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Obama straft Russland ab

EU setzt Verhandlungen aus / Krim-Parlament will Abspaltung von Ukraine

Von Olaf Standke *

Während sich der EU-Gipfel am Donnerstag lange um Strafmaßnahmen gegen Russland stritt, schuf Washington erste Fakten.

Drei Stunden sollte der EU-Sondergipfel am Donnerstag eigentlich dauern. Doch auch nach sechsstündiger Debatte hatten die EU-Staats- und Regierungschefs noch immer keine gemeinsame Position gegenüber Russland gefunden, weil die angedachten Strafmaßnahmen gegen Moskau heftig umstritten waren. Schließlich verkündete EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy den kleinsten gemeinsamen Nenner: Die Verhandlungen über Visa-Erleichterungen sowie über das neue Grundlagenabkommen werden ausgesetzt.

Da waren die USA schneller und rigoroser. Präsident Barack Obama verfügte, dass die Vermögen all jener eingefroren werden sollen, die direkt oder indirekt die ukrainische Sicherheit, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit bedrohten. Namen wurden allerdings nicht genannt. Zudem erweiterte und verschärfte Washington die bisher verhängten Einreiseverbote. Obama rief Moskau zugleich dazu auf, die Krise durch »direkten und unmittelbaren Dialog« mit der Regierung in Kiew beizulegen. Wie sein Sprecher betonte, seien weitere Maßnahmen aber nicht ausgeschlossen, falls sich die Lage verschlechtere.

Zuvor war Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel mit Wladimir Putin in der Residenz des russischen Präsidenten zusammengekommen. Bahnbrechendes wurde von dort nicht berichtet, auch nicht über die von Berlin gewünschte Kontaktgruppe für die Ukraine. Dafür warnte die deutsche Wirtschaft nachdrücklich vor einer gefährlichen Spirale gegenseitiger Sanktionen und drängte auf eine Verhandlungslösung. »Dieses Säbelrasseln, das wir aktuell beobachten, ist kontraproduktiv«, so der Vorsitzende ihres Ost-Ausschusses, Eckard Cordes. Die Europäische Union ist mit Abstand Russlands wichtigster Handelspartner. Gut die Hälfte des Außenhandels wird mit der EU abgewickelt, nur 8,7 Prozent mit den USA. Die Union wiederum deckt rund ein Fünftel ihres Erdöl- und etwa 45 Prozent ihres Erdgasbedarfs durch russische Importe, Tendenz steigend. Die Hälfte wird durch ukrainische Leitungen Richtung Westen gepumpt. Deutschland bezieht so rund 35 Prozent des benötigten Gases und 30 Prozent seines Öls.

Wenn der Föderationsrat in Moskau jetzt ein Gesetz über Enteignungen und das Einfrieren ausländischer Konten als Gegenmaßnahme für westliche Sanktionen in Erwägung zieht, würde das deutsche Unternehmen besonders treffen. Laut Ost-Ausschuss haben 6200 Firmen in Russland rund 20 Milliarden Euro investiert; US-Investitionen belaufen sich dagegen nur auf 7,4 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik ist nach China Russlands wichtigstes Lieferland. 2013 schrumpfte der bilaterale Handel gegenüber dem Vorjahr allerdings um vier auf 76,5 Milliarden Euro. Deutschland exportierte Güter im Wert von 36,1 Milliarden Euro; von diesen Geschäften hängen 300 000 Arbeitsplätze ab. Russland ist bei gleichzeitigen Lieferungen im Wert von 40,4 Milliarden Euro eines der wenigen Länder, die im Handel mit Deutschland Überschuss erzielen.

