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Beliebter Querulant

Ermordung von populärem Milizkommandeur im Donbass gibt Rätsel auf. Alexej Mosgowoj hatte die Machthaber in Lugansk von links kritisiert

Von Reinhard Lauterbach *

Der Kommandeur der Volkswehrbrigade »Gespenst« in der international nicht anerkannten Volksrepublik Lugansk, Alexej Mosgowoj, ist am vergangenen Sonnabend in der Nähe der Stadt Altschewsk einem Anschlag zum Opfer gefallen. Mit ihm starben sechs Menschen, darunter seine Pressesprecherin. Die Attentäter hatten die Kolonne Mosgowojs zunächst mit zwei Antipersonenminen gestoppt und dann sein Fahrzeug von mehreren Seiten aus mit automatischen Waffen beschossen.

Die Ausführung des Anschlags wird in der ukrainischen und russischen Presse übereinstimmend als professionell bewertet. Unklar ist einstweilen die Urheberschaft. Die Führung der Volksrepublik Lugansk beschuldigte Kiew, hinter der Aktion zu stehen. Es wäre eine flagrante Verletzung des Minsker Waffenstillstandsabkommens von Kiewer Seite, wenn diese Vorwürfe zuträfen. Ein Aktivist des »Rechten Sektors« veröffentlichte auf Facebook eine Selbstbezichtigung seiner Gruppe; er habe selbst an der »Liquidierung« Mosgowojs teilgenommen. Örtliche Medien bewerteten das Posting jedoch als Aktion eines Trittbrettfahrers. Offizielle ukrainische Vertreter bestritten eine Beteiligung und machten interne Streitigkeiten im Lager der Aufständischen oder direkt Russland für die Ermordung Mosgowojs verantwortlich.

Diese Lesart muss nicht falsch sein, nur weil sie aus Kiew kommt. Mosgowojs Beziehungen zur aktuellen Führung in Lugansk waren denkbar schlecht. Er hatte der Gruppe um den Präsidenten der dortigen Volksrepublik, Igor Plotnizki, seit dem letzten Herbst immer wieder vorgeworfen, die aus Russland kommende humanitäre Hilfe zu unterschlagen und über eine bestimmte Supermarktkette zu verkaufen und auch sonst trübe Geschäfte mit der Restukraine zu machen. Anfang Mai hatte Mosgowoj auf seiner Webseite zwei programmatische Texte veröffentlicht. Darin wirft er der Führungsgruppe vor, den Elan des Volksaufstands vor einem Jahr zu verraten: »Die heutige Führung (…) hat vergessen, dass sie ihre Position der Volkswehr verdankt (was wir heute im Rückblick sehr bedauern) (…) Vom Aufbau wirklicher Volksrepubliken kann keine Rede sein. Dank dieser Vorgehensweise wird die ideelle Motivation bei den Menschen erschlagen (…) Wir haben heute eine Diktatur, aber nicht die des Proletariats, sondern die der Herren von gestern.«

Mosgowoj, Autor und ehemaliger Leiter eines Folkloretheaters, gehörte zu den ersten Aktivisten des Aufstands im Donbass. Er hatte in seinen politischen Äußerungen stets großen Wert darauf gelegt, die Trennlinie nicht nationalistisch, sondern zwischen oben und unten zu ziehen – auf beiden Seiten der Front. Immer wieder rief er die einfachen Soldaten der ukrainischen Armee auf, sie sollten »die Gewehre umdrehen« und nach Kiew marschieren. Als er seine Truppe das »Gespensterbataillon« nannte, könnte das auch eine Verbeugung vor jenem Gespenst gewesen sein, das laut dem »Kommunistischen Manifest« in Europa umgeht. Andere seiner Äußerungen klingen leicht anarchistisch: »Wo kämen wir denn hin, wenn sich das Volk selbst organisierte – dann bräuchten wir ja gar keine Minister mehr«. Gleichzeitig war Mosgowoj ein harter Macho, der den Frauen in seinem Gebiet verbot, »in den Cafés herumzusitzen und ein schlechtes Beispiel zu geben« und der Schwule am liebsten hätte erschießen lassen. Dennoch muss Mosgowoj in seiner Region beliebt gewesen sein. Zu einer spontanen Trauerkundgebung am Wochenende in Altschewsk kamen nach im Internet veröffentlichten Videos mehrere hundert Menschen, darunter auch viele Frauen.

Klar ist, dass es den Attentätern nur gelingen konnte, die Kolonne Mosgowojs abzupassen, weil es einen Verräter gab. Es ist nicht auszuschließen, dass es einem seiner Gegner in der Lugansker Führung zupass kam, sich für den Mord ukrainischer Hände zu bedienen. Mosgowoj, der von der Idee einer Ausdehnung des Aufstands auf den Rest der Ostukraine nicht ablassen mochte, hatte sich allerdings auch in Moskau Feinde gemacht. Am gestrigen Mittwoch wurde er beerdigt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 28. Mai 2015


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