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Chávez auf pragmatischem Kurs

Trotz Differenzen boomt der Handel zwischen Venezuela und den USA

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Nachdem Washington letzte Woche die Schaffung eines neuen Spionagebüros zur Überwachung Kubas und Venezuelas angekündigt hat, spricht Präsident Hugo Chávez von einer neuen Eskalation der politischen Auseinandersetzungen. Auf das wirtschaftliche Terrain wirken sich die politischen Scharmützel bisher kaum aus.

Venezuelas Präsident Hugo Chávez ist schon wieder in China unterwegs. Das wegen seines Wirtschaftswachstums nach Rohstoffen gierende Land der Mitte bringt Chávez immer wieder drohend als alternativen Öl-Absatzmarkt zu den USA ins Gespräch, wenn es politisch mit Washington Reibereien gibt. So kommt auch die jetzige Reise zu einem günstigen Zeitpunkt, denn letzten Freitag kündigte der USA-Geheimdienstchef John Negroponte die Schaffung eines neuen Spionagebüros an, das in Zukunft Kuba und Venezuela im Zentrum seiner geheimdienstlichen Aktivitäten haben soll. Ziel seien die Zusammenstellung fehlender Informationen und die Entwicklung politischer Strategien gegenüber den beiden Staaten.

Laut Negroponte gehören die links regierten Staaten Kuba und Venezuela zu den außenpolitischen Herausforderungen der USA. Chef der neuen Mission soll Patrick Maher werden, der bereits den nationalen Geheimdienstposten für die westliche Hemisphäre innehat.

»Es handelt sich um eine längst angekündigte Mission, die versuchen will, Chávez zu stürzen und das Land im Vorwahlkampf ins Jahr 2002 zurückzuwerfen«, kritisierte der venezolanische Präsident die USA-Pläne. Im April 2002 wurde Chávez, der seit 1999 regiert, kurzzeitig durch einen Putsch entmachtet. Wenig später legte ein monatelanger Streik die venezolanische Wirtschaft lahm. Dessen Drahtzieher Carlos Ortega, bis dato Vorsitzender der oppositionell eingestellten venezolanischen Arbeitergewerkschaft, konnte am 13. August aus einem venezolanischen Gefängnis fliehen, nachdem laut offiziellen Angaben bis zu 500 000 US-Dollar Schmiergelder aus politischen Kreisen für dessen Flucht gezahlt worden sein sollen. Ende dieses Jahres finden in Venezuela Präsidentschaftswahlen statt, bei denen sich Chávez wiederwählen lassen will. Die Opposition und die USA scheinen bis dahin alles versuchen zu wollen, dies zu verhindern.

Allerdings steht die scharfe politische Rhetorik zwischen Venezuela und den USA in starkem Kontrast zu den florierenden wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten. Zwar hat Washington kürzlich über Venezuela ein Embargo verhängt, was jeglichen Verkauf von USAWaffentechnologie an die Chávez-Regierung verbietet. Doch der Handel boomt. Nicht nur ist Venezuela einer der größten Erdöllieferanten für die USA, sondern auch einer der Staaten, deren Importe von USA-Waren in den letzten Monaten am kräftigsten angezogen haben. »Der Kapitalismus lenkt die Menschheit in die Zerstörung«, erläuterte Chávez auf einer Reise in Vietnam und nannte die USA »den Teufel, der den Kapitalismus repräsentiert«. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Um 36 Prozent wuchs der zweiseitige Handel allein im Jahr 2005, die Importe von Computern, Autos und Maschinen made in USA stiegen von 4,8 auf 6,4 Milliarden US-Dollar. Doch auch Venezuela konnte selbst ohne das Erdöl in den ersten drei Monaten dieses Jahres laut dem Nationalen Venezolanischen Statistikinstitut seinen Export in die USA mehr als verdoppeln.

Dass Politik und Geschäft gründlich getrennt werden, zeigt der Fall der USA-Firma Halliburton, die eng mit der politischen Klasse um den Vizepräsidenten Dick Cheeney verbunden ist und für Schlagzeilen im Erdölgeschäft in Irak gesorgt hat. Halliburton gewann kürzlich eine Ausschreibung für die technische Ausstattung eines venezolanischen Erdölfördergebiets in Zusammenarbeit mit der halbstaatlichen Erdölfirma Petrozuata. Halliburton ist seit 50 Jahren in Venezuela aktiv, besitzt zehn Büros und beschäftigt mehr als 1000 Mitarbeiter, deren Tätigkeiten Chávez trotz internationaler Skandale um diese Firma bisher nicht angetastet hat. »Es gibt Rhetorik und es gibt Geschäfte«, brachte es ein Mitarbeiter des USA-Handelsministeriums auf den Punkt. Dieser These dürfte auch Chávez zustimmen und sie in China beherzigen.

* Aus: Neues Deutschland, 23. August 2006


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