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Faschistentrainer

Das Minsker Abkommen über einen Waffenstillstand in der Ukraine ist brüchig, in der Gegend um Mariupol wird gekämpft. Derweil versorgen die USA Kiew mit militärischem Gerät und entsenden Ausbilder. Davon profitieren auch extrem rechte Freikorpsbataillone

Von Ralf Rudolph, Uwe Markus *

Gegenwärtig entscheidet sich in Mariupol, ob der Waffenstillstand von Minsk hält oder ob der verheerende Krieg im Osten der Ukraine weitergeht. Obwohl die am 15. Februar vereinbarte Waffenruhe zu einer deutlichen Verringerung der Kampfhandlungen geführt hat, meldet die ukrainische Armee für die Stadt am Asowschen Meer und Umgebung fast täglich Artillerieduelle und Gefechte.

Vor mehr als sieben Jahrzehnten gingen an diesem Ort kriegerische Aktivitäten zu Ende. Mariupol wurde am 10. September 1943 von den Truppen der Roten Armee im Zuge der Donbass-Offensive befreit. Das zweijährige deutsche Besatzungsregimes war damit beseitigt. Hier hatten sich wichtige Dienststellen der deutschen Wehrmacht, Stäbe von Einheiten sowie ein Heeresverpflegungsmagazin befunden. Im Zuge der Besatzung und der Kämpfe hatte die Stadt schwere Zerstörungen erlitten, ein großer Teil der jüdischen Gemeinde Mariupols, etwa 11 Prozent der Bevölkerung, war dem Holocaust zum Opfer gefallen. Viele Bürger waren zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden. Zu Beginn der Besatzung durch die Wehrmacht hatte man etwa 241.000 Einwohner gezählt, Ende 1943 lebten nur noch 85.000 Menschen in der Stadt.

Vor dem Zweiten Weltkrieg war Mariupol eine ukrainisch-griechisch geprägte Stadt gewesen. Nach dem Sieg der Roten Armee siedelten sich hier Menschen aus der ganzen Sowjetunion an. Viele Bürger waren daher auch nach der Auflösung der UdSSR der Meinung, dass sich ihre Identität nicht durch eine Entscheidung entweder für Russland oder die nunmehr selbständige Ukraine definieren lässt. Sie wollten weder durch die ungeliebte Kiewer Zentralregierung vertreten werden noch die als provisorisch empfundene »Donezker Volksrepublik« (DVR) anerkennen. Viele hoffen mittlerweile, dass die russische Armee kommt und für Ruhe sorgt. Mariupol ist vor diesem Hintergrund ein aus der Zeit gefallenes Stück Sowjetunion.

Vertuschungsmanöver

Erneut wird um die Stadt in der Oblast Donezk gekämpft. Der in Minsk vereinbarte Abzug schwerer Waffen wurde von der ukrainischen Armee und dem an deren Seite operierenden extrem rechten Freikorpsbataillon »Asow« nicht umgesetzt. Denn in Mariupol und Umgebung, vor allem in dem Ort Schirokine, sollte gelingen, was sich Anfang des Jahres bei Donezk und im Kessel von Debalzewe als unmöglich erwiesen hatte: die Erringung einer zumindest punktuellen militärischen Überlegenheit über die Verbände der international nicht anerkannten DVR. (siehe jW-Thema vom 19.2.2015)

