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Sieben Monate Mitte-Links-Regierung in Uruguay:

Präsident Tabaré Vázquez im Spagat zwischen sozialer Gerechtigkeit und Freihandel

Es folgen zwei aktuelle Beiträge zur Situation in Uruguay - sieben Monate nach dem Wahlsieg des Mitte-Links-Präsidenten Tabaré Vázquez. Anlass für die Artikel ist der Besuch des Präsidenten in Deutschland am 18. Oktober 2005, der ihn nach Hamburg (Handelskammer) und Berlin (Friedrich-Ebert-Stiftung) geführt hat.



Der bessere Kapitalist

Beim Deutschland-Besuch des uruguayischen Präsidenten Tabaré Vázquez wurden die Schwierigkeiten des politischen Neuanfangs deutlich

Von Timo Berger und Harald Neuber


Seit gut sieben Monaten ist die Mitte-Links-Regierung in Uruguay nun im Amt. Und seit gut sieben Monaten steht sie unter kritischer Beobachtung. Nicht nur in dem südamerikanischen Land hatte der Sieg der Frente Amplio (Breite Front) am 31. Oktober 2004 große Hoffnungen geweckt. Als Vázquez am 1. März dieses Jahres die Regierung übernahm, traf das auch international auf große Resonanz. Immerhin war damit der 170jährigen Zwei-Parteien-Herrschaft aus »Colorados« und »Blancos« ein Ende gesetzt.

Von den versprochenen Reformen ist bislang jedoch wenig zu merken. Zwar startete der Präsident gleich nach Regierungsantritt ein Notprogramm für die ärmsten Teile der Bevölkerung; nach seinen Angaben ist ein Drittel der Bevölkerung von der Wirtschaftskrise 2001/2002 betroffen, bis zu 200000 leben unter der Armutsgrenze. Doch selbst die der Vázquez-Regierung nahestehende deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) erkennt an, »daß der Optimismus größer war als die Umsetzungsfähigkeiten«. Trotz dieses Eingeständnisses lud die SPD-nahe Stiftung den Präsidenten am Dienstag nach Berlin ein, um ihn zur »linken Zeitenwende in Uruguay« referieren zu lassen.

Die Veranstaltung bildete den Abschluß eines eintägigen Deutschland-Besuches des uruguayischen Präsidenten. Am Dienstag vormittag hatte der Krebsspezialist und Staatspräsident Vázquez der versammelten Unternehmerschaft der Hamburger Handelskammer »günstige Bedingungen« bei dem geplanten Ausbau des Hafens von Montevideo angeboten. Vor dem Besuch der Ebert-Stiftung war er in Berlin mit dem ehemaligen Weltbankchef und derzeitigen deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler zusammengetroffen. Der letzte Programmpunkt dann kam einem Treffen alter Bekannter gleich. Unmittelbar nach seiner Wahl hatte Vázquez der FES persönlich für ihr Engagement in Uruguay gedankt. Diese revanchierte sich nun mit der Ausrichtung des Podiums.

Vor vollem Saal machte der ehemalige Bürgermeister von Montevideo seinem Ruf als moderater Politiker alle Ehre: Ruhig, mitunter langatmig skizzierte er die Grundzüge seines Regierungsprogramms. Dieses beruhe auf drei Säulen: der Unterstützung des Gesundheitssystems, der »Förderung von Prinzipien und Werten« und dem Aufbau der Wirtschaft. Als positives Beispiel seiner Regierungsarbeit führte Vázquez die Organisierung von Unbeschäftigten in Arbeitskolonnen an. Diese würden etwa zur Renovierung von Schulbänken eingesetzt. »Ich habe mit diesen Menschen gesprochen, und sie sind glücklich«, sagte Vázquez, »weil sie sich wieder nützlich vorkommen«. Warum es in Uruguay, der einstigen »Schweiz Lateinamerikas«, überhaupt so weit gekommen ist, daß das Inventar von Bildungseinrichtungen sich in so beklagenswertem Zustand befindet, ließ er offen.

Dabei hatte eben diese Frage erst vor wenigen Wochen für die bislang schwerste Krise in der dem Mitte-Links-Bündnis gesorgt. Ende August hatte Wirtschaftminister Danilo Astori mit den Rücktritt gedroht, weil Vázquez gemäß seinem Wahlprogramm darauf bestand, 4,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Bildung zu verwenden. Der Wirtschaftsliberale Astori wollte für den fünfjährigen Wirtschaftsetat maximal 3,5 Prozent zugestehen, um die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht zu gefährden. In letztere Minute konnte der ehemalige Guerillero und heutige Landwirtschaftsmnister José Mujica zwischen beiden Seiten zu vermitteln.

Trotz solcher Streitigkeiten wurde bei dem Vortrag in Berlin klar, daß Vázquez auf dem langen Weg zur Regierungsmacht – erst seine dritte Kandidatur war mit Erfolg gekrönt – zu viele linke Positionen durch einen allzu staatsgläubigen Diskurs ersetzt hat. Der einstige Sozialismus der Frente Amplio klingt nur noch in dem Bekenntnis zu einer gerechteren Verteilung der in Zukunft erwarteten Wachstumsgewinne an. An den bestehenden Verhältnissen jedoch soll nicht mehr gerüttelt werden. »Unser Land braucht keine rechte oder linke Regierung, sondern eine humane Regierung«, sagte Vázquez. Ähnlich äußerte sich auf der Veranstaltung Wirtschaftsminister Astori, als er den strikten Sparkurs der Regierung und die Kooperation mit IWF und Weltbank verteidigte: »Gute Wirtschaftspolitik« sei weder links noch rechts. Im Sparkurs aber liege »der einzige Weg, das Vertrauen der privaten Investoren in die uruguayische Wirtschaft wieder herzustellen«. Linke Positionen klingen anders.

So war es am Ende allein der Außenminister und Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Reinaldo Gargano, der eine fortschrittliche Position vertrat: Die regionale Integration Südamerikas im Freihandelsabkommen MERCOSUR diene doch vor allem dazu, unilaterale Politik künftig zu vermeiden. Nur durch eine engere Kooperation zwischen den Regionen weltweit könne verhindert werden, daß ein Land ein anderes unter Mißachtung der UNO angreife. Alle wußten, wer gemeint war.

* Aus: junge Welt, 20. Oktober 2005


Tabaré Vázquez fordert Marktöffnung der EU

Uruguays Präsident steht für mehr soziale Gerechtigkeit, aber auch für Freihandel

Von Simón Ramírez Voltaire**


Der uruguayische Präsident, Tabaré Vázquez, hat in Berlin gefordert, den europäischen Agrarmarkt für Produkte aus Südamerika zu öffnen.

Die Forderung trifft ins Herz der Welthandelsdebatte. Während die EU um ihren Kurs bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) streitet, machte der uruguayische Präsident Tabaré Vázquez bei seinem Deutschlandbesuch klar, was für den Süden auf dem Spiel steht: Was Uruguay und die Länder des Südens brauchten sei »der Abbau von Zollschranken für unsere landwirtschaftlichen Produkte und ein Ende der europäischen Agrarsubventionen«, sagte der Sozialist Vázquez. Die Länder des Nordens hätten jahrelang die kleinen und unterentwickelten Länder dazu angehalten, alle »Türen und Fenster« für den Weltmarkt zu öffnen: »Von uns wird verlangt, Protektionismus, Importquoten und Subventionen abzubauen. Aber die gleichen Länder, die das von uns fordern, betreiben selbst protektionistische Politik und subventionieren ihre Landwirtschaft.« Bei einem von der Friedrich-Ebert-Stiftung am Dienstag organisierten Publikumsgespräch forderte Vázquez mehr internationale »Handelsgerechtigkeit«. Länder wie Uruguay sollten jetzt Zugang zu den Agrarmärkten bekommen, für Produkte, mit denen sie international konkurrenzfähig seien.

Gleichzeitig warb die Regierung der Mitte-Links-Koalition »Frente Amplio« bei deutschen Investoren um Vertrauen. Um die größten Probleme seines Landes – Armut und Arbeitslosigkeit – zu lösen, sei es von zentraler Bedeutung, Investitionen in das Land zu holen. Dabei sollten die Rechte der Arbeitnehmer gewahrt bleiben. Mit sechs Prozent Wachstum biete Uruguay gute Bedingungen für ausländisches Kapital und die Regierung werde alles daran setzen »ein gutes Investitionsklima zu schaffen«, sagte Vázquez.

Mit den internationalen Finanzinstitutionen – Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Interamerikanische Entwicklungsbank – habe man sich geeinigt, so der uruguayische Finanzminister Danilo Astori. Sie respektierten seine besondere Verpflichtung gegenüber den Armen. Dazu gehöre auch der »Notfallplan«. In der ehemaligen »Schweiz Südamerikas« lebe ein Drittel unterhalb der Armutsgrenze und der Reichtum konzentriere sich in einer kleinen Oberschicht, so der Präsident.

Der Notfallplan ist auf zwei Jahre angelegt und umfasst hundert Millionen Dollar. Vázquez erläuterte, dass damit zunächst Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit und Bildung ergriffen worden seien und mit der Verteilung von Baumaterial werde zur Verbesserung der Wohnqualität beigetragen. Er wolle eine Politik der »sozialen Inklusion« betreiben und die Rechte der Bürger stärken.

Außenpolitisch ist der Gemeinsame Markt des Südens, MERCOSUR, von herausragender strategischer Bedeutung für die uruguayische Regierung – allerdings ohne gegen die geplante Freihandelszone der Amerikas, ALCA, zu arbeiten: »Wir sind nicht gegen den ALCA. Der ALCA ist ein nachfolgender Schritt, denn wir gehen können, wenn die Ungleichheit zu den USA nicht so groß ist wie jetzt«, sagte Außenminister Reinaldo Gargano. Die Neuaufnahme Venezuelas als Vollmitglied in den MERCOSUR im Dezember begrüßte Gargano als wichtigen Schritt für die Gemeinschaft und die Welt. Er wisse, dass in Europa eine diffuse Angst vor Venezuela herrsche, aber: »Venezuela stellt keinerlei Bedrohung dar. Im Gegenteil: Vom Freihandel bis zur Demokratie ist Venezuela ein Gewinn für den MERCOSUR – ein Land, dass der regionalen Integration, dem gemeinsamen Nutzen und der Freiheit verpflichtet ist.«

** Aus: Neues Deutschland, 20. Oktober 2005


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