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Ukraine will ins Gespräch kommen

Wahlsieger Poroschenko kündigt Dialog im Osten und mit Moskau an *

Die Amtseinführung des neuen ukrainischen Präsidenten könne ab 8. Juni erfolgen, teilte der Stab des Wahlsiegers Petro Poroschenko am Montag in Kiew mit. Der prowestlich orientierte Oligarch hatte den Urnengang nach vorläufigen Angaben mit rund 54 Prozent der Stimmen für sich entschieden. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bescheinigten beim Ablauf »weitgehend demokratische Standards«.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow und Poroschenko erklärten ihre Bereitschaft zu baldigen Krisengesprächen. Poroschenko kündigte an, seine erste Reise werde in die Krisenregion Donbass führen. Er sprach sich aber auch für eine Fortsetzung des Militäreinsatzes und gegen Gespräche mit »Terroristen« aus. Im Dialog mit Moskau haben wir »etwas vorzuschlagen«, kündigte er an. So solle die russische Sprache einen offiziellen Status in den russisch geprägten Gebieten der Ostukraine erhalten. Eine Stabilisierung der Lage sei aber »ohne russische Vertreter, ohne ein Treffen mit der russischen Führung unmöglich«. Es wurden aus Donezk Gefechte und mindestens zwei Tote gemeldet.

Die Europäische Union (EU) sah in der Wahl eine Chance für einen Neuanfang. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy begrüßten die russische Gesprächsbereitschaft.

Die Energieversorgung der Ukraine gilt weiterhin als kritisch. »Noch ist nicht Winter, und ab Juni liefert Russland – nach jetzigem Stand – nur noch gegen Vorkasse«, sagte RWE-Chef Peter Terium. EU-Energiekommissar Günther Oettinger wollte sich am Abend in Berlin mit den Energieministern Russlands und der Ukraine treffen. Er unterstrich: »Rechnungen sind auf dem Tisch und Rechnungen müssen bezahlt werden.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. Mai 2014


Blick nach Osten

Radikaler Ljaschko holte rechte Stimmen

Von Klaus Joachim Herrmann **


Als ein Mandat zum Dialog werteten Beobachten den Wahlsieg Poroschenkos. In Donezk wurden die Kämpfe fortgesetzt.

Einen Rücktritt des Übergangspremiers Arseni Jazenjuk hielt Wahlsieger Petro Poroschenko am Montag nicht für erforderlich. Der Kabinettschef mache eine gute Arbeit, bescheinigte ihm der designierte Präsident. Damit erhob er ihn gewissermaßen in einen demokratischen Status und zu seinem Verbündeten.

Vitali Klitschko als neuer Kiewer Bürgermeister mit 57 Prozent Stimmanteil wurde das bereits, versicherten sich doch beide als Wahlkämpfer gegenseitiger Unterstützung. Die Räumung des Maidan dürfte Klitschko kaum allein entschieden haben. Doch auch aus seiner Sicht haben »die Barrikaden ihren Zweck erfüllt«.

Chef im politischen Ring ist jetzt aber Poroschenko. Der sei legitimiert, so die OSZE-Beobachter, mit den prorussischen Separatisten im Osten des Landes »einen sofortigen und umfassenden Dialog« zu beginnen. Eine Reise dahin hat er bereits angekündigt. Wohl mit besonderer Genugtuung zitierte die russische Agentur RIA/Novosti Joao Soares, Leiter der OSZE-Mission zur Beobachtung der Wahlen. Denn er habe auch dazu aufgerufen, die Worte »Separatisten« und »Terroristen« zu vermeiden. Der OSZE-Vertreter habe es einen »großen politischen Fehler« Kiews genannt, die Bedeutung der russischen Sprache bagatellisiert zu haben. »Für mich ist es auch offensichtlich, dass die Regionen eine größere Autonomie erhalten müssen.« Soares wies allerdings ebenfalls darauf hin, dass er die Legitimität der Unabhängigkeitsreferenden in den Gebieten Donezk und Lugansk nicht anerkenne. Zudem hätten die Einwohner dieser Gebiete ihre »Haltung bei den Wahlen äußern müssen. Dies wäre bei der Stimmenauszählung sichtbar gewesen«.

Mehr als ein gutes Dutzend der Kandidaten musste sich verbleibende Stimmen teilen und blieb im einstelligen Bereich. Dazu gehörten die Parteichefs der Rechtsextremen Oleg Tjagnibok (1,3 Prozent), Swoboda, und Dmitro Jarosch (1 Prozent), Rechter Sektor. Das dürfte als Beleg für die Beteuerung gelten, dass Rechtsextreme keinen Rückhalt bei der ukrainischen Bevölkerung fänden. Allerdings verfügt Swoboda weiterhin über Regierungsämter und der Rechte Sektor über militärische Strukturen wie die Bataillone »Donbass« oder »Dnjepr« sowie die Nationalgarde. Sie wurden auf der Basis der sogenannten Selbstverteidigungskräfte des Maidan gebildet.

Manche Stimme aus dem extrem rechten Lager dürfte an den mit gut acht Prozent der Stimmen Überraschungsdritten Oleg Ljaschko gegangen sein. Das bestätigte die Soziologin Irina Bekeschkina, Direktorin des Fonds »Demokratische Initiative« noch in der Wahlnacht. Der Populist ist Chef und Namensgeber der »Radikalen Partei Oleg Ljaschko« und forderte ein noch schärferes militärisches Vorgehen im Osten. Als Abgeordneter des Parlaments in Kiew forderte er mehrfach mit Erfolg den Ausschluss der Kommunisten von Sitzungen und das Verbot ihrer und der Partei der Regionen. Auch aus solchem Druck könnte sich das Wahlergebnis für KP-Chef Petro Simonenko von rund einem Prozent erklären.

Aus dem Osten selbst wurden auch am Tag nach der Wahl einmal mehr Kämpfe gemeldet. Ukrainische Regierungstruppen seien am Flughafen der Metropole Donezk gegen prorussische Milizen vorgegangen, berichteten regierungsnahe ukrainische Medien. Kampfjets der Typen Su-25 und Mig-29 hätten die »Terroristen« beschossen. Nun sollten Bodentruppen das Gelände »reinigen«. Zuvor sei ein Ultimatum verstrichen. Mit den prorussischen Kämpfern will auch der neue Präsident nicht reden. »Es gibt keine Gespräche mit Terroristen«, teilte er mit. Er werde nicht zulassen, dass die Ostukraine »zu einem Somalia wird«, sagte er mit Blick auf das nordostafrikanische Bürgerkriegsland.

Aus Donezk und Lugansk kam unter Berufung auf RIA/Novosti ein Dementi. Die »Volksrepubliken« hätten sich Samstag nicht zu einer Republik »Novorossia« (Neurussland), sondern einer »Union der Volksrepubliken« aus zwei selbstständigen Teilen zusammengeschlossen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. Mai 2014


Lösung nur mit Moskau

Forderung nach Ende der »Anti-Terror-Aktion«

Von Elke Windisch, Moskau ***


Der frisch gebackene ukrainische Präsident Petro Poroschenko will sich bereits in der ersten Junihälfte mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin treffen. Eine Beilegung der Krise im Südosten des Landes sei ohne Beteiligung Moskaus unmöglich, zitierte ihn die amtliche russische Nachrichtenagentur ITAR/TASS. Früher hatte er auf Vierer-Verhandlungen mit Beteiligung Europas und der USA bestanden.

Der Kreml hat den Termin bisher weder bestätigt noch dementiert. Putin, so Dmitri Kisseljow im politischen Wochenrückblick des Staatsfernsehens, sei »keine konkreten Verpflichtungen« eingegangen, als er am Wochenende bei einem Treffen mit den Chefs der weltweit größten Nachrichtenagenturen in St. Petersburg erklärte, Russland werde die Entscheidung des ukrainischen Volkes respektieren. Das ukrainische Volk bestehe derzeit aus mehreren Teilen, von denen jeder seine Entscheidung getroffen habe.

Moskau, so der Sender, sei zwar »zur Zusammenarbeit mit der Macht bereit, die sich jetzt in Kiew formiert. Die Frage ist jedoch, auf welcher Ebene«. Russland poche auf vertrauensbildenden Maßnahmen, bei denen Poroschenko in Vorleistungen gehen müsse: Mit der Einstellung der Strafexpedition, wie Kreml und Außenamt die »Anti-Terror-Aktion« der ukrainischen Armee gegen die Separatisten nennen, sowie der Tilgung der Schulden für russische Gaslieferungen im Umfang von 3,5 Milliarden US-Dollar.

Die Entwicklungen in der Ukraine, so äußerten gleich mehrere Politikwissenschaftler, hätten sogar die Europawahl beeinflusst. Der Wähler habe gefürchtet, Kiew könne für die EU aus Gründen politischer Zweckmäßigkeit ein ähnlich kostspieliger Sanierungsfall werden wie die Krisenstaaten Südeuropas und habe sich daher für die Euroskeptiker entschieden.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. Mai 2014


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