Insbesondere der Ort Schirokine ist zur Zeit einer der »heißesten« Punkte des Donbass. Gelegen am Ufer des Asowschen Meeres zwischen Mariupol (von der ukrainischen Armee besetzt) und Nowoasowsk (von den Milizen der DVR besetzt), ist der Ort zum militärischen Testfeld geworden, zum möglichen Ausgangspunkt für eine erneute Eskalation der Kämpfe. Der Ostteil der Ortschaft wurde zunächst von den Volksmilizen der DVR kontrolliert, der Westteil vom Bataillon »Asow«. Schon zu diesem Zeitpunkt gab es in der Gegend immer wieder Artillerie- und Minenwerferduelle. So hatten nach drei Tagen Waffenruhe die Mitarbeiter der Special Monitoring Mission (SMM) der OSZE am Abend des 11. April in der Region Berdjansk Feuer von Panzerkanonen in Richtung Schirokine registriert. Nach Angaben der Beobachter wurden der Ort und seine Umgebung von einem von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiet aus beschossen. Etwa 15 Minuten später sei es zu einem Feuerduell zwischen Einheiten in den Orten Berdjansk und Schirokine gekommen, das etwa drei Stunden dauerte. Zuvor war bekannt geworden, dass OSZE-Beobachter und Journalisten im Raum Schirokine unter Beschuss geraten waren. Die Mitarbeiter der OSZE mussten das Dorf deshalb verlassen. Allein am 20. April 2015 wurden in Schirokine im Verlauf von 24 Stunden 410 Explosionen von Geschossen registriert, die aus von Kiew befehligten Gefechtsstellungen abgefeuert worden waren. In dem Ort sind nach Angaben des stellvertretenden Leiters der Verwaltung des Nowoasowsker Bezirks, Anatolij Janowskij, mittlerweile 90 Prozent der Infrastruktur zerstört.

Nach einer am 29. April durchgeführten Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Deutschland und Russland mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko sollte Schirokine nunmehr Teil einer demilitarisierten Zone in der Region werden. In dem Ort sollte zudem eine Beobachtungsstelle der OSZE-Mission eingerichtet werden. Die Volksmilizen zogen sich daraufhin zurück. Das Bataillon »Asow« nutzte diesen Rückzug aus und besetzte trotz der Proteste von Offizieren der OSZE-Mission den größten Teil des Ortes. Als Reaktion auf diesen Einspruch teilte der ukrainischen Pressedienst am 3. Mai schließlich mit, dass nun auch »Asow« den Ort verlassen habe, was sich jedoch als Vertuschungsmanöver erwies. Es wurde nur eine Rotation von Einheiten vorgenommen. Die Kämpfer des Freikorps wurden durch Angehörige des Bataillons »Donbass« abgelöst. Dessen Kommandeur Semeon Sementschenko hatte auf Facebook bereits am 2. Mai mitgeteilt: »Im Zusammenhang mit der geplanten Rotation und dem Abzug eines Teils des Bataillons ›Asow‹ hat das Bataillon ›Donbass‹ zusätzliche Kampfeinheiten in die Wohnsiedlung Schirokine einmarschieren lassen und kontrolliert nun alle Stellungen«.

Erfolgsmeldungen dringend benötigt

Und auch anderenorts in der Region gingen die Kämpfe weiter: Am 26. April wurde die Ortschaft Nowaja Marjewka mit Mehrfachraketenwerfern beschossen, ein Milizangehöriger starb, es gab Zerstörungen. Der Beschuss erfolgte auch hier meistenteils nicht durch reguläre ukrainische Truppen, sondern von den nicht vom Kiewer Armeekommando kontrollierten Freikorpsbataillonen. Ende April berichtete auch der Vorsteher des Bezirks Starobeschewe, Iwan Michailow, über die angespannte Situation in der Nähe der sogenannten Kontaktlinie. Insbesondere fünf Dörfer – mit griechischer Bevölkerungsmehrheit – litten unter dem intensiven Beschuss.

Nach Angaben ukrainischer Militärs waren und sind diese begrenzten Operationen insbesondere bei Mariupol vor allem für die Moral der eigenen Truppen wichtig. Man will durch Einzelerfolge aus dem durch die Niederlage bei Debalzewe verursachten Motivationstief herauskommen. So sollen offenbar die Soldaten mental für eine neue Großoffensive im Osten fit gemacht werden. Kiew braucht angesichts zunehmender wirtschaftlicher und politischer Schwierigkeiten dringend Siegesmeldungen von der Front.

Rund fünfzehn ukrainische Checkpoints umgeben die Stadt Mariupol und sollen sie vor Angriffen der Volksmilizen schützen. Panzer wurden als feste Feuerpunkte in Stellung gebracht. Raketenwerfer und Rohrartillerie sollen potentielle Angriffe erschweren.

