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Rechte drohen Poroschenko

Großkundgebung gegen Waffenruhe in Kiew. Granaten auf Markt von Slowjansk

Von Reinhard Lauterbach *

Mehrere tausend Rechte haben am Sonntag auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz für ein sofortiges Ende der Waffenruhe im Donbass und gegen Verhandlungen mit den Aufständischen und Rußland demonstriert. Sie forderten Präsident Petro Poroschenko auf, die bis Montag abend befristete Waffenruhe sofort aufzukündigen und den Kriegszustand über das Donbass zu verhängen. Zuvor waren mehrere hundert vermummte Angehörige der Freiwilligenbataillone »Asow« und »Donbass« durch das Regierungsviertel gezogen. Ihre Anführer drohten Poroschenko, die gestrige Kundgebung sei der letzte friedliche Auftritt der Kämpfer. Sollte er ihren Forderungen nicht nachkommen, werde er als Verräter betrachtet.

Die Demonstration richtete sich auch gegen die Teilnahme der beiden Oligarchen Wiktor Medwedtschuk und Nestor Schufritsch an den Gesprächen über eine eventuelle Verlängerung der Waffenruhe. Wie die gewöhnlich gut informierte Kiewer Zeitung Dserkalo Tischnja unter Berufung auf eine Quelle in der Umgebung von Expräsident Wiktor Janukowitsch berichtete, sind beide die Wunschkandidaten des russischen Präsidenten Wladimir Putin für die Gouverneursposten in Donezk bzw. Lugansk. Dies würde bedeuten, daß sich Putin damit abgefunden hat, daß die von Rußland offiziell geforderte Föderalisierung der Ukraine nicht zustande kommt, und nun im Rahmen eines »Plans B« versucht, in der bestehenden ukrainischen Staatsordnung Personen seines Vertrauens zu installieren. Medwedtschuk ist ein Bekannter Putins aus Studienzeiten und Anführer einer Bewegung namens »Ukrainische Wahl«, die für die »russische Option« in der ukrainischen Politik eintritt.

Die Demonstration war die größte Veranstaltung auf dem Maidan seit Monaten; der Großteil der rechten Aktivisten war seit dem Beginn der Auseinandersetzungen im Donbass an die Front gezogen; auf dem Platz harrten im wesentlichen ältere Leute und Frauen aus.

Die Waffenruhe, gegen die die Rechten demonstrierten, wird in der Praxis von beiden Seiten nicht eingehalten. Die Kiewer Behörden berichteten von mindestens fünf Toten und 18 Verletzten auf eigener Seite; die Stadtverwaltung von Slowjansk meldete am Sonntag den Einschlag mehrerer Artilleriegranaten auf dem Markt und in Wohnvierteln. Es habe Tote und Verletzte gegeben. Die Kiewer Truppen hätten schwere Haubitzen so nah an die Stadt herangebracht, daß sie die Häuser im direkten Beschuß angreifen könnten. Die Aufständischen berichteten von der kampflosen Übernahme einer Chemiefabrik und einer Kaserne in Donezk. In der Fabrik sollten ab sofort Handgranaten produziert werden. Außerdem wurden in den letzten Tagen mehrere Eisenbahnlinien im von Kiew kontrollierten Gebiet durch Anschläge leicht beschädigt. Auf einer Webseite der Aufständischen heißt es, dadurch sollten Truppenverstärkungen des Gegners behindert werden.

