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General a. D. auf dem Rückzug

Verfassungsnovelle in Venezuela: Ehemaliger Verteidigungsminister positioniert sich gegen Chávez. Zehntausende auf Demonstration für die Regierung

Von Harald Neuber *

Als der ehemalige venezolanische Verteidigungsminister Raúl Baduel am Montag nachmittag in Caracas zur Pressekonferenz lud, war Spannendes zu erwarten. Der langjährige Weggefährte des Präsidenten Hugo Chávez entäuschte die anwesenden Journalisten nicht. Vor laufenden Kameras rief der General a. D. zur Ablehnung der Verfassungsreform auf, mit der Venezuela ein sozialistischer Staat werden soll. Das Projekt trage zu einer weiteren Polarisierung bei, löse die Probleme aber nicht, so Baduel, der die Verfassungsnovelle mit einem »Staatsstreich« gleichsetzte. Am 2. Dezember wird in einer Volksabstimmung über die Änderung von 69 Artikeln entschieden.

Die Stellungnahme des 52jährigen schlug ein wie eine Bombe. Baduel gehörte 1983 nicht nur zu dem Zirkel »MBR 200«, in dem sich linke Militärs heimlich organisierten hatten. Als im April 2002 ein Putsch gegen die Regierung versucht wurde, führte er die Truppen an, die den gewählten Präsidenten befreiten. Baduel gehörte zu den Vertretern des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« und hatte auch das Vorwort für die spanischsprachige Ausgabe eines Buches des deutschen Heinz Dieterich zu dem Thema geschrieben.

Heftige Reaktion auf Kritik

Im Juli dieses Jahres war Baduel von seinem Posten als Verteidigungsminister abberufen worden. Obwohl die Hintergründe damals unklar blieben, ließ der Politiker seine Kritik erahnen. In der Abtrittsrede warnte er damals davor, die Fehler des europäischen Sozialismus zu wiederholen.

So auch am Montag (5. November), als er eine »Umwandlung des Staates« prognostizierte. Die Reaktion der Regierung auf den Einwurf ließ nicht lange auf sich warten. Vizepräsident Jorge Rodríguez warf Baduel vor, sich zum »Sprecher der Opposition« zu machen, Parlamentspräsidentin Cilia Flores bezeichnete ihn sogar als »Verräter«. Zurückhaltender äußerte sich der Präsident selbst. Man müsse anerkennen, daß Baduel in einem bedeutenden Moment »ehrenvoll und loyal« gehandelt habe. Mit seiner Stellungnahme begehe er aber »Betrug an sich selbst«, so Chávez über seinen langjährigen Weggefährten.

Welche Art des Protestes?

Auf Nachfrage von junge Welt bezeichnete auch der Generalkonsul Venezuelas in Frankfurt/Main, César Osvelio Méndez González, die politische Positionierung Baduels als »bedauerlich«. Die mehrheitliche Unterstützung für die Reform der Verfassung in Venezuela werde dessen Auftritt aber nicht ändern. Méndez González, der als Oberst mit Baduel gemeinsam das Institut der Streitkräfte in Caracas besucht hatte, wertete es trotzdem als positiv, daß der Exminister und General a. D. »zur Ablehnung der Reform an den Urnen aufruft, weil er sich damit zu demokratischen Grundregeln bekennt«.

Auf die Vertreter der rechten Opposition trifft das nicht zu. Vor mehreren tausend Anhängern hatte Hermann Escarrá von der Gruppe »Nationales Widerstandskommando« am Samstag zum bedingungslosen Protest gegen die Reform aufgerufen. Es gehe im Hinblick auf die Abstimmung nicht um die Frage von Teilnahme oder Boykott, sondern darum, einen Staatsstreich zu verhindern, sagte Escarrá. Der Generalsekretär der sozialdemokratischen AD, die Mitglied in der Sozialistischen Internationale ist, stimmte mit diesem Urteil überein. Ein anderer Aktivist richtete eine direkte Drohung an die Regierung. Sie müsse wissen, »daß wir unsere Kinder, unser Recht auf Arbeit und unsere Freiheit verteidigen werden«.

Chávez warnt vor Gewalt

Angesichts solcher Äußerungen warnte Präsident Chávez am Sonntag (4. Nov.) vor einer Strategie der Gewalt. Es sei durchaus möglich, daß die Opposition das Ergebnis nach der Abstimmung am 2. Dezember nicht anerkenne, sagte er vor Zehntausenden Anhängern in Caracas. In der Tat weisen darauf Umfrageergebnisse hin, die von regierungskritischen Privatmedien verbreitet werden. Das rechtsgerichtete Institut »Hinterlaces« berichtete Anfang der Woche etwa, daß die Zustimmug für die Reform um zwölf Punkte auf 31 Prozent gefallen sei. Über eine andere Umfrage des Venezolanischen Institutes für Datenanalyse (Ivad), nach der 62,3 Prozent von einer Annahme der Reform ausgehen, wurde nicht berichtet.

* Aus: junge Welt, 7. November 2007


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