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Ein bisschen pleite

Testlauf für den kontrollierten Staatsbankrott? Ukrainische Eisenbahn meldet Insolvenz an und Parlament erlaubt selektive Zahlungsverweigerung

Von Reinhard Lauterbach *

Die staatliche ukrainische Eisenbahngesellschaft Ukrsalisnyzja hat in der vergangenen Woche Insolvenz angemeldet. Wie das Unternehmen in Kiew mitteilte, war es außerstande, die Zinsen auf eine 2018 fällige Auslandsanleihe im Wert von 500 Millionen US-Dollar zu zahlen. Da der Zins der Anleihe 9,5 Prozent beträgt, ging es also letztlich um eine Summe von maximal 47,5 Millionen Dollar, die die Bahn und der für sie haftende ukrainische Staat nicht auftreiben konnten. Für den Zahlungsausfall (»default«) werden mehr oder minder plausible Gründe genannt, so die Auswirkungen des Kriegs in der Ostukraine, der Verlust der Kontrolle über die regionale Bahndirektion im Donbass und der durch die Wirtschaftskrise des Landes stark gesunkene Güterverkehr. Die Bahngesellschaft will jetzt in Verhandlungen mit ihren internationalen Gläubigern eine Umschuldung erreichen.

Der Zahlungsausfall hat angesichts einer nach den Maßstäben der Finanzmärkte unbedeutenden Summe zeigt auf der einen Seite, wie knapp in Kiew derzeit Devisen sind. Auf der anderen Seite lässt Beobachter genau dieser Bagatellbetrag stutzen. Die Überlegung liegt also nahe, dass die kleine Pleite der ukrainischen Eisenbahn – der Zahlungsausfall steht nur für gut zwei Prozent der gesamten Auslandsschulden des Landes in Höhe von 23 Milliarden US-Dollar – von Seiten der Regierung gezielt riskiert wurde, um die Folgen abzuschätzen, falls das Land als ganzes seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen sollte. Letzteres ist wahrscheinlich.

Die Ukraine muss allein in diesem Jahr Schulden im Umfang von 15,3 Milliarden US-Dollar zurückzahlen – das ist fast soviel, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) dem Land über die nächsten vier Jahre an neuen »Hilfen« zugesagt hat. Finanzministerin Natalija Jaresko erklärt zwar standhaft, ein Bankrott sei »ausgeschlossen«. Damit dürfte sie insoweit recht haben, dass sich der Westen eine Pleite seines Klientelstaats politisch nicht leisten kann. Auf der anderen Seite versucht Jaresko aber seit Monaten, die internationalen Gläubiger des klammen Staates zu einem Schuldenschnitt oder zu einer Verlängerung der Laufzeiten zu bewegen. Bisher mit wenig Erfolg. Vor allem die kommerziellen Kreditgeber des Landes scheinen wenig geneigt, die Rechnung der Politik zu zahlen. Der größte von ihnen ist die US-Investmentgesellschaft Franklin Templeton. Die hat in den zurückliegenden Jahren ukrainische Staatspapiere im Nennwert von neun Milliarden Dollar zu deutlich niedrigeren »Marktpreisen« aufgekauft. Deren Hauptgeschäft ist dabei nicht auf das Kassieren der laufenden – auch weit über Marktniveau liegenden – Zinszahlungen gerichtet, sondern wird realisiert, wenn diese Papiere letztlich doch zum Nominalwert zurückgezahlt werden.

Zweitgrößter Gläubiger ist ausgerechnet Russland. Dessen Finanzminister Anton Siluanow hat mehrfach erklärt, dass Moskau pünktlich zum Fälligkeitstermin im Dezember die Rückzahlung ukrainischer Staatsanleihen im von drei Milliarden US-Dollar erwartet, die der russische staatliche Eigentumsfonds noch im Dezember 2013 als »Rettungsring« für die damalige Regierung unter Präsident Wiktor Janukowitsch gekauft hatte. Eine Zinsrate auf dieses Darlehen ist bereits im Juni fällig.

Kiews Problem: Umschuldungsverfahren funktionieren nur, wenn alle Gläubiger zustimmen. Den entsprechenden Verhandlungen der Eisenbahn kommt daher eine weit über ihren unmittelbaren Umfang hinausreichende Bedeutung zu. Gelingt es der ukrainischen Regierung, sich mit deren Gläubigern in dieser finanziell unbedeutenden Größenordnung zu einigen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen. Auf der Webseite des ukrainischen Premierministers Arsenij Jazenjuk ist ein geradezu rührender Text zu lesen, in dem die Regierung Schuldennachlässe als ein »Gebot der Gerechtigkeit« einfordert. Sie verspricht im Gegenzug ab 2016 wieder Wirtschaftswachstum. Diese Prognose ist, um es im Finanzjargon zu sagen, »ambitioniert«. Gerade hat das ukrainische Statistikamt für das erste Quartal 2015 einen Einbruch der Wirtschaftsleistung um 17,6 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2014 eingeräumt. Interessant ist an den Angaben, dass der Handelsumsatz mit der Europäischen Union im gleichen Zeitraum um 33 Prozent zurückgegangen ist. Bestätigt werden damit all jene, die vor einer plötzlichen Umorientierung der ukrainischen Wirtschaft auf Westeuropa gewarnt hatten. Wie jetzt innerhalb weniger Monate wieder Wirtschaftswachstum generiert werden soll, bleibt Jazenjuks Geheimnis. Abgesehen davon, dass dieses dann von einer viel kleineren Bezugsgröße aus zu rechnen wäre und deshalb, wenn es überhaupt eintritt, überwiegend ein sogenannter Basiseffekt ohne Aussagekraft wäre.

Gleichzeitig bereitet Kiew die Finanzwelt aber auf eigenwillige Schritte vor. Das Parlament hat am Dienstag ein Gesetz beschlossen, des dem Land die selektive Zahlungsverweigerung erlauben soll, und zwar genau für diejenigen Staatsanleihen, die 2013 von Russland gekauft worden sind. Man hofft offensichtlich, dass die westlichen Finanzmärkte unter politischem Druck diese Teilinsolvenz schlucken und die Ukraine weiter finanzieren würden. Allerdings wäre dann schwer zu erklären, warum Griechenland seine Schulden auf Heller und Pfennig bezahlen soll.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. Mai 2015


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