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Auf die Knie, in den Müll und raus

Wahlkampf brutal in der proeuropäischen Ukraine / Prügel und keine Chance für die Opposition

Von Klaus Joachim Herrmann *

Für Europa wollte sich die Ukraine besonders mit demokratischen Reformen empfehlen. Der Kampf um die Mandate in der Werchowna Rada, dem Zentralparlament, läuft jedoch nach ganz eigenen Regeln.

Mit dem konsequentesten Vorschlag im ukrainischen Kampf um die Parlamentssitze am 26. Oktober wartete der Rechtsaußen Oleg Tjagnibok von der »Swoboda«-Partei auf. Jenen Ukrainern, die mit den Separatisten im Osten des Landes sympathisierten, sei die Staatsbürgerschaft zu entziehen, regte er an. Das Wahlrecht der Betroffenen wäre natürlich auch weg.

Selbst im Landesparlament, klagte Tjagnibok, gebe es bis jetzt immer noch Leute, die die Separatisten unterstützten und »antiukrainische Propaganda« betrieben. Namentlich Kommunisten und Mitglieder der Partei der Regionen sollten »ihre Staatsbürgerschaft verlieren und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden«. Das gelte auch für »normale Bürger«.

Das Ansinnen ist weder neu noch ungewöhnlich in der Post-Maidan-Ukraine. Wiederholt erhielten Volksvertreter der beiden zuvor Regierungs- und nun oppositionellen Parteien in der Werchowna Rada vom Parlamentspräsidenten Alexander Turtschinow Redeverbote und Saalverweise. Der kommunistischen Fraktion wurde einfach ihr Status aberkannt. Auch Prügel von rechtsextremen Swoboda-Leuten setzte es schon für Parteichef Petro Symonenko. Seine Partei wird vom Justizminister mit einem Verbotsverfahren überzogen.

Der Abgeordneten Jelena Bonda- renko, Partei der Regionen, schaltete ein wütender Parlamentschef das Mikrofon wegen »russischer Agitation« ab. Machthaber, die friedliche Städte bombardieren ließen, seien Verbrecher, hatte die Deputierte erklärt. Sie bekam zu hören: »Sie müssen vor der ukrainischen Armee niederknien!« In einem offenen Brief beklagte die Parlamentarierin, Innenminister Arseni Awakow habe erklärt: »Wenn Jelena Bondarenko im Parlament auftritt, möchte ich zur Pistole greifen.« Sie folgerte, es werde ein »verbrecherischer Kampf gegen die Opposition geführt« und das Recht auf freie Meinungsäußerung unterdrückt. Noch ehrlich arbeitende Redaktionen »werden von nationalistischen Gruppen überfallen und terrorisiert«.

Das insbesondere von den Neonazis des »Rechten Sektors« immer wieder geforderte Gesetz über die »Säuberung der Machtorgane« ist inzwischen selbst Generalstaatsanwalt Vitali Jaremba unheimlich. Es betreffe eine Million Menschen, würde zu Chaos in der Verwaltung und Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führen. Das Gesetz, das von der neuen Mehrheit in der Werchowna Rada verabschiedet, mit Premier Arseni Jazenjuk abgestimmt, von Parlamentspräsident Alexander Turtschinow unterzeichnet und Präsident Petro Poroschenko zugeleitet wurde, sei in »zahlreichen Punkten« verfassungswidrig. Vielleicht auch, weil es recht wählerisch zugeht. So betrifft das Gesetz angeblich keine gewählten Personen. Doch Expräsident Viktor Janukowitsch, der vor seiner Vertreibung immerhin Sieger einer Stichwahl gegen Julia Timoschenko war, wäre betroffen – sein Nachfolger Poroschenko aber nicht.

Außerhalb der Machtorgane exekutieren rechtsextreme Prügelgarden ihre eigenen Gesetze. Der Spitzenkandidat der Radikalen Partei, Vorsitzender Oleg Ljaschko, ließ in Kirowograd den Leiter der Administration der Gebietsverwaltung von seiner kräftigen Zehn-Mann-Begleitung mutig in einen Abfallcontainer werfen, um ihn durch »Müll zu reinigen«. Der Verwaltungsmann hatte erklärt, dass der Chef nicht da sei – was der übrigens auch nicht war.

Der Abgeordnete der Regionalen, Nestor Schufritsch, wurde Ende September mitten in Odessa Prügelopfer »verschiedener neofaschistischer und nationalistischer Parteien und Gruppierungen«, wie selbst die offiziöse Agentur UNIAN verbreitete. Die »Aktivisten« hätten erfahren, dass der frühere Minister und Meister des Sports mit dem »Oppositionellen Block« zusammentreffen wolle und schlugen ihn bei laufenden Kameras in einer Art Gassenlauf blutig. Ein Müllcontainer sei an anderer Stelle für den Volksvertreter, der erneut kandidiert, bereit gewesen, Schufritsch dort aber nicht zu einer Pressekonferenz erschienen.

In Kiew wurde der Abgeordnete der Regionalen Viktor Pilipischin, der sich als Kandidat registrieren lassen wollte, in einen Müllcontainer geworfen und mit roter Farbe übergossen. Die Angreifer teilten als selbst ernannte Vollstrecker eines »Volkswillens« mit, der Deputierte sei damit nicht nur »auf seinen Platz auf dem Müllhaufen der Geschichte«, verwiesen worden. Auch sein Abstimmungsverhalten in der Werchowna Rada habe »zum Tod unschuldiger Menschen geführt«.

Bei dem von Kiewer Offiziellen besonders gefeierten Abriss des Lenindenkmals in Charkow waren von jungen Männern des »Rechten Sektors« unter schwarz-roten Fahnen und dem Symbol »Wolfsangel«, das von der SS-Division »Das Reich« getragen wurde, Gegner der Aktion krankenhausreif geschlagen worden. Aus Städten und Regionen werden regelmäßig derartige neofaschistische Übergriffe sogar von regierungsfreundlichen Medien berichtet. Das war Innenminister Awakow denn doch eine sanfte Empfehlung an die »Herren Radikalen« wert, keine Politiker zu schlagen. Das könnte den »äußeren Feind« stärken und dazu führen, dass sich Europa von »unserer siegreichen Revolution« abwende. »Ich fürchte, sogar auch Amerika.«

Die neue Opposition hat bei den Wahlen gegen die Sieger des Maidan, die die Parlamentssitze unter sich ausmachen, keine Chance. Die Kommunisten kommen bei Umfragen auf achtbare 4,5 Prozent, die zerfallene Partei der Regionen in der namentlichen Bilanz nicht mehr vor. Die Basis der Regionalen und der Kommunistischen Partei befindet sich ohnehin im russisch orientierten abtrünnigen Osten des Landes. Dort wiederum wurde die Wahl von den »Volksrepubliken« abgesagt.

Als Triumphator ausgemacht ist unter Meinungsforschern der »Blok Poroschenko«, die Machtpartei des Präsidenten, mit rund 40 Prozent. Die Radikalen von Ljaschko kommen bei über zehn Prozent ein. Das ist mit den knapp fünf Prozent von »Swoboda« ein gewissermaßen offizielles rechtsextremes Potenzial von rund 15 Prozent, zu dem noch der »Rechte Sektor« etwas beisteuern wird. Mit knapp acht Prozent ist Julia Timoschenkos Vaterlandspartei abgeschlagen wie mit 5,8 Prozent die »Volksfront« des Premiers Jazenjuk und schon gar die UDAR-Partei des CDU-Lieblings Vitali Klitschko mit 4,3 Prozent. Insgesamt waren Anfang Oktober gut 5000 Kandidaten und rund 30 Parteien von der Wahlkommission in Kiew registriert.

* Aus: neues deutschland, Montag, 6. Oktober 2014


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