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Staatengefüge in Bewegung

Mitarbeiter der Auslandsbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung schildern, wie die Welt auf die Ukraine schaut

Von Claudia Wrobel *

Man wolle einen Blick auf die Auseinandersetzungen in der Ukraine werfen, ohne sich ausführlich mit den innenpolitischen Zerwürfnissen des Landes zu beschäftigen – mit dieser Ankündigung machte Tiina Fahrni, Leiterin des Moskauer Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) am Mittwoch abend in Berlin das Publikum stutzig. Eingeladen hatte die RLS zu einer Veranstaltung unter dem Motto »Zurück in die Zukunft oder vorwärts in die Vergangenheit?« Sechs Mitarbeiter der Stiftung aus verschiedenen Regionalbüros weltweit schilderten die dortige Rezeption der Zustände in der Ukraine in den lokalen Medien, in der Politik und der Bevölkerung.

Wladimir Fomenko, stellvertretender Büroleiter in Moskau, erklärte, die Auswirkungen auf jede russische Familie seien groß, »da quasi direkt vor der Tür Menschen sterben«. Trotzdem blieben viele ahnungslos zurück: »Zwar gibt es amtliche Kommentare und Hintergründe, aber die meisten durchschauen nicht, was vor sich geht.« Laut Fomenko wird der Einfluß externer Akteure auf die verschiedenen Gruppen überschätzt. Die innenpolitischen Ursachen der Konflikte würden von außen aber – bewußt oder unbewußt – verschleiert. Die russische Linke spreche von zwei Aufständen: »Zuerst gab es den sozialen Protest gegen die Perspektivlosigkeit im Land. Dieser hat später eine nationale Einfärbung bekommen, und die nationalistischen Kräfte haben alle anderen verdrängt«, so Fomenko. Dies werde befeuert, da der »Westen« nicht bereit sei, das Sicherheitsinteresse Rußlands zu respektieren. Deshalb müsse das Land sich einschalten.

Auch in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens werde die Entwicklung in der Ukraine aufmerksam beobachtet, berichtete Boris Kanzleiter, der dem RLS-Büro in Belgrad vorsteht. Besonders die »Sezession der Krim, deren Annexion durch oder Beitritt zu Rußland« sei von Interesse. »Der Präzedenzfall für eine unilaterale Unabhängigkeitserklärung war nicht die Krim, sondern das Kosovo«, stellte Kanzleiter fest. Jedoch verhielten sich alle Akteure nun konträr zu ihrem damaligen Auftreten: »Vom Westen wurde es damals forciert, anerkannt und beklatscht. Aber auch Rußland macht nun einen Schachzug, den es selbst beim Kosovo verurteilt hat«, so Kanzleiter. Weitere Aspekte erinnerten ihn ebenfalls an die Situation in Jugoslawien, als der Zerfall begann. Damals wie heute sei auf eine soziale Krise und ein starkes Gefälle der Wirtschaftsleistung in einem Land eine Verschiebung der Verantwortung gefolgt: »Die Gründe der Misere wurden ethnisiert. Landesteile, die sich auf eine unterschiedliche Historie beziehen, sehen verschiedene Ursachen für die Krise und kommen dadurch zu anderen Lösungen.« Deshalb sei die friedliche Stimmung im Land gekippt.

Einen außereuropäischen Blick brachte Lutz Pohle, Leiter des Büros in Peking ein. Die chinesische Regierung nehme die Ukraine-Krise als Konflikt zwischen der EU und den USA auf der einen Seite und Rußland auf der Gegenseite wahr. Die entsprechenden geostrategischen Veränderungen im internationalen Gefüge wirkten bedrohlich. Zwar würden mittlerweile fast alle Produkte des täglichen Lebens in der Volksrepublik hergestellt, daraus ergebe sich aber ein Problem für deren Regierung: »Es gibt momentan keine politische Strategie, wie das Land mit der gewachsenen wirtschaftlichen Macht umgeht.«

Außerdem erläuterten Joanna Gwiazdecka aus dem Warschauer Büro, der Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik der RLS, Erhard Crome (Berlin), und der Leiter des EU-Büros in Brüssel, Klaus Sühl, wie der Konflikt in der Ukraine in ihrem Umfeld wahrgenommen wird. Nach Angaben aus der RLS wird ein Videomitschnitt der Veranstaltung, in den nächsten Tagen auf deren Internetseite www.rosalux.de zu finden sein.

* Aus: junge Welt, Samstag, 17. Mai 2014


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