Hehre Ziele eines Rückkehrers
Uruguays neuer Präsident Vázquez war schon einmal Staatschef. Der Sozialdemokrat will soziale Prinzipien, aber nicht mit dem Kapitalismus brechen
Von Volker Hermsdorf *
Der im Dezember letzten Jahres mit 53,6 Prozent zum neuen Präsidenten von Uruguay gewählte 75jährige Krebsspezialist Tabaré Vázquez hat am Sonntag (Ortszeit) in der Nationalversammlung in Montevideo seinen Amtseid abgelegt. An der Zeremonie hatten zahlreiche Staats- und Regierungschefs, darunter die Präsidenten Raúl Castro (Kuba), Dilma Rousseff (Brasilien), Michelle Bachelet (Chile) und Rafael Correa (Ecuador) sowie der frühere spanische König Juan Carlos teilgenommen. Anschließend empfing der neue Regierungschef auf dem Unabhängigkeitsplatz der Hauptstadt die Präsidentenschärpe von seinem Vorgänger José Mujica.
Der für fünf Jahre gewählte Vázquez war wie Mujica Kandidat des seit 2005 regierenden Mitte-Links-Bündnisses »Frente Amplio«, gehört aber nicht der gleichen Partei wie sein Vorgänger an. Vázquez ist Mitglied der sozialdemokratisch orientierten »Sozialistischen Partei«. Der 79jährige Mujica, der nicht erneut kandidieren durfte, gehört der von ehemaligen Mitgliedern der Tupamaro-Guerilla gegründeten »Bewegung für die Beteiligung des Volkes« (MPP) an. Vázquez war zwischen 2005 und 2010 schon einmal Präsident des gut 3,3 Millionen Einwohner zählenden Landes. Sein Bündnis progressiver Parteien, das von linken Christen bis zu Kommunisten reicht, verfügt in beiden Kammern des Parlaments über die absolute Mehrheit. Mit fünf von 13 Ministern und zwei Staatssekretärinnen sind im neuen Kabinett mehr Frauen als je zuvor vertreten.
In seiner Antrittsrede berief sich der neue Präsident auf den Politiker und General José Gervasio Artigas (1764–1850), der eine Revolution gegen die Kolonialherrschaft angeführt hatte und als »Vater der Unabhängigkeit Uruguays« bezeichnet wird. Der Regierungschef kündigte an, sich in seiner Amtszeit an den vom Nationalhelden Artigas eingeforderten menschlichen Werten und sozialen Prinzipien zu orientieren. Seine Regierung wolle für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Solidarität, Integration und Respekt einstehen. Schwerpunkte seien in den nächsten Jahren vor allem Verbesserungen in den Bereichen der öffentlichen Bildung und Erziehung, beim Wohnungsbau und im Gesundheitssystem. Dort gibt es Bedarf. Derzeit helfen rund 30 kubanische Ärzte der Bevölkerung des Landes im Rahmen der »Operation Milagro« mit Augenoperationen, 236 Studenten aus Uruguay werden an kubanischen Universitäten ausgebildet.
Im internationalen Teil seiner Ansprache betonte Vázquez, dass die Welt heute von »schrecklichen« Vorgängen erschüttert werde. Unter anderem nannte er »die kriegerischen Konflikte« und die Toten in aller Welt, deren Schicksal hätte verhindert werden können. »Nur selten in ihrer Geschichte wurde die Menschheit so erschüttert, so niedergedrückt und so geschlagen wie in der heutigen Zeit. Die Gewalt, die Angst, der Terror, die Intoleranz breiten sich in verschiedenen Regionen unseres Planeten aus«, sagte der Präsident. Vor der Rede hatte Vázquez im Gespräch mit Journalisten dazu aufgefordert, die »Demokratie und die demokratischen Prozesse in Venezuela zu respektieren« und die Gewalt gegen die dortige staatliche Ordnung verurteilt. Er betonte, dass sein Amtskollege Nicolás Maduro in freien, demokratischen und »sauberen« Wahlen von der Mehrheit des Volkes zum Präsidenten gewählt worden sei. Maduro, der seine Teilnahme an der Amtseinführung wegen der anhaltenden Putschgefahr in seinem Land abgesagt hatte, werde Uruguay schon bald besuchen.
Vázquez tritt sein Amt zu einer Zeit an, in der sich das Wirtschaftswachstum des Landes als Folge der weltweiten Konjunktureinbrüche abschwächt. Nach ihrem ersten Wahlsieg war es der »Frente Amplio«, die innerhalb des kapitalistischen Modells andere Schwerpunkte setzen wollte, in den letzten zehn Jahren gelungen, die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordtief zu senken. Im gleichen Zeitraum haben sich die Einkommen aus abhängiger Arbeit verdoppelt. Obwohl Vázquez im Wahlkampf versprochen hatte, sein Bündnis werde »dem Sozialismus in Uruguay den Weg bahnen«, ist ein Bruch mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell nicht vorgesehen. Das könnte den bisherigen Erfolgskurs gefährden. Die Unternehmen versuchen, höhere Arbeitskosten zu kompensieren und die sozialpolitischen Erfolge der letzten Jahre werden durch steigende Verbraucherpreise sowie höhere staatliche Abgaben und Gebühren reduziert. In diesem Jahr liegt die erwartete Inflationsrate mit gut acht Prozent über der Prognose, das Bruttoinlandsprodukt wächst geringer als in den Vorjahren und die Staatsverschuldung steigt. Für Vázquez und die »Frente Amplio« sind das schwierige Voraussetzungen, den versprochenen »grundlegenden gesellschaftlichen Umbau« innerhalb der bestehenden Wirtschaftsordnung verwirklichen zu können.
* Aus: junge Welt, Dienstag, 3. März 2015
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