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Streifzug durch Uruguay

Sammelband wirft vielfältigen Blick auf ein teils »anachronistisches« Land

Von Tobias Lambert *

Das kleine Uruguay ganz groß: Der Band "Uruguay. Ein Land in Bewegung" besticht durch Themenvielfalt.

Uruguay weckt häufig Assoziationen, die an vergangene Zeiten erinnern. Sei es die Austragung der ersten Fußball-Weltmeisterschaft 1930 und der zweifache Triumph bei dem Turnier (1930 und 1950), der einstige Wohlstand in der »Schweiz Lateinamerikas« oder die Faszination, die ab den 60er Jahren von der Stadtguerilla der MLN-Tupamaros ausging. Dem Land hafte »in manchem etwas 'Anachronistisches' an«, stellen die HerausgeberInnen des Sammelbandes »Uruguay. Ein Land in Bewegung« fest. Dass es aber auch heute noch lohnenswert ist, sich mit dem vergleichsweise kleinen Staat am östlichen Ufer des Río de la Plata zu beschäftigen, zeigen die darauf folgenden etwa 260 Seiten.

Angefangen von Geschichte und Geografie, über Politik und Wirtschaft bis hin zu kulturellen Themen besticht diese »Landeskunde von unten« durch eine enorme thematische Bandbreite. Neben Persönlichkeiten wie dem Unabhängigkeitshelden José Gervasio Artigas oder bedeutenden Präsidenten des Landes werden spannende linke Biografien vorgestellt. Etwa die der im vergangenen Jahr verstorbenen Tupamara Yessie Macchi, die einer Regierungsbeteiligung der Linken bis zuletzt skeptisch gegenüberstand. Oder die Geschichte des »doppelten Exils« von Ernesto Kroch, der in dem Buch auch selbst als Autor vertreten ist. Der jüdische Kommunist floh zunächst vor den Nazis nach Uruguay, bevor er während der uruguayischen Militärdiktatur den umgekehrten Weg einschlagen musste und Exil in der BRD fand.

Wo sich die Entwicklung vom Einwanderungs- zum Auswanderungsland wie ein stetiger Abstieg liest, kamen von linken Bewegungen und Organisationen immer wieder wichtige politische Impulse. Zwar konnten die legendären Tupamaros noch vor Beginn der Militärdiktatur (1973 - 1985) militärisch besiegt werden. Bereits 1971 gründete sich mit der Frente Amplio jedoch eines der ältesten Linksbündnisse Lateinamerikas, in dem die ehemalige Stadtguerilla als MPP (Bewegung für Basisbeteiligung) heute die stärkste Fraktion bildet. Den sozialen Bewegungen und dem Parteienbündnis gelang es im Jahr 1992 sogar, die Privatisierung öffentlicher Unternehmen per Referendum zu verhindern. 2005 gewann die Frente Amplio erstmals die Präsidentschaftswahlen. Seit März dieses Jahres steht mit dem 74-jährigen bekennenden Anarchisten José »Pepe« Mujica ein ehemaliger Stadtguerillero an der Spitze des Staates. In einem eigenen, wenn auch kurzen Kapitel wird eine ambivalente Zwischenbilanz der Frente Amplio-Regierung gezogen. Einen Schwerpunkt bilden anschließend die vielseitigen sozialen Bewegungen. Im Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie werden dann die Perspektiven der uruguayischen Wirtschaft erörtert, die sich vor allem um Banken, Fleisch und Papier dreht. Das längere Schlusskapitel ist schließlich der beeindruckenden kulturellen Vielfalt des Landes gewidmet. Insgesamt 50 kurz gehaltene Beiträge deutscher und uruguayischer AutorInnen machen das Buch zu einer idealen Einführung in Land, Geschichte, Politik und Kultur. Aber auch KennerInnen des Landes wird sich manch neuer Aspekt öffnen.

Stefan Thimmel, Theo Bruns, Gert Eisenbürger, Britt Weyde (Hg.): »Uruguay. Ein Land in Bewegung«, Assoziation A, Berlin/Hamburg 2010, 272 Seiten, 18 Euro.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2010


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