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"Der arabische Golf ist von strategischer Bedeutung für Deutschland ... Denken Sie nur an die umfangreichen Rohölvorkommen, die dort lagern"

Vereinigte Arabische Emirate: Bundeskanzler Schröder im Interview mit der Emirates News Agency vom 3. März

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das Bundeskanzler Gerhard Schröder während seiner einwöchigen Reise durch sieben Golfstaaten (28. Februar bis 5. März 2005) der Emiratischen Nachrichtenagentur gab. Ergänzend bringen wir - im Kasten weiter unten - noch einen Ausschnitt aus einer Rede des Kanzlers vor dem Deutsch-Emiratischen Wirtschaftsforum am 5. März in Abu Dhabi. In dieser Rede bescheinigt Schröder den Vereinigten Arabischen Emiraten, Anschluss an die Moderne gefunden zu haben: "Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich unter der Führung von Scheich Zayed zu einem Anker der Stabilität, der Toleranz und des Wachstums in der Golfregion entwickelt. Wir wissen dieses Erbe bei der nachfolgenden Generation der Staatsführung in guten Händen." Da kann sich der Emir von Abu Dhabi freuen. Denn ein solcher Persilschein in "good governance" versteht sich nicht von selbst. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben seit ihrem Bestehen eine Staatsführung, die noch nie gewählt wurde, sondern sich aus den sieben Scheichs der sieben Emirate zusammensetzt. Diese Gruppe ernennt das Staatsoberhaupt und ernennt eine sog. Nationalversammlung (40 Mitglieder), die zudem nur beratende Stimme hat. Dass in den VAE das islamische Recht, die Scharia, herrscht, ist dem Kanzler möglicherweise auch nicht bekannt. Was für ihn bei seinem Aufenthalt vor allem zählte, waren die Anbahnung von Wirtschaftskontakten und der Abschluss von Handelsverträgen (darunter der Verkauf von 32 Fuchs-Spürpanzern, siehe: "Rot-Grün sorgt für deutschen Rüstungsboom").


Interview mit der Emirates News Agency vom 3. März

Frage: Die Beziehungen zwischen den VAE und Deutschland entwickeln sich ausgezeichnet. Welches sind Ihre Pläne für die weitere Entwicklung dieser Beziehung?

Schröder: Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und den VAE sind schon seit langem hervorragend. Die VAE sind unser wichtigster Handelspartner in der Region. Unsere äußerst erfolgreiche Zusammenarbeit bei der Ausbildung irakischer Polizisten und Soldaten zeigt, dass auch auf politischer Ebene ein enges und vertrauensvolles Verhältnis besteht. Wir wollen diese Beziehungen kontinuierlich vertiefen und auf weitere Bereiche ausdehnen. So streben wir als nächsten Schritt an, den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch zwischen unseren Ländern zu intensivieren. Es wäre gut, wenn zukünftig mehr emiratische Studenten an deutschen Hochschulen studieren würden. Aber auch in vielen internationalen Fragen gibt es gemeinsame Interessen. Denken Sie nur an die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Internationalen Terrorismus oder beim globalen Umweltschutz.

Welches sind die Hauptthemen, die Sie mit der VAE-Führung während Ihres Besuches in Abu Dhabi besprechen möchten?

Die Erörterung der politischen Lage in der Region wird ein wichtiges Thema sein. Die VAE haben - als unmittelbarer Nachbar - ein ganz besonderes Interesse an einer friedlichen Entwicklung im Irak und Iran, natürlich auch an der Lösung des Nahost-Konflikts. Zur Stabilisierung des Iraks leisten wir ja gemeinsam einen wichtigen Beitrag. Mich interessiert natürlich die Einschätzung der VAE-Führung zu Irak, aber auch zu anderen regionalen Fragen. Wir werden uns auch über die Gespräche der EU-3 mit dem Iran austauschen. Schließlich geht es mir darum, die vereinbarte strategische Partnerschaft mit den VAE weiter zu festigen.