Derweil sollen die Bewohner der Halbinsel Krim bereits am 16. März darüber abstimmen, ob die bisherige Autonome Republik der Ukraine um Aufnahme in die Russische Föderation bittet. Ursprünglich war das Referendum am 25. Mai geplant, dabei wäre es »nur« um größere Autonomiekompetenzen gegangen. Dann wurde es auf den 30. März vorgezogen. Die neuerliche Vorverlegung begründete Sergej Zekow, Vizepräsident der regionalen Rada, mit ständigen Drohungen »ukrainischer Nationalradikaler« gegen die Krim. Jetzt geht es offenbar nur noch um die Bestätigung eines Beschlusses, den das Krim-Parlament am Donnerstag fasste. 78 von 86 anwesenden Abgeordneten (die Rada hat 100 Mitglieder) stimmten für die Bitte an Putin, eine Aufnahme in die Russische Föderation zu prüfen. »Dieses sogenannte Referendum hat keinerlei rechtliche Grundlagen«, erklärte der amtierende ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk am Rande des EU-Gipfels. Unterdessen ist den von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auf die Krim entsandten Beobachtern von Bewaffneten der Zugang zu der Halbinsel verwehrt worden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 7. März 2014


Zufällig noch ein Manöver

NATO steht der Ukraine bei – ein wenig und ganz entschlossen

Von René Heilig **


Die NATO hat Position bezogen: pro Ukraine, gegen Russland. Doch dann endet auch die gemeinsame Linie. Während die USA Zerstörer und Kampfjets schicken, entsendet Deutschland einen Lazarett-Airbus.

Drei Sterne, Eichenlaub und Äskulapstab trägt Dr. Christoph Rubbert auf den Schultern. Und dazu die Verantwortung für eine militärische Operation, die in Kiew als Unterstützung, in Moskau jedoch nicht als Affront gegen Russland gewertet werden soll. Bundeswehr-Oberstabsarzt Rubbert organisiert den Transport von vermutlich 50 ukrainischen Verletzten in deutsche Krankenhäuser. Das Verteidigungsministerium betont, es handle sich um Maidan-Kämpfer und nicht um Helden von der Halbinsel Krim. Zur Abholung schickt man einen MEDEVAC-Airbus. Solche Lazarett-Flugzeuge bietet Deutschland im NATO- und EU-Bündnis gern an, zur Zeit auch für Mali, Zentralafrika und Afghanistan.

Gleichzeitig signalisiert die Bundeswehr Russland, dass man es beim Du-Du-Sagen nicht auf die Spitze treiben will. Die drei russischen Offiziere, die an der Hamburger Führungsakademie studieren, dürfen bleiben. Und zum Glück sind gerade keine gemeinsamen Übungen oder ähnliches geplant.

Ähnlich sanft geht Frankreich mit Russland um. Jedenfalls hinter den Kulissen. Wäre auch dumm, wenn man quasi auf der Zielgerade noch ein Geschäft verliert, dass einen Gesamtwert von 1,2 Milliarden Euro hat. Noch in diesem Jahr wird der erste von zwei russischen Hubschrauberträgern des französischen Mistral-Typs in Dienst gestellt. Derzeit passt man die russischen Waffensysteme an das französische Schiff an.

Ein solches Führungsschiff wäre, so sagen russische Marineexperten, gerade im Mittelmeer nützlich – zumal es ein Marineinfanteriebataillon sowie Kampf- und Aufklärungshubschrauber mitführen kann.

Wie wichtig das Mittelmeer als zentraler Aufmarschraum ist, zeigen die USA. Deren Navy hat dort derzeit eine Kampfgruppe um den jüngsten und modernsten Flugzeugträger »George H. W. Bush« in Bereitschaft. Die fünf Schiffe und acht Flugzeugstaffeln sind in der Lage, eine Vielzahl von Missionen auf der ganzen Welt zu erfüllen, sagt Konteradmiral John C. Aquilino und ist stolz ob der »Hingabe und des Engagements«, mit denen seine 6000 Mann zur Durchsetzung »unserer globalen nationalen Interessen« beitragen.

