Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Drohnen über den Anden

USA wollen ihr "South Command" mit unbemannten Flugkörpern ausrüsten. Chávez präsentiert Antwort Venezuelas

Von André Scheer *

Die USA wollen 2014 einen Großteil ihrer Besatzungstruppen aus Afghanistan abziehen. Längst hat in der Bürokratie der nordamerikanischen Streitkräfte deshalb ein Tauziehen darum begonnen, was mit den dann »überzähligen« Waffensystemen passieren soll. Zu diesen gehören die unbemannten Flugkörper, Drohnen, die unter Barack Obama so oft eingesetzt werden wie unter keinem US-Präsidenten zuvor. In Pakistan, Afghanistan und anderen Ländern nutzen der Geheimdienst CIA und die US-Luftwaffe »Predators«, »Reapers« und »Global Hawks«, um gezielt Jagd auf Terroristen zu machen. Regelmäßig werden dabei Zivilisten Opfer der Angriffe, so wieder am 6. Juni, als eine Hochzeitsfeier attackiert wurde.

Nun sollen die Drohnen offenbar in Südamerika eingesetzt werden. Das »South Command« der US-Streitkräfte habe Interesse angemeldet, die Flugzeuge zur Aufstands- und Drogenbekämpfung, zur Meeresüberwachung sowie für Such- und Rettungsaktionen einzusetzen, meldete das Air Force Magazine bereits im Juni vergangenen Jahres. In der vergangenen Woche berichtete nun die Zeitschrift National Defense, daß Luftwaffenchef Norton Schwartz am 11. Juni bei einem Frühstück der »Air Force Association« in Arlington, Virginia, angekündigt habe, es werde nur ein Teil der Drohnen aus Afghanistan in die USA zurückgebracht. Die anderen sollen demnach bislang »unversorgten Kampfkommandos« zur Verfügung gestellt werden. Konkret nannte Schwartz das Pazifik- und das für Lateinamerika zuständige Südkommando der US-Armee.

Im Onlineportal Wired.com fragte dessen Autor Spencer Ackerman daraufhin, welchen Sinn solche Pläne haben. Über dem Pazifik sei der Drohneneinsatz nachvollziehbar. So hätten im vergangenen Jahr unbemannte Flugkörper bereits die 7. Flotte bei der Aufklärung der Atomkatastrophe von Fukushima unterstützt. Aber: »Die Liste offensichtlicher Einsatzmöglichkeiten für Drohnen durch das US-Militär in Südamerika beginnt beim Ausspionieren von Drogenschmugglern … und endet dort. Predators und Reapers machen nicht nur Spionageflüge, sie sind mit Raketen bewaffnet und können töten. Mit wenigen und sehr speziellen Ausnahmen ist dies nichts, was das Militär in Südamerika tut.« Als eine derartige Ausnahme nennt Ackerman die Jagd auf den kolumbianischen Drogenboß Pablo Escobar und dessen Ermordung 1993. Die bereits jetzt praktizierte zumindest logistische Unterstützung etwa der kolumbianischen Armee beim Kampf gegen die Guerilla erwähnt er hingegen nicht. So soll die gezielte Tötung führender Comandantes der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) durch die Regierungstruppen nur durch die Hilfe der US-Armee möglich gewesen sein.

Offenbar als Reaktion auf eine derartige Aufrüstung hat Venezuela eigene Drohnen angeschafft. Man wolle niemanden angreifen, aber jeder venezolanische Soldat sei bereit, sein Leben für die Unabhängigkeit des Heimatlandes zu geben, warnte Präsident Hugo Chávez am vergangenen Mittwoch (Ortszeit) bei der Präsentation des ersten in Venezuela hergestellten unbemannten Aufklärungsflugzeugs. Das etwa vier Meter lange Gerät wurde von venezolanischen Ingenieuren mit technischer Unterstützung des Iran entwickelt, berichtete stolz Brigadegeneral Julio César Morales am Luftwaffenstützpunkt Maracay. Die Drohne könne Videobilder und Fotos in Echtzeit übertragen, habe einen Aktionsradius von 100 Kilometern, könne bis auf 3000 Meter Höhe steigen und bis zu 90 Minuten lang in der Luft bleiben. Chávez riet den USA, nicht ihre Zeit mit Vorwürfen gegen Venezuela zu verschwenden: »Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie ganz schnell behaupten, daß diese Drohnen Atombomben transportieren«, scherzte er mit Blick auf frühere, nie bewiesene Medienberichte über angebliche Uranlieferungen aus Teheran an Caracas.

Diese Äußerungen des venezolanischen Präsidenten seien »extravagant«, behauptete postwendend die Sprecherin des US-State Department, Victoria Nuland, am Donnerstag während einer Pressekonferenz. Venezuela könne durch die Zusammenarbeit »einige der von der internationalen Gemeinschaft gegen Iran verhängten Sanktionen verletzt« haben. Washington verfolge »sehr wachsam«, wie sich diese Angelegenheit weiter entwickele.

* Aus: junge Welt, Montag, 18. Juni 2012


Zurück zur Venezuela-Seite

Zur Drohnen-Seite

Zurück zur Homepage