* Aus: junge Welt, Montag, 30. Juni 2014


EU-Polizisten für Kiew

Europäische Union plant Polizeimission in die Ukraine. Umbau der Nationalgarde zur »disziplinierten« Aufstandsbekämpfungseinheit vorgesehen

Von Frank Brendle **


Die Europäische Union will eine Polizeimission in die Ukraine entsenden, um die dortige Regierung im Kampf gegen die Aufständischen zu unterstützen und die ukrainischen Sicherheitsbehörden auf die Niederschlagung sozialer Unruhen vorzubereiten. Die angestrebte »radikale Umstrukturierung des Sicherheitssektors« schließt die Etablierung der neugeschaffenen Nationalgarde ein. Europäische Union plant Polizeimission in die Ukraine. Umbau der Nationalgarde zur »disziplinierten« Aufstandsbekämpfungseinheit vorgesehen

Brüssel kommt damit einer Aufforderung des ukrainischen Außenministers nach, seine Regierung bei der »Zurückschlagung der russischen Aggression« zu unterstützen. Der vorige Woche ergangene Beschluß des Rates der EU ist bis heute geheim, wurde aber von der britischen Organisation »statewatch« veröffentlicht. Vorgesehen ist zunächst die Entsendung von 40 »strategischen Beratern« nach Kiew, die durch Trainingsteams ergänzt werden können. Später sollen Regionalbüros in Charkiw, Odessa und Lwiw folgen. Beginn und Details der Mission müssen noch mit Kiew abgesprochen werden.

In einer Analyse beklagt die EU, daß die Regierung in Kiew die Kontrolle nicht nur über Teile des Landes, sondern auch über Teile des Sicherheitsapparates verloren habe. Die Bevölkerung habe in die Polizei kaum Vertrauen. Das wird, neben russischer Propaganda, auf die Korruptionsanfälligkeit der Sicherheitsorgane zurückgeführt.

Diesem Zustand soll nun schleunigst abgeholfen werden, weil sonst der Machterhalt der neuen ukrainischen Regierung gefährdet ist: Die Bevölkerung erwarte, so die EU-Strategen, eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage und eine Reform der politischen Strukturen. Ersteres steht freilich in weiter Ferne und wird durch die dem Land abverlangten Wirtschaftsreformen nicht wahrscheinlicher. Erfüllten sich diese Erwartungen nicht, sieht die EU ein mittel-bis langfristiges »Risiko von Ernüchterung, Protest und sozialen Unruhen« – und für deren Bewältigung brauche es eine effektive und verläßliche Polizei.

Die Aufgabe der EU-Berater und Trainer soll darin bestehen, die ukrainischen Polizeibehörden auf zentraler und regionaler, später auch auf lokaler Ebene, »zu beraten und anzuweisen« und die Umsetzung der Reformen sicherzustellen, bis die Regierung das staatliche Gewaltmonopol zurückgewonnen hat. Dazu ist eine »enge Abstimmung« mit den parallel arbeitenden Militärberatern der NATO vorgesehen.

Als Risiko benennt das Papier, daß im Osten der Ukraine die Vorteile eines EU-Engagements bislang »nicht richtig verstanden« würden. Die dortigen Proteste werden pauschal als »kriminell« abgetan, Verbrechen der Regierung und ihrer Anhänger wie das Massaker von Odessa hingegen nicht erwähnt.

Aufschlußreich ist die EU-interne Einschätzung der Nationalgarde: Diese habe eine »Fähigkeitslücke« zur Aufstandsbekämpfung im Inneren zu schließen. Als weiterer Grund für ihre Aufstellung heißt es in dem EU-Papier wörtlich, »diejenigen, die auf dem Maidan gekämpft haben, irgendwie zu beschäftigen, um eine mögliche Ausbreitung der Gewalt zu verhindern, nachdem die Maidan-Kämpfe beendet waren« – korrekt müßte es heißen: um die Ausbreitung der Gewalt außerhalb staatlicher Kontrolle zu verhindern. Diese Truppe soll nun zu einer »disziplinierten und geschlossenen« Struktur umgemodelt werden, die sowohl für polizeiliche als auch militärische Aufgaben verwendet werden könne. Damit erhält das bürgerlich-faschistische Kabinett in Kiew offizielle Hilfe der EU beim Aufbau einer dauerhaften Bürgerkriegseinheit.

** Aus: junge Welt, Montag, 30. Juni 2014


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