Vorerst 300 Männer und Frauen seines Kommandos zeigen diese Hingabe gerade im Schwarzen Meer. Mit ihrem Lenkwaffenzerstörer »Truxtun« wollen sie für eine – wie es in der jüngsten Ausgabe des Militärzeitschrift »Stars and Stripes« heißt – »unbestimmte Zeit« gemeinsam mit den rumänischen und bulgarischen Seestreitkräften Manöver abhalten. Die selbstverständlich nichts zu tun haben mit den Ereignissen in der Ukraine und speziell auf der Krim.

Die »Truxtun« lief am Donnerstag in das Binnenmeer ein, die »Taylor« bezog dort gemeinsam mit dem amphibischen Kommandoschiff »Mount Whitney« bereits zu Zeiten der Winterolympiade im russischen Sotschi Stellung. Dann aber hatte die »Taylor« eine Grundberührung, musste einen türkischen Hafen zur Inspektion anlaufen, ist aber laut Pentagon wieder einsatzfähig. Beide Schiffe hatten sich damals bis auf sechs Seemeilen den russischen Hoheitsgewässern genähert. Über den Übungsraum der »Truxtun« und der NATO-Anrainer-Schiffe ist noch nichts bekannt.

Die USA plädieren für wesentlich härtere Aktionen gegen Russland als die EU. Dabei kommt Washington ein Zufall zur Hilfe. Seit dem Beitritt Estlands, Lettlands und Litauens zur NATO im Jahr 2004 wird die Überwachung und Sicherung ihres Luftraums von Streitkräften anderer NATO-Mitglieder übernommen.

In der Regel stellt die zuständige NATO-Nation vier Jagdflugzeuge ab, die auf der litauischen Airbase Šiauliai stationiert sind. Diese Air-Policing-Funktion erfüllen gerade die USA, und sie nutzen die Chance, um an Russlands Nordostflanke Stärke zu demonstrieren. Man sendet gerade weitere sechs F-15-Kampfjets und dazu einen Tanker, der Langstreckeneinsätze ermöglicht.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 7. März 2014


Diplomatie statt Drohungen

Detlef D. Pries über die Gefahr der »Überhitzung« des Kalten Krieges ***

»Wir sind kurz davor, Europa zurückzuwerfen in die Zeiten des Kalten Krieges«, klagte Vizekanzler Sigmar Gabriel am Donnerstag nach dem Gespräch mit Wladimir Putin. Man mag darüber streiten, ob der Kalte Krieg der NATO gegen Russland je ganz aufgehört hat – die Ostausdehnung des Militärpakts spricht dagegen. Zurzeit jedenfalls spitzt sich die Konfrontation gefährlich zu – und die deutsche Politik macht dabei keine glückliche Figur. Da spricht sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier erst gegen eine Absage des G8-Gipfels in Sotschi aus, weil der doch das geeignetste Gremium sei, mit Putin zu verhandeln. Schon am nächsten Tag aber schließt sich die Bundesregierung ihren Verbündeten an und legt die Gipfelvorbereitungen auf Eis.

Geradezu spürbar war das Unbehagen der Regierung in Berlin, US-amerikanischen Forderungen nach Sanktionen gegen Russland nachzugeben. Wirtschaftskreise warnen berechtigterweise vor Moskauer Retourkutschen und bangen um ihre Investitionen. Doch während hierzulande noch die »Stunde der Diplomatie« beschworen wird, verhängen die USA bereits Einreiseverbote, sperren Konten – und verstärken ihre militärische Präsenz in Russlands Nachbarschaft. Und die EU schließt sich mit »vorerst leichten« Sanktionen an.

Nein, Wladimir Putin ist kein einfacher Verhandlungspartner, doch Drohungen und Sanktionen werden ihn nicht versöhnlicher stimmen. Nur die Gefahr der Überhitzung des Kalten Krieges wächst.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 7. März 2014 (Kommentar)


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