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Frente Amplio trotzt den Umfragen

Uruguayisches Linksbündnis gewinnt absolute Mehrheit im Parlament / Vázquez geht als Favorit in Stichwahl

Von Karl-Ludolf Hübener, Montevideo *

In Uruguay kommt es am 30. November zu einer Stichwahl um die Präsidentschaft zwischen Tabaré Vázquez vom Linksbündnis Frente Amplio und Luis Lacalle von der konservativen »Blanco«-Partei.

Bedrückte und besorgte Gesichter machten sich breit. Gerüchte und informelle Umfragen sagten dem regierenden Linksbündnis Frente Amplio, der »Breiten Front«, erhebliche Stimmenverluste voraus. Doch am späten Abend strahlte ihr Präsidentschaftskandidat Tabaré Vázquez. Immer wieder ein Lächeln, das wohl auch den Zweiflern in den eigenen Reihen galt. Als wollte er sagen: Hab ich doch gesagt. Die Frente erreicht voraussichtlich 47,8 Prozent, die parlamentarische Mehrheit im 99-köpfigen Abgeordnetenhaus wäre damit gesichert.

Nun kann sich der 74-Jährige beruhigt auf die Stichwahl um das Präsidentenamt am 30. November vorbereiten, anders als die Demoskopen vorausgesagt hatten. Sie hatten den Stimmenanteil der »Breiten Front« notorisch unterbewertet. Sein Kontrahent und Senkrechtstarter in der konservativen »Blanco«-Partei, der 41-jährige Luis Lacalle Pou, geht dagegen geschwächt in die Stichwahl am 30. November, auch wenn er von Pedro Bordaberry, dem unterlegenen Präsidentschaftskandidaten der oppositionellen »Colorado«-Partei volle Unterstützung erhält. Dieser hatte seiner Partei 20 Prozent der Stimmen vorausgesagt. Es wurden aber nur kümmerliche 13 Prozent, das zweitschlechteste Ergebnis der Traditionspartei in ihrer langen Geschichte. Versteinert wirkte das Gesicht Bordaberrys aber nicht nur, weil der Wähler dem Kandidaten und seiner Partei eine schallende Ohrfeige verpasst, sondern auch weil er das Plebiszit zur Senkung der Strafmündigkeit verloren hatte. Damit die Bevölkerung »in Frieden leben« kann, wollte er mit der Volksabstimmung die Strafmündigkeit von 18 auf 16 Jahre senken.

Die eigentliche Überraschung des Wahltages war aber das Abschneiden kleinerer Parteien, die vorher keine große Rolle gespielt hatten, aber nun im Parlament Zünglein an der Waage sein könnten. Die sozialdemokratische »Partido Independiente« hat sich mit 3,1 Prozent der Wählerstimmen schon als Mehrheitsbeschaffer angeboten. Nicht so die linke »Unidad Popular«, die voraussichtlich einen Abgeordneten ins Parlament schickt. In ihr haben vor allem enttäuschte Frente-Wähler eine neue politische Heimat gefunden haben und die frühere antikapitalistische und antiimperialistische Fahne der »Breiten Front« hochhalten. Nicht so eindeutig ist das Profil von PERI (Partido Ecologico Radical Intransigente), die das von der Frente sträflich vernachlässigte Umweltthema besetzt hält. Allerdings verscherzte sich César Vega, PERI-Vorsitzender, manche Sympathien, weil er Vergewaltiger kastrieren will – allerdings, wie er nach Protesten nachschob, »auf chemische Art und Weise«.

Im 30-köpfigen Senat gibt es voraussichtlich ein Patt. Die Frente stellt 15 Senatoren. Reibungsloses Regieren ist Tabaré Vázquez damit auch im Falle eines Sieges bei den Stichwahlen nicht garantiert, auch weil Constanza Moreira, seine Gegenkandidatin bei den Frente-internen Wahlen um die Präsidentschaftskandidatur, und José »Pepe« Mujica, der bisherige Präsident, nicht alle präsidialen Wünsche widerspruchslos hinnehmen werden. Beide sitzen im Senat. Die ersten verbalen Scharmützel zwischen Tabaré Vázquez und Mujica gab es bereits vor den Wahlen.

Mit einem Bündnispartner könnte er seine linken Kritiker im Parlament im Zaun halten. Doch dann müsste er das Regierungsprogramm verhandeln. Nicht gerade eine Stärke von Tabaré Vázquez. Er sei ein Mann, »dem Dialog und Verhandeln nicht sonderlich gefallen«, urteilt der angesehene Politologe Oscar Botinelli: Vázquez baue auf »auf Hierarchie und Unterordnung«. Er tue sich schwer, »eine Verständigung zu suchen. Allerdings weiß er, schnell zu entscheiden und Autorität auszuüben.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Oktober 2014


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