahrung mit den Lügenkampagnen der Medienmonopole. Schon vor der Revolution haben Freiheitskämpfer wie José Marti die Menschen zum kritischen Umgang mit den Medien der Mächtigen erzogen. Wir sehen uns zwar in der Tradition von Simon Bolivar, aber unsere Revolution ist jünger. Und unser Volk ist im Kapitalismus aufgewachsen und verdorben worden. Im Kapitalismus sollen die Medien ja nicht die Leser über das tatsächliche Geschehen informieren, sondern sie zu unkritischen Konsumenten abrichten. Wie das funktioniert, sieht man jeden Tag in den USA und Europa – aber auch bei uns in Venezuela, wo die Mehrheit der Medien privaten Konzernen gehört.

Wichtig ist, daß wir begreifen, warum ausgerechnet diejenigen, die Journalisten verfolgen und ermorden, so tun, als ob sie für Pressefreiheit eintreten. Besitzer von privaten Medienkonzernen haben früher in Deutschland und Spanien den Faschismus mit in den Sattel gehoben. Hier in Lateinamerika waren sie an jedem faschistischen Putsch oder Putschversuch aktiv beteiligt. Was diese Leute unter freien Medien verstehen, haben sie oft genug gezeigt. Die Linke muß begreifen, daß Konterrevolutionen, faschistische Staatsstreiche und Kriege immer zuerst medial vorbereitet werden. Und in einer solchen Situation befinden wir uns auch in Venezuela.

Interview: Volker Hermsdorf, Havanna

* Aus: junge welt, Donnerstag, 21. Februar 2013


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