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Das Zentrum verlagert sich

Hugo Chávez von Hu Jintao in Peking empfangen

Von André Scheer *

Auf Einladung des chinesischen Präsidenten Hu Jintao ist Venezuelas Staatschef Hugo Chávez am Dienstag zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres zu einem Arbeitsbesuch in Peking eingetroffen. Auf dem Internationalen Flughafen der chinesischen Hauptstadt wurde er von der venezolanischen Botschafterin in China, Rocio Maneiro, und Chinas Vizeaußenminister Li Keqiang empfangen.

Chávez und Hu berieten über 69 Großprojekte im sozialen, wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Bereich, die beide Länder gegenwärtig betreiben. Im Mittelpunkt stand dabei die gewachsene Rolle Chinas als Kunde für das venezolanische Erdöl. Auf bis zu eine Million Barrel täglich sollen die Exporte der in Venezuela aktiven chinesischen Unternehmen ansteigen, bislang liegt die Tagesproduktion bei gut einem Drittel dieser Menge. Zugleich soll in China demnächst die erste venezolanisch-chinesische Erdölraffinerie ihre Arbeit aufnehmen, weitere sind geplant oder im Bau.

Neue Machtprobe

Dieser sechste offizielle Besuch des venezolanischen Präsidenten in China ist zugleich die vierte und letzte Station seiner Rundreise, die ihn in den vergangenen Tagen zunächst zum zweiten lateinamerikanisch-arabischen Gipfeltreffen in Katar und anschließend in den Iran und nach Japan geführt hatte. Bei seiner Ankunft in Peking zog Chávez eine positive Bilanz dieser Reise, die ganz im Zeichen gemeinsamer Antworten auf die Weltwirtschaftskrise gestanden hatte: »Auf der Weltkarte zeigen sich neue Machtpole, eine neue Welt wird geboren, ein neues Gleichgewicht und eine neue Weltordnung«. Die unipolare Weltordnung der USA sei an ihr Ende gekommen, während Peking, Tokio und Teheran zu den neuen Zentren gehörten: »Wir sehen ganz deutlich, wie sich das Gravitationszentrum des Planeten nach Osten und Süden verlagert, und deshalb sind wir hier.«

Am Mittwoch empfing Hu Jintao den venezolanischen Präsidenten zu einer bilateralen Begegnung in der Großen Halle des Volkes. »Chávez ist ein alter, großer Freund Chinas«, würdigte Hu seinen Gast.

Die politischen und Handelsbeziehungen zwischen Venezuela und China haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verstärkt und allein im vorigen Jahr ein Gesamtvolumen von zehn Milliarden Dollar erreicht, eine Steigerung um über 60 Prozent gegenüber 2007. Noch deutlicher wird die gewachsene Bedeutung Chinas für Venezuela im Vergleich mit dem letzten Jahr vor dem Amtsantritt des Präsidenten Chávez. 1998 tauschten Venezuela und China nur Waren in einem Gesamtwert von 200 Millionen Dollar aus. Venezuela hat sich so nach Brasilien, Mexiko, Chile und Argentinien zu einem der fünf wichtigsten Handelspartner Chinas in Lateinamerika hochgearbeitet.

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern gehen jedoch weit über reine Handelsbeziehungen hinaus. »Beide sind Entwicklungsländer, und wir wollen unsere Erfahrungen austauschen, um uns gemeinsam im Rahmen gerechter internationaler Beziehungen entwickeln zu können«, sagte der chinesische Botschafter in Caracas, Zhang Tuo. Die Regierungen beider Länder seien sich in der Bewertung der internationalen Lage und in ihrem Ziel einer multipolaren Weltordnung weitgehend einig, unterstrich der Diplomat.

Für Allianz gegen Krieg

Kurz vor seiner Abreise nach China hatte Chávez in Tokio den Aufruf des US-Präsidenten Barack Obama für eine atomwaffenfreie Welt begrüßt und ihn eingeladen, eine Allianz zu bilden und gemeinsam gegen die Probleme der Welt zu kämpfen: »Bilden wir eine Allianz, um gemeinsam Hunger, Elend, Krieg, Gewalt, Rassismus, Drogenhandel, Terrorismus zu bekämpfen, welchen und wo auch immer. Seien wir Geburtshelfer einer neuen Welt und Totengräber der alten und schrecklichen Welt«. Er reiche Obama die Hand, damit er »auf diese Seite« komme, die Seite derjenigen, die wirklich eine Welt des Friedens wollen. Die Erklärungen Obamas hätten auch ihn selbst überrascht, sagte Chávez: »Daß so etwas der Präsident der Vereinigten Staaten sagt, der wichtigsten Atommacht des Planeten und des einzigen Landes, das es gewagt hat, Atombomben auf ein Volk zu werfen und dafür nie um Verzeihung gebeten hat«.

* Aus: junge Welt, 9. April 2009


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