Ist die Annahme richtig, dass die strategische Partnerschaft zwischen den VAE und Deutschland beide Länder zu einer neuen Qualität der Beziehungen führen wird, die auch beispielhaft für die bilaterale Zusammenarbeit in der gesamten arabischen Region ist?

In unserer globalisierten Welt sind wir zunehmend mit Herausforderungen konfrontiert, die uns alle betreffen, die wir aber alleine nicht bewältigen können. Um diese Probleme zu lösen, müssen die Staaten der Welt im gegenseitigen Respekt zusammenarbeiten und ihre jeweiligen Stärken zum gemeinsamen Vorteil einbringen. Die strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und den VAE ist hierfür ein gutes Beispiel, das sicher auch als Anregung für andere Länder der Region dienen kann. In der Tat bestehen heute zwischen unseren beiden Ländern Beziehungen ganz neuer Qualität, die wir im Geiste ehrlicher und gleichberechtigter Partnerschaft weiter ausbauen wollen.

Welches sind die Ziele Ihrer Reise durch den arabischen Golf, Herr Bundeskanzler?

Der arabische Golf ist eine Region von strategischer Bedeutung für Deutschland und Europa. Denken Sie nur an die umfangreichen Rohölvorkommen, die dort lagern. Deren verantwortungsvolle Exploration ist eine wichtige Voraussetzung für die Energiesicherheit unserer Volkswirtschaften. Aber auch politisch wird die Region immer wichtiger: im Kampf gegen den Internationalen Terrorismus und als Verbündeter bei der Förderung nachhaltiger Entwicklung in den Krisengebieten dieser Welt. Durch die sich verstetigende regionale Integration im Rahmen des Golf-Kooperationsrates eröffnen sich im übrigen weitere Chancen der Zusammenarbeit. Sie zukünftig noch besser zu nutzen - genau darum geht es mir bei dieser Reise.

Deutschland hat in Zusammenarbeit mit den VAE hervorragende Arbeit bei der Ausbildung irakischer Polizisten und Soldaten geleistet und damit mitgeholfen, dass das irakische Volk die Vorsorge für Sicherheit in die eigenen Hände nehmen kann. Wie lange wird die gemeinsame Ausbildung noch andauern?

Wesentliche Voraussetzung für die Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung im Irak ist der Aufbau funktionierender und rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteter Sicherheitskräfte. Um hier einen Beitrag zu leisten, haben wir zusammen mit unseren Partnern aus den Vereinigten Arabischen Emiraten - denen ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank für die bisherige ausgezeichnete Zusammenarbeit und Unterstützung ausspreche - diese sehr erfolgreiche Ausbildungskooperation ins Leben gerufen. Bislang wurden über 400 irakische Polizisten und 120 Transportsoldaten aus- und fortgebildet sowie 100 Militär-Lkw geliefert. Weitere Kurse sind geplant. Im April wird die Ausbildung von irakischen Pioniersoldaten beginnen. Auch die Polizeiexpertenausbildung wird fortgesetzt. Wir haben vereinbart, in regelmäßigen Abständen Bilanz zu ziehen. Wie lange wir diese Maßnahmen weiterführen, wird im Wesentlichen vom Bedarf sowie von der weiteren Entwicklung im Irak abhängen.

Beabsichtigt Deutschland sich zukünftig an Friedensmissionen im Irak zu beteiligen und wie beurteilen Sie den Wiederaufbau Iraks?

Deutschland hat sich aus guten Gründen nicht am Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein beteiligt. Es bleibt dabei: Wir werden keine Soldaten in den Irak entsenden. Diese Rote Linie wird von unseren Freunden und Partnern, auch den USA, verstanden. Natürlich ist die Präsenz ausländischer Streitkräfte in der gegenwärtigen Situation im Irak noch erforderlich. Es geht jedoch darum, die irakischen Sicherheitskräfte in die Lage zu versetzen, so rasch wie möglich selbst in ausreichendem Maße für Sicherheit zu sorgen.

Herr Bundeskanzler, kürzlich haben Sie Libyen besucht. Glauben Sie, dass dieser Besuch für die Entwicklung der Beziehungen mit diesem arabischen Land von Bedeutung war?

Mein Besuch dort war ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Wiederannährung zwischen der EU und Libyen. Libyen hat durch mutige außenpolitische Entscheidungen seine jahrzehntelange Isolation überwunden und ist dabei, sich wieder in die internationale Staatengemeinschaft zu integrieren. Ich begrüße dies sehr und hoffe, dass Libyen durch eine Vollmitgliedschaft im Barcelona-Prozess weiter an die EU herangeführt werden kann. Deutsche Unternehmen schätzen Libyen als Wirtschaftspartner außerordentlich und sind mit zunehmendem Erfolg im Lande tätig.

Wie werden Sie das palästinensische Volk in Zukunft unterstützen? Wie glauben Sie, dass das Nahost-Problem nach der Wahl von Abu Mazen zum Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde gelöst werden könnte?

Die jüngste Entwicklung im israelisch-palästinensischen Verhältnis erfüllt uns mit Zuversicht. Wir erkennen seit Amtsantritt von Präsident Abu Mazen positive Bewegung im Nahost-Friedensprozess und sind zuversichtlich, dass uns dies der Gründung eines palästinensischen Staates näherbringen wird.

Denn das bleibt im Einklang mit der Roadmap unser aller Ziel: Die Errichtung eines lebensfähigen, unabhängigen, demokratischen Staates Palästina, der Seite an Seite mit Israel in sicheren und anerkannten Grenzen existiert.

Der angekündigte israelische Abzug aus dem Gazastreifen und Teilen der Westbank ist in diesem Zusammenhang ein sehr wichtiger Schritt, den wir begrüßen.

Was unsere Unterstützung für die Palästinenser angeht, so hat Deutschland in den vergangenen Jahren jährlich 40 bis 50 Mio. Euro an bilateraler Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt. Auch 2005 wird sich der deutsche Beitrag in dieser Größenordnung bewegen. Die Palästinensischen Gebiete sind damit ein Schwerpunkt-Partnerland unserer Entwicklungszusammenarbeit. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Hinzu kommt ein deutscher Anteil von rund einem Viertel an den entsprechenden EZ-Leistungen der EU (allein 2004 insgesamt rund 125 Mio. €), sowie deutsche humanitäre Hilfe von etwa 8 Mio. € in 2004, die ausschließlich palästinensischen Flüchtlingen zugute kommt.

Wie bewerten Sie die Beziehungen zwischen Europa und den Golf-Anrainerstaaten? Gehen Sie davon aus, dass beide Seiten in der Lage sein werden, die Hürden zum Abschluss eines Freihandels-Abkommens zu überwinden?

Die Beziehungen sind gut, aber noch ausbaufähig. Wie Deutschland ist auch die Europäische Union daran interessiert, diese im Rahmen einer strategischen Partnerschaft weiter zu entwickeln. Das Freihandelsabkommen wird ein erster Schritt in diese Richtung sein. Die Verhandlungen haben im letzten Jahr deutliche Fortschritte gemacht. Ich hoffe, dass auch bei den noch offenen Punkten bald eine Übereinkunft erzielt werden kann. So wird das Thema auch auf der Tagesordnung des nächsten Treffens des EU-GCC-Ministerrats stehen, das im April in Bahrain stattfinden wird.

Quelle: Homepage der Bundesregierung: www.bundesregierung.de

Rede des Kanzlers vor dem Deutsch-Emiratischen Wirtschaftsforum am 5. März in Abu Dhabi

Auszug

(...) nicht nur die politischen und kulturellen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind exzellent. Dies gilt ebenso für die wirtschaftliche Partnerschaft, die wir weiter ausbauen möchten.

Unser gemeinsamer Handel wächst weiterhin sehr stark. Die deutschen Exporte haben ein Niveau von mehr als 3,5 Milliarden Euro erreicht. Damit sind die Vereinigten Arabischen Emirate für deutsche Unternehmen der Hauptabsatzmarkt in der Golfregion.

Und dabei ist uns allen bewusst, dass wir unsere gemeinsamen Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft haben. Dies gilt vor allem für die stärkere Zusammenarbeit mit mittelständischen Unternehmen, die in großer Zahl in meiner Delegation vertreten sind. Auch der Mittelstand ist bereit, sich in den Emiraten noch stärker als bisher zu engagieren.

Wichtig ist für diese Unternehmen, dass die Emirate die Liberalisierung des Wirtschafts- und Handelsrechts konsequent fortsetzen. Denn gerade der Mittelstand ist auf unbürokratische und stabile Rahmenbedingungen für seine Investitionen angewiesen.

Zur Verbesserung dieser Rahmenbedingungen gehört auch die Errichtung einer Zollunion der Golf-Kooperationsstaaten. Diese Zollunion ist eine entscheidende Voraussetzung für den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union, dem wir nun entscheidend näher gekommen sind.

Meine Damen und Herren,

in Abu Dhabi und Dubai arbeiten bereits mehr als 600 deutsche Firmen. Ich freue mich deshalb über die Initiative von Sheikh Rakhad, in Dubai ein "Deutsches Haus" zu errichten. In diesem "Deutschen Haus" werden unsere Aktivitäten zur Wirtschaftsförderung konzentriert und damit für die deutsche wie die hiesige Wirtschaft kurze und unbürokratische Wege geschaffen.

Die wirtschaftliche Dynamik von Dubai hat viele deutsche Unternehmen beim Partnerschaftsforum in München im vergangenen Jahr begeistert. Ich freue mich, dass schon im Mai ein zweites Partnerschaftsforum unter Beteiligung aller sieben Emirate in Essen stattfindet, an dem ich gern teilnehmen werde.

Das Forum ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, die großen Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu vertiefen. Wir werden dieses Partnerschaftsforum auch nutzen, um den vereinbarten Gemeinsamen Wirtschaftsrat ins Leben zu rufen.

Meine Damen und Herren,

die wirtschaftliche Dynamik hat insbesondere in Abu Dhabi deutlich zugenommen.

Wir unterstützen die Absicht der Regierung, die Diversifizierung der Wirtschaft weiter voranzutreiben.

Dies eröffnet neue Möglichkeiten der Kooperation, wie etwa das Engagement von Abu Dhabi bei Volkswagen und das von Dubai bei DaimlerChrysler. Diese Zusammenarbeit, davon bin ich überzeugt, ist eine klassische "win-win"-Situation für beide Seiten: Die Emirate bringen durch das Engagement die Diversifizierung ihrer Wirtschaft voran. Und in Deutschland trägt dieses Engagement dazu bei, den Standort zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern.

Auch die Zusammenarbeit im Tourismusbereich und im Gesundheitswesen werden wir in diesem Sinne weiter ausbauen.

Meine Damen und Herren,

dies sind nur einige Beispiel des großen Potenzials unserer Zusammenarbeit, die wir politisch in den Rahmen einer Strategischen Partnerschaft eingebettet haben.

Gemeinsam haben unsere beiden Länder ein Interesse an Frieden und Stabilität in dieser Region - aber auch darüber hinaus.

Gemeinsam treten wir dafür ein, die Kräfte zu stärken, die sich weltweit für nachhaltige Entwicklung, Überwindung der Armut und friedlichen Ausgleich einsetzen.

Gemeinsam wollen wir mithelfen, die endlichen Ressourcen unserer "Einen Welt" verantwortungsvoll zu nutzen.

Das sind Aufgaben, die wir im Rahmen unserer vereinbarten strategischen Partnerschaft und in großem gegenseitigen Respekt gemeinsam bewältigen wollen. (...)

Quelle: Homepage der Bundesregierung: www.bundesregierung.de



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