Für Experten ist jedoch längst klar, dass diese Region ein Gebiet ist, über das der ukrainische Staat und seine Streitkräfte immer weniger Kontrolle haben. Zugleich ist gerade deshalb die militärische Instabilität hier besonders hoch. Beide Konfliktparteien richten sich offenbar auf eine Intensivierung der Kampfhandlungen ein. Während US-Geheimdienste vor einem möglichen Angriff der Donezker Volksmilizen auf die Hafenstadt Mariupol warnen, verweisen letztere auf den ständigen Einsatz schwerer Waffen durch die ukrainischen Kräfte, der eindeutig den Festlegungen von Minsk II widerspricht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Volksmilizen dieser militärische Bedrohung der Zivilbevölkerung und der eigenen Truppen begegnen werden. In der Südostukraine stehen also die Zeichen weiter auf Destabilisierung.

Doch auch in anderen Regionen der Ostukraine schwelt der Konflikt weiter: Am Wochenende des 18./19. April flammten die Kämpfe in der Umgebung des Donezker Flughafens, bei den Siedlungen Peski und Spartak, wieder auf. Es gab erneut einen Beschuss der Städte Donezk, Awdijeiwka und Gorliwka mittels schwerer Waffen durch die ukrainischen Truppen. Die Volksmilizen führten deshalb ihrerseits den Fronteinheiten wieder die ursprünglich abgezogenen Geschütze zu. Truppenansammlungen der ukrainischen Armee wurden auch im Raum von Switlodarsk, Popasna, Troizke und Krasny Pachar (nördlich von Debalzewe) beobachtet. Die Ortschaft Schtschast wurde von Truppen Kiews mit Granatwerfern beschossen. Möglicherweise beginnt demnächst eine Offensive der ukrainischen Militärs bei dem Ort Slowjanoserbsk im gleichen Frontabschnitt.

Strategie der Spannung

Dass die Ukraine sich für einen erneuten Waffengang in Stellung bringt und bemüht ist, möglichst kurzfristig die Armee und die Nationalgarde für eine solche Operation zu ertüchtigen, wird auch durch andere Indikatoren bestätigt. So wurden am 20. April 290 Soldaten der 173. US-Luftlandebrigade (173. Airborne Brigade Combat Team) aus Italien und des 91. Kavallerieregiments der US-Armee (Fallschirmjäger, die im oberpfälzischen Grafenwöhr stationiert sind) zu Ausbildungszwecken in die Ukraine verlegt. Poroschenko und der Vizepräsident der USA, Joseph Biden, hatten das Abkommen über die Ausbildung der ukrainischen Truppen durch die US-Armee beim letztem Besuch Bidens in Kiew ausgehandelt.

Die 173. Luftlandebrigade ist auf kurzfristige Offensiveinsätze spezialisiert. Der Verband muss in weniger als 18 Stunden innerhalb Europas einsatzbereit sein. Für die Fallschirmjäger ist die Zusammenarbeit mit der ukrainischen Armee Routine. Sie treffen deren Soldaten seit Jahren bei Übungen in ganz Europa. Zudem war der US-Fallschirmjägerverband erst im September 2014 im Zuge des Manövers »Rapid Trident 2014« in der Ukraine. Bereits 2014 hat diese Brigade in Polen, Ungarn und im Baltikum Militärspezialisten ausgebildet. 150 ihrer Soldaten waren bereits am 24. Oktober 2014 für ein Jahr in Lettland stationiert worden, und weitere 200 befinden sich in Rumänien. Die derzeit in der Ukraine eingesetzten zwei Kompanien und ein Bataillonsstab sollen später von anderen Einheiten dieses Truppenteils abgelöst werden.

Während die Fallschirmjäger des 91. Kavallerieregiments aus Grafenwöhr in die Ukraine geflogen wurden, überführten die Logistikkräfte der 173. Luftlandebrigade die für die Mission benötigten Einsatzfahrzeuge aus dem mehr als 1.800 Kilometer entfernten Stationierungsort Vicenza in Oberitalien durch Österreich, Deutschland und Polen in die Ukraine. Unter den US-Ausbildern befindet sich eine große Anzahl von Soldaten, die aus der Ukraine stammen und somit Russisch oder Ukrainisch sprechen. Sie wurden Mitte April auf dem 380 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz Jaworiw in der Westukraine, nahe der ukrainisch-polnischen Grenze, stationiert. Jaworiw ist der größte Schießplatz Europas. Das Gelände wird seit längerer Zeit für Übungen im Zuge des NATO-Programms »Partnerschaft für den Frieden« genutzt. In den kommenden Wochen werden die Amerikaner in Kiew, Charkiw, Odessa, Iwano-Frankiwsk und Winnizja Truppenübungen mit ukrainischen Soldaten abhalten.

Die Verlegung der US-Ausbilder in die Ukraine verstößt indes eindeutig gegen das Minsker Abkommen vom Februar 2015, denn die Vereinbarung sah den Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Land vor. Damit werden Russlands Präsident Wladimir Putin, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in Minsk auf Deeskalation gedrängt hatten, politisch vorgeführt, was offenbar in US-amerikanischem Interesse liegt. Man macht so deutlich, wer der Spielführer ist.

Ausbilder und Material

Auch die Kiewer Rada verstieß gegen das Minsker Abkommen, indem sie am 17. März eine Gesetzesvorlage Poroschenkos annahm, die es ausländischen Truppen erlaubt, im Jahr 2015 an multinationalen Übungen in der Ukraine teilzunehmen. Deshalb auch die Tarnung des Ausbildungseinsatzes der 173. Luftlandebrigade als Manöver. Poroschenko machte die Operation mit der Bezeichnung »Fearless Guardian 2015« (Furchtloser Wächter) zur Chefsache, empfing die Amerikaner bei ihrer Ankunft auf dem Flugplatz in Lwiw und eröffnete das sogenannte Manöver auf dem Schießplatz mit einer markigen Rede. Die Kosten für diese Mission der US-Truppen wurden zuvor von Washington mit 19 Millionen US-Dollar veranschlagt und vom Kongress gebilligt. Doch damit nicht genug: Insgesamt werden 1.500 US-Militärs, 600 weitere aus anderen NATO-Mitgliedsstaaten und 2.200 ukrainische Soldaten im Jahr 2015 eine Reihe von Übungen in der Ukraine abhalten. »Fearless Guardian 2015« wird sieben Monate, von April bis November 2015, dauern. Das zweite Manöver mit der Bezeichnung »Saber Guardian/Rapid Trident 2015« (Säbelwächter/Schneller Dreizack) läuft von Juli bis Ende Oktober 2015. Es sind im Grunde keine Manöver, sondern Dauereinsätze von NATO-Truppen zur Konditionierung des ukrainischen Militärs.

Dazu sind derzeit auch Ausbilder der britischen Armee eingesetzt. Dutzende von ihnen begannen schon vor Wochen im Süden der Ukraine mit der Realisierung von Trainingsprogrammen. Unterstützung erhält Kiews Armee künftig auch aus Kanada. Dessen Premierminister Stephen Harper kündigte am 21. April an, rund 200 Soldaten in die Westukraine auf das Übungsgelände Jaworiw und in das Minenabwehrzentrum Kamjanez-Podilsky als Ausbilder entsenden zu wollen. Die letzten sollen bis Ende März 2017 bleiben.

Der Kommandeur der ukrainischen Nationalgarde, Generalleutnant Mykola Balan, erklärte derweil, dass die Ausbildung seiner Kämpfer in drei Etappen von jeweils acht Wochen unterteilt ist. Jeder Kurs wird mit 300 Soldaten oder Kämpfern der Nationalgarde besetzt. Zuerst werden die regulären Einheiten ausgebildet. Die Freikorpsbataillone, die nun Teil der Nationalgarde geworden sind, kommen in den nächsten Etappen in die Trainingscamps. Fast 80 Prozent der ukrainischen Soldaten, die in der erste Etappe auf dem Truppenübungsplatz gedrillt werden sollen, waren bereits an vorderster Front in den Regionen Donezk und Lugansk im Einsatz. Vor allem die Kommandeure sollen lernen, wie militärische Operationen effektiv durchgeführt werden, wie man die lokale Bevölkerung zur Kollaboration bewegt und gegen feindliche Propaganda vorgeht. Zu den wichtigsten Aspekten der Übungen zählen zudem die Organisation des Artilleriefeuers, taktische Aufklärung, der Schutz von Kontrollpunkten sowie die Neutralisierung feindlicher Sabotagegruppen, aber auch die Räumung von Minen, die Blockade und Eliminierung des Feindes sowie die Organisation der Versorgung Verwundeter.

Innenminister Arsen Awakow kündigte zudem an, dass die von den Amerikanern bei den gemeinsamen Übungen eingesetzte Kommunikationsausrüstung anschließend bei der ukrainischen Nationalgarde verbleiben werde. Dabei handelt es sich um 30 mobile Funkstationen, aber auch um einhundert Nachtsichtgeräte, Schutzkleidung, Helme, und kugelsichere Westen für mehr als 700 Soldaten.

Gesteigerter Angriffswille

Insgesamt werden 1.200 reguläre ukrainische Soldaten und bis zu 1.000 Nationalgardisten an der Ausbildung teilnehmen. Viele der 50 Bataillone, aus denen die Nationalgarde nach der Eingliederung eines Großteiles der Freikorps besteht, werden Soldaten schicken. Innenminister Awakow nannte unter anderem das berüchtigte »Asow«-, das »Jaguar«- und das »Omega«-Bataillon sowie weitere aus Kiew, Charkiw, Saporischschja, Odessa, Lwiw, Iwano-Frankiwsk und Winnizja.

Es sind zum Teil Spezialeinheiten, die von den westlichen Militärs für zukünftige Kampfeinsätze gedrillt werden sollen. So handelt es sich beispielsweise beim sogenannten Omega-Bataillon um eine Scharfschützentruppe, die zur 1994 gegründeten Sondereinheit »Bars« des Innenministeriums gehört. Die Einheit »Jaguar« ist ebenfalls eine Sondereinsatzkompanie der Truppen der inneren Sicherheit, die der Nationalgarde zugeordnet wurden.

Insbesondere die Teilnahme des »Asow«-Bataillons an den Ausbildungsmaßnahmen der NATO erhellt den politischen Zweck der Veranstaltung und verweist auf die Skrupellosigkeit westlicher Politiker und Militärs: Diese Truppe besteht aus mehr als 1.000 Mann. Sie wurde von dem bekennenden Nationalsozialisten Andreij Bilezkij gegründet und politisch konditioniert. Die Einheit wurde im Bürgerkrieg bislang vor allem durch eine besonders grausame Kampfführung und Übergriffe auf Zivilisten auffällig. Diese Leute werden nun durch westliche Militärs und mit westlichen Geldern dazu befähigt, ihre politischen Ziele mit militärischen Mitteln zu erreichen. Im Bataillon »Asow« kämpfen auch über einhundert Westeuropäer. Sie kommen unter anderem aus Deutschland, Schweden, Großbritannien, Kroatien oder der Schweiz. Die NATO sorgt mit der Ausbildung dieser Faschisten direkt für eine Stärkung des rechten Terrorpotentials in Westeuropa. »Asow«-Kommandeur Bilezkij gilt in der Ukraine als politischer Scharfmacher mit Sendungsbewusstsein. So agitierte er gegen das Waffenstillstandsabkommen vom 15. Februar in Minsk und drohte an, Kiew mit seinem Bataillon zu besetzen, um eine eindeutig kriegswillige Regierung einzusetzen. Und die Truppe besteht nicht mehr nur aus Infanteristen. Das Bataillon ist mit Artillerie und Panzern sowie anderen schweren Waffen ausgerüstet.

Die Freikorpsbataillone werden immer mehr zum politischen Unsicherheitsfaktor, der trotz Integration in die Nationalgarde durch die ukrainische Regierung kaum noch zu kontrollieren ist. Diese zumeist offen faschistisch und antirussisch eingestellten Einheiten, die auf seiten Kiews in der Ostukraine an vorderster Front im Einsatz sind, begingen und begehen zahllose Kriegsverbrechen, Entführungen von Zivilisten, Folterexzesse und Exekutionen, während ihr Präsident die Öffentlichkeit glauben machen will, dass die Ukraine für die Durchsetzung westlicher Werte kämpfe.

Neuer Stellvertreterkrieg

Dass der Westen auf ehemals sowjetischem Staatsgebiet nunmehr offen militärisches Training für Gruppierungen ermöglicht, die sich unter anderem in der Tradition der Waffen-SS sehen, ist insbesondere 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine an Zynismus kaum zu überbietende politische Provokation. Beobachter werten den Ukraine-Einsatz von NATO-Militärs als neue Stufe des Stellvertreterkrieges gegen Russland. Dessen Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich über die neue Entwicklung besorgt. Gegenüber der Agentur Interfax erklärte er: »Die USA laufen Gefahr, die strategische Balance zu zerstören, die bisher als Garant der weltweiten Sicherheit gilt.« Diese diplomatische Formulierung deutet darauf hin, dass Russland nun seinerseits Maßnahmen ergreifen könnte, die geeignet sind, das Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Moskauer Führung sieht angesichts immer neuer Muskelspiele des US-Militärs ihre Befürchtungen bestätigt, dass der Westen den Ukraine-Konflikt für eine dauerhafte strategische Schwächung Russlands instrumentalisiert.

So will etwa der neue Befehlshaber der US-Armee in Europa, Generalleutnant Ben Hodges, bis Ende dieses Jahres 150 Kampfpanzer, die im Frühjahr 2013 aus Deutschland abgezogen worden waren, wieder nach Europa zurückverlegen. Es handelt sich dabei um »Abrams«-Kampfpanzer und »Bradley«-Schützenpanzer. Ein Drittel davon soll in Deutschland als Materialreserve (European Activity Set) verbleiben. Die anderen werden in osteuropäische Länder mit gemeinsamer Grenze zu Russland verlegt. Die USA planen zudem, im Jahr 2015 regelmäßig Einheiten in Stärke einer Kampfbrigade in den osteuropäischen NATO-Ländern rotieren zu lassen. In den kommenden Monaten werden sich diese speziellen Einheiten der US-Armee an Übungen in Rumänien und Bulgarien, der Ukraine und in Georgien beteiligen. Für diese Rotation der Truppen und für militärische Infrastrukturen in den NATO-Ostländern hat Washington umgerechnet 850 Millionen Euro bewilligt.

Und angesichts einer solchen Rückendeckung aus dem Westen schlägt die ukrainische Führung wieder harschere Töne an: So erklärte Poroschenko am 30. April 2014 in einem Interview für den ukrainischen Sender STB: »Der Krieg endet dann, wenn sich die Ukraine den Donbass und die Krim zurückgeholt hat.« Die Aussage belegt, dass die Minsker Vereinbarung für Kiew offenbar nur eine militärische Atempause bringen soll. Bereits unmittelbar nach dieser Erklärung wurde die Artillerieangriffe auf Donezk und die umliegenden Ortschaften durch die ukrainische Nationalgarde intensiviert. So hat etwa der massive Beschuss der Stadt in der Nacht vom 2. zum 3. Mai großflächige Zerstörungen und Brände verursacht. Die ukrainischen Truppen beschossen den Stadtteil Kiewskij, das Flughafengelände, das Oktjabrski-Bergwerk und das »Volvo-Zentrum«. Kiews Truppen griffen auch die Orte Jasinuwata, Gorliwka, Schirokine, Nowomarjewka, Nikolajewka, Spartak, Sachanka und Grigorjewka an. Zu dieser Eskalation des Konflikts durch die Scharfmacher in der ukrainischen Regierung schweigt der Westen diplomatisch, statt auf die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu pochen. Die Ukraine jedoch kann diesen Krieg nur führen, weil westeuropäische Politiker auf Druck der USA der Kiewer Führung einen politischen und finanziellen Blankoscheck ausgestellt haben. Wenn im Westen, vor allem in Washington, der politische Wille zum Frieden vorhanden wäre, hätte man