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Keine Verjährung von Verbrechen

Parlamentsbeschluß in Uruguay: Staatsterrorismus der 70er und 80er Jahre wird weiter verfolgt

Von Carmela Negrete *

In Uruguay hat das Parlament in der Hauptstadt Montevideo am frühen Donnerstag morgen ein Gesetz verabschiedet, durch das während der Diktatur von Juan María Bordaberry (1973–1985) begangene Verbrechen weiter verfolgt werden können. Das war bislang durch das 1986 verabschiedete sogenannte Gesetz über den Wegfall von Strafansprüchen des Staates angeschlossen. Die damalige Regierung von Julio María Sanguinetti hatte entschieden, alle im Zusammenhang mit der Militärdiktatur begangenen Straftaten im November 2011 verjähren zu lassen. Nach einer mehr als zwölf Stunden dauernden Debatte im Abgeordnetenhaus entschieden die Parlamentarier nun, diese Frist aufzuheben, um die Strafverfolgung fortsetzen zu können.

Das jetzt verabschiedete Gesetz war vom regierenden Linksbündnis Breite Front (FA) eingebracht und gegen den Widerstand der Opposition durchgesetzt worden. »Die Straflosigkeit in Uruguay hat ein Ende«, skandierten nach der Abstimmung rund einhundert Demonstranten im Parlament.

Mit dem Gesetz reagierten die Parlamentarier auf ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (CIDH) vom vergangenen März. Darin war Uruguay aufgefordert worden, die Verbrechen der Diktatur aufzuklären und die dafür Verantwortlichen zu verurteilen. Während des Militärregimes in Uruguay waren nach offiziellen Angaben insgesamt 200 Menschen getötet worden, Tausende wurden von Armeeangehörigen gefoltert, viele mußten ins Ausland flüchten

Kritik an der Aufhebung der Verjährung kommt hingegen aus dem Militär. Generalstabschef José Bonilla erklärte, das Gesetz könne mehr Probleme als Lösungen bringen. Wenn die Verbrechen der Diktatur nicht verjähren, werde es schwieriger werden, Angaben über die verschwundenen Menschen zu erhalten, sagte Bonilla bei einer Pressekonferenz. Grund dafür sei, daß Personen, die in Verbrechen verwickelt waren und Angaben über vermißte Aktivisten machen könnten, nun befürchten müßten, selbst vor Gericht zu landen, erklärte der Offizier. Andere pensionierte Militärs kündigten in dieser Woche an, daß sie gegen dreizehn frühere Mitglieder der Stadtguerilla Tupamaros klagen wollen, um deren Verbrechen in den sechziger und siebziger Jahren aufarbeiten zu lassen. Die Nationale Befreiungsbewegung – Tupamaros (MLN-T) hatte damals mit der Entführung und Ermordung hochgestellter Persönlichkeiten sowie mit Anschlägen in mehreren Großstädten Widerstand gegen die Militärdiktatur geleistet. Die Untergrundorganisation wandelte sich nach der Rückkehr zur Demokratie zu einer Partei um, die heute Bestandteil des Regierungsbündnisses FA ist. Aus ihren Reihen stammt ursprünglich auch der gegenwärtige Präsident des südamerikanischen Landes, José Mujica.

* Aus: junge Welt, 28. Oktober 2011


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