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Schutz vor der Krise

Kein Vertrauen in den Norden: Venezuela hat sein Gold nach Hause geholt

Von André Scheer *

Es war eine wertvolle Fracht, die Venezuelas Armee am Montag abend (Ortszeit) transportierte. In einem langen Konvoi aus gepanzerten Fahrzeugen, flankiert von schwerbewaffneten Soldaten, wurden 14 Tonnen Gold im Wert von rund 53 Millionen Euro vom internationalen Flughafen Maiquetia bei Caracas in die Safes der Zentralbank (BCV) transportiert. Es war der letzte Teil der venezolanischen Goldreserven, die bislang in Geldhäusern Europas und Nordamerikas gelagert worden waren. Präsident Hugo Chávez hatte im vergangenen August angekündigt, die insgesamt 160 Tonnen Edelmetall, die einen Gesamtwert von knapp sieben Milliarden Euro haben, aus den ausländischen Banken abzuziehen. Damit sollte verhindert werden, daß die Staatsreserven des südamerikanischen Landes durch den Zusammenbruch von Geldinstituten im Zuge der Weltwirtschaftskrise in Mitleidenschaft gezogen werden. Eine erste Fuhre war bereits im November in Caracas eingetroffen.

»Die Keller der Zentralbank sind gut bewacht«, zeigte sich BCV-Präsident Nelson Merentes überzeugt, daß ein Diebstahl des Goldes unmöglich ist. Man habe jahrzehntelange Erfahrung in der Sicherung der eigenen Einrichtungen, und es sei auch nicht so einfach, sich eine der immerhin jeweils 500 Kilo schweren Goldkisten unter den Arm zu klemmen. Insgesamt liegen Merentes zufolge in den Tresoren der Zentralbank jetzt 86 Prozent der gesamten Goldreserven Venezuelas. Die übrigen 50 Tonnen seien in einigen Banken verblieben, bei denen der Staat seine Konten aufrechterhalten wolle, um internationale Finanzoperationen durchführen zu können.

An der Plaza Juan Pedro López vor der Zentralbank hatten sich ab den Mittagsstudenten mehrere tausend Menschen versammelt, um die Ankunft des Transports zu feiern. Angestellte des Finanzinstituts trugen rote T-Shirts mit der Aufschrift »Das Gold nach Hause gebracht – Auftrag ausgeführt!« Gegenüber Reportern der staatlichen Nachrichtenagentur AVN erklärte Bernarda Herrera, während sie zu den Klängen der verschiedenen Musikgruppen tanzte, daß das Gold niemals hätte das Land verlassen dürfen und nun vom Volk bewacht werde. Die früheren Regierungen wie die des Sozialdemokraten Carlos Andrés Pérez hätten mehr als die Hälfte des Edelmetalls ins Ausland geschafft und sich damit der Erpressung der internationalen Finanzinstitutionen gebeugt. »Doch damit ist es vorbei, unser Heimatland ist frei und wird nicht verkauft«, zeigte sich Herrera überzeugt.

Zwischen 1986 und 1992 waren 59 Prozent der insgesamt mehr als 372 Tonnen Gold Venezuelas von der damaligen Regierung als Sicherheit für Zahlungsausfälle an ausländische Banken überführt worden. Dies hatten zuvor der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank zur Bedingung für Kredite an Caracas gemacht. Als Hugo Chávez am 2. Februar 1999 das Präsidentenamt Venezuelas antrat, war das Land allein bei der Weltbank mit drei Milliarden US-Dollar verschuldet. Im April 2007 befreite die Regierung durch die vorfristige Begleichung dieser Summe das Land aus der Abhängigkeit. Einen damals angekündigten Austritt Venezuelas aus diesem »imperialistischen Mechanismus« wurde bislang jedoch nicht offiziell vollzogen.

Mercedes Contreras, die mit ihrer kleinen Enkelin zu den Feiern gekommen war, zeigte sich überzeugt, daß Chávez die richtige Entscheidung getroffen habe. »Mehrere der kapitalistischen Banken sind bereits zusammengebrochen, und viele dieser Länder, die sich für Großmächte gehalten haben, erleben gerade einen Niedergang. Wir konnten nicht das Risiko eingehen, daß sie sich über Nacht unser Gold aneignen«, sagte sie.

* Aus: junge Welt, 01.02.2012


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