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Sanktionsdrohung und Verfassungsstreit

In Kiew demonstrierten Anhänger von Regierung und Opposition / Scharfe EU-Resolution zur Ukraine

Von Klaus Joachim Herrmann *

Demonstrationen am Parlament in Kiew blieben friedlich. Dort rangen Abgeordnete um die Verfassung. Aus Straßburg drohte die EU mit Sanktionen.

Keine Touristen kämen nach Kiew, weder aus dem In- noch aus dem Ausland, klagen die Stadtführer der ukrainischen Hauptstadt. Wie die gesamte ukrainische Wirtschaft verweist nun besonders die Tourismusbranche auf schmerzlichen Rückgang. Im Kiewer Fall nach Presseberichten sogar bis zu 90 Prozent – ein vernichtender Einbruch.

Der ist natürlich den politischen und zum Teil schweren Auseinandersetzungen im Zentrum der Hauptstadt geschuldet. Donnerstagmorgen zogen hier wieder Demonstranten auf. Regierungsgegner, darunter zahlreiche bewaffnete und vermummte, forderten vor dem Parlament eine Rückkehr zur Verfassung von 2004. Die gab dem Parlament mehr, dem Präsidenten deutlich weniger Vollmachten. Die oppositionelle Vaterlandspartei zählte 20 000 Demonstranten, regierungsnahe Medien kamen auf 3000.

Ähnlich dürften sich die Zahlen der Teilnehmer an einem regierungstreuen Marsch in den gleichen Stunden und zum gleichen Ziel unterscheiden. Die »Ukrainskaja Prawda« vermied Zahlen und rettete sich in eine »große Kolonne«. Anhänger der (Regierungs-)Partei der Regionen und von Präsident Viktor Janukowitsch skandierten »Maidan – das ist nicht die Ukraine!«, »Faschismus kommt nicht durch!« und »Janukowitsch Präsident!«.

Im Parlament stritten Regierungspartei und Opposition um die Verfassung. Die »diktatorischen Vollmachten« von Präsident Janukowitsch seien zu beseitigen, erklärte Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk von der Vaterlandspartei. Parlamentspräsident Wladimir Rybak beklagte, dass zwischen den Fraktionsvorsitzenden keine Übereinkunft zu erzielen sei und schlug eine Sonderkommission zur Überarbeitung der Verfassung vor. Die Opposition wollte keine Vertreter entsenden. Sollte es doch zu einer Einigung auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf kommen, kündigte Rybak für die kommende Woche eine Sondersitzung an.

Einen weiteren Gesetzesentwurf über die Behandlung von erkrankten Strafgefangenen im Ausland brachten Abgeordnete der Parteien Vaterland und UDAR laut ukrainischen Medien ein. Damit läuft ein weiterer Versuch, Expremier Julia Timoschenko aus dem Charkower Eisenbahnerkrankenhaus zur Behandlung ins Ausland zu bekommen. Das wäre nach aller Wahrscheinlichkeit in Berlin die Charité.

Die Überlegungen zur Bildung einer Übergangsregierung nach dem Rücktritt des Kabinetts von Premier Mykola Asarow wurden fortgesetzt. Der Parlamentarier Waleri Pazkan von UDAR ließ laut dpa in einer Fernsehsendung wissen, Klitschkos Partei sei bereit, den früheren Außenminister und jetzigen Fraktionschef der Vaterlandspartei, Arseni Jazenjuk, zum Ministerpräsidenten zu wählen. Selbst werde sich die Partei nicht an der Regierung beteiligen, solange Präsident Janukowitsch im Amt sei. Die Partei könne aber einer Übergangsregierung aus Opposition und Mitgliedern von Janukowitschs Partei der Regionen bei der Lösung der Wirtschaftskrise helfen, sagte Pazkan.

Mit einer Resolution meldete sich das Europäische Parlament zur Ukraine zu Wort. Während die EU-Außenbeauftragte Cathrin Ashton verhandelte, wurden Sanktionen gegen Ukrainer gefordert, die für Übergriffe und den Tod von Demonstranten verantwortlich seien. Die EU sollte gezielte Maßnahmen wie Reisebeschränkungen und das Einfrieren von Vermögen einführen, hieß es in einer Entschließung, die in Straßburg verabschiedet wurde. Die EU, die USA, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank sollten zudem Finanzhilfen prüfen, um der Ukraine zu helfen, ihre desolate Wirtschaftslage zu überwinden. Allerdings ist die Entschließung nicht bindend.

In Sotschi will Janukowitsch am Freitag Russlands Präsidenten Wladimir Putin treffen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 7. Februar 2014


Kein Vermittler

Klaus Joachim Herrmann über die Parteinahme der EU in der Ukraine **

Gegen jene, die in der Ukraine für das Vorgehen gegen Demonstranten verantwortlich seien, fordert das EU-Parlament in scharfen Worten Sanktionen. Natürlich ist das offene Parteinahme für die Demonstranten und gegen die Regierung – das soll es ja auch sein.

Die EU hat sich damit als Vermittler endgültig aus dem Spiel genommen. Der Unsinn einer derartigen Rolle der Gemeinschaft – und Deutschlands schon länger – muss spätestens jetzt offenbar sein. Es half nichts, dass die Außenbeauftragte Ashton in vielleicht redlicher Absicht solchen Anschein erwecken wollte. Es half auch nichts, dass die ukrainische Opposition dies gern gehabt hätte, weil sie kompromisslos bleiben will.

Die EU ist selbst Partei und bleibt strategisch in die Krise verstrickt. Sanktionen sind, wie auch immer sie begründet werden, vor allem eine Drohung an Präsident Janukowitsch, der Opposition ihren Willen und damit der Ukraine ihren europäischen Lauf zu lassen. Wer nach Kiew reist, macht deshalb dem Maidan seine Aufwartung. Regierungsgegner werden – sogar von Staatsbeamten in diplomatischer Mission – auf der Straße angefeuert, ihre Losungen in die eigene Politik übernommen.

Wenn da die EU noch vermitteln könnte, dann müsste dies auch Präsident Putin dürfen. Russland ist schließlich ebenfalls Partei im Konflikt.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 7. Februar 2014 (Kommentar)


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