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Krawall im Kabelnetz

In Venezuela streiten sich Regierung und Opposition wieder um den Fernsehsender RCTV

Von André Scheer *

Venezuelas Botschafter bei den Vereinten Nationen, Jorge Valero, hat am Mittwoch energisch gegen Äußerungen des UN-Sonderbeauftragten für die Förderung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, Frank La Rue, protestiert. La Rue habe sich »in nicht akzeptabler Weise« in die inneren Angelegenheiten Venezuelas eingemischt und müsse aufpassen, nicht den Namen der Vereinten Nationen zu beschädigen, so Valero. Der aus Guatemala stammende La Rue hatte zuvor erklärt, er sei »tief besorgt« über die »kollektive Abschaltung« mehrerer Kabelfernsehsender in Venezuela, »darunter RCTV Internacional«.

In der vergangenen Woche hatte die Aufsichtsbehörde Conatel eine offizielle Liste veröffentlicht, welche der in den venezolanischen Kabelnetzen verbreiteten Fernsehprogramme als »nationale« und welche als »ausländische« Sender definiert werden. Konkret im Visier der Behörde steht der kommerzielle Fernsehsender RCTV, der seit dem Auslaufen seiner terrestrischen Sendelizenz im Mai 2007 nur noch über Kabel und Satellit verbreitet wurde. Um die Bestimmungen des Gesetzes über die soziale Verantwortung von Radio und Fernsehen zu umgehen, hatte RCTV im Sommer 2007 seinen offiziellen Sitz nach Miami verlegt und sich in »RCTV Internacional« umbenannt. Für die venezolanische Regierung blieb er jedoch ein nationaler Sender, und sie forderte den Kanal zur Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen auf. Dazu gehören unter anderem die Verpflichtung, vor jeder Sendung mitzuteilen, für welches Alter ein Programm freigegeben ist. Auch gelten aus Jugendschutzgründen Sendezeitbeschränkungen für bestimmte Sendeformen wie die in Lateinamerika populären Telenovelas. Besonders verhaßt ist dem Sender jedoch die für alle venezolanischen Sender geltende Verpflichtung, auf Anordnung der Regierung Ansprachen des Präsidenten zu übertragen.

Nachdem Conatel dem Sender eine Frist bis zum 2. August 2007 gestellt hatte, sich als nationales Programm registrieren zu lassen und sich an die Gesetze zu halten, klagte RCTV gegen die Regierung. Der Oberste Gerichtshof stellte daraufhin fest, die rechtliche Definition, welcher Sender national oder international ist, sei nicht ausreichend. Diese Lücke hat die Behörde nun geschlossen.

Am vergangenen Wochenende wurden daraufhin RCTV und weitere Sender in den Kabelnetzen abgeschaltet. Wie ein Conatel-Sprecher am Mittwoch sagte, steht im Fall von TV Chile und zwei US-amerikanischen Sendern einer Wiedereinspeisung nichts im Wege, nachdem die Stationen fehlende Unterlagen nachgereicht haben. Auch RCTV könne seinen Betrieb wieder aufnehmen, sobald der Sender seine Registrierung als nationales Programm nachgereicht habe.

Für die Chávez-Gegner ist die Auseinandersetzung hingegen ein gefundenes Fressen. Während die Opposi­tionsparteien wenige Monate vor den im Herbst anstehenden Parlamentswahlen noch zersplittert sind, sehen sie in der »Verteidigung der Meinungsfreiheit« ein Thema, mit dem sie sich profilieren können. Unmittelbar nach der zeitweiligen Abschaltung von RCTV im Kabelnetz kam es in der westvenezolanischen Universitätsstadt Mérida zu Protestaktionen, an deren Rande zwei junge Männer getötet wurden. Das venezolanische Parlament beschloß am Mittwoch, eine Untersuchungskommission nach Mérida zu entsenden, um die Vorfälle zu untersuchen. Auch die Generalstaatsanwaltschaft hat mehrere Sonderermittler eingesetzt.

In keinem Zusammenhang mit den Ereignissen stehen offenbar die Rücktritte des bisherigen venezolanischen Vizepräsidenten Ramón Carrizalez und seiner Ehefrau, der Umweltministerin Yubirí Ortega. Beide hatten am Montag »aus rein persönlichen Gründen« um ihre Entlassung gebeten. Präsident Hugo Chávez nahm die Rücktritte an und ernannte Elias Jaua zum neuen Vizepräsidenten. An der Spitze des bislang ebenfalls von Carrizalez geführten Verteidigungsministeriums steht künftig General Carlos Mata Figueroa, während der frühere Chef der Wasserwerke Hidroven, Alejandro Hitcher, Umweltminister wird.

* Aus: junge Welt, 29. Januar 2010


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