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Capriles beleidigt Trauernde

Venezuela: Oppositionskandidat attackiert Familie von Hugo Chávez

Von Modaira Rubio, Barinas *

Bei den Wahlen am 14. April stehen sich in Venezuela der derzeit geschäftsführend amtierende Präsident des Landes, Nicolás Maduro, und Oppositionskandidat Henrique Capriles Radonski gegenüber. Beide wollten am Montag ihre Bewerbungen um die Nachfolge des am 5. März verstorbenen Hugo Chávez offiziell beim Nationalen Wahlrat (CNE) einreichen.

Das Oppositionsbündnis »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD) hatte zur Bestimmung seines Vertreters keine Versammlungen oder Konferenzen einberufen, sondern Capriles lediglich über eine Twitter-Nachricht die erneute Kandidatur angeboten. Der Gouverneur des Bundesstaates Miranda war bereits bei den Wahlen am 7. Oktober vergangenen Jahres angetreten, damals jedoch Hugo Chávez klar unterlegen. Ebenfalls über Twitter antwortete Capriles, er wolle über den Vorschlag nachdenken und kündigte an, seine Entscheidung am Sonntag abend bekanntzugeben. Zuvor hatte der extreme Flügel der Regierungsgegner gefordert, auf eine Nominierung zu verzichten und die Wahlen zu boykottieren.

Capriles nahm die Nominierung jedoch an, zog in seiner Ansprache am Sonntag abend (Ortszeit) in Caracas jedoch das Agieren des CNE und des Obersten Gerichtshofs in Zweifel. Beleidigend wurde er gegenüber den Angehörigen des verstorbenen Präsidenten. Chávez sei nicht am vergangenen Dienstag gestorben, sondern bereits im Dezember, behauptete er. Die Familie des Staatschefs habe sich für einen »Zirkus« um den Leichnam hergegeben, durch den die Regierung habe Zeit gewinnen wollen. Zudem fragte er Maduro, ob dieser das »Weinen im Schauspielunterricht in Kuba gelernt« habe. Der amtierende Staatschef hatte bei öffentlichen Auftritten in den letzten Tagen mehrfach die Tränen nicht zurückhalten können. Das »chavistische Volk« auf der Straße rief Capriles auf, nach Hause zurückzukehren: »Chávez ist nicht mehr da, und keiner kann ihn euch zurückgeben. Für mich als Gläubigen war das die Entscheidung Gottes«.

In den noch immer kilometerlangen Warteschlangen der Menschen, die sich in der Militärakademie am offenen Sarg vom verstorbenen Comandante verabschieden wollen, sorgte Capriles mit seinen Äußerungen für Wut und Empörung. Maduro sah sich deshalb gezwungen, die Menschen aufzurufen, nicht auf Provokationen hereinzufallen. Die Erklärung des Oppositionskandidaten habe das Ziel verfolgt, Chaos und Gewalt zu schüren. Die Zahl der Venezolaner, die bereits an dem aufgebahrten Chávez vorbeigezogen sind oder noch auf dem Weg sind, wird inzwischen auf mehr als fünf Millionen geschätzt. Chávez’ Angehörige erklärten, sie prüften rechtliche Schritte gegen Capriles.

Wenige Stunden zuvor hatte die KP Venezuelas (PCV) ihre Unterstützung für Maduro erklärt. Einstimmig beschloß die eilig einberufene Nationalkonferenz, ein »kleiner Parteitag«, den amtierenden Staatschef als Kandidaten zu nominieren und würdigte die Verwurzelung des ehemaligen Busfahrers und Gewerkschafters in der Arbeiterklasse sowie dessen Leistungen in der internationalen Politik Venezuelas während seiner sechsjährigen Amtszeit als Außenminister. Maduro, der in Begleitung zahlreicher Minister in das Gebäude des PCV-Zentralkomitees gekommen war, beantwortete die Nominierung mit einer bewegenden Rede, in der er mit Tränen in den Augen unterstrich: »Ich bin nicht Chávez, ich bin ein Sohn von Chávez«. Er bat die Kommunisten um Unterstützung und moralische Begleitung, um den Aufbau des Sozialismus fortsetzen zu können und würdigte die »fast perfekte« Geschichte der PCV, der niemand Korruption oder Geschäfte zum Schaden des Landes vorwerfen können: »Jemanden einen Kommunisten zu nennen, bedeutet, ihn ehrlich und bescheiden zu nennen.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 12. März 2013


Chávez in die Ruhmeshalle

Venezuela: Volk soll über letzte Ruhestätte des verstorbenen Präsidenten abstimme

Von André Scheer **


Die Bevölkerung Venezuelas soll darüber abstimmen, ob der Körper des am 5. März verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez in den Panteón Nacional, die Ruhmeshalle des Landes, überführt werden soll. Das kündigte der geschäftsführende Staatschef Nicolás Maduro am Sonntag (Ortszeit) an und griff damit eine Forderung von Unterstützern auf. Ein Antrag auf die dazu notwendige Verfassungsänderung soll am heutigen Dienstag in der Nationalversammlung eingebracht werden. Innerhalb von 30 Tagen muß dann ein Referendum stattfinden, in dem die Bevölkerung die Entscheidung zu ratifizieren hat. Es könnte also parallel zu den Präsidentschaftswahlen am 14. April durchgeführt werden.

Bislang verhindert die Verfassung Venezuelas eine sofortige Überführung von Chávez in den Nationalpantheon. Artikel 187 erlaubt eine Bestattung dort erst 25 Jahre nach dem Tod einer Persönlichkeit. In der Ruhmeshalle ruhen bislang 179 Persönlichkeiten der venezolanischen Geschichte, unter anderem die Pianistin und Komponistin Teresa Carreño (1853–1917), der Schriftsteller und Staatspräsident Rómulo Gallegos (1884–1969), vor allem aber der Nationalheld Simón Bolívar und dessen Lehrer Simón Rodríguez. Auf diese spielt ein Ruf an, den die Anhänger des verstorbenen Staatschefs in den vergangenen Tagen prägten und der von Maduro aufgegriffen wurde: »Chávez in den Pantheon, an die Seite von Simón!«

Zunächst wird der Leichnam des Präsidenten am kommenden Freitag in das Militärgeschichtliche Museum von Caracas überführt. Die einstige »Bergkaserne« war am 4. Februar 1992, während des gescheiterten Aufstands gegen den damaligen Staatschef Carlos Andrés Pérez, Befehlsstand von Hugo Chávez. Hier soll der Körper aufgebahrt werden, bis dessen endgültiger Verbleib geklärt ist. So soll allen Trauernden die Gelegenheit gegeben werden, sich vom Präsidenten zu verabschieden.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 12. März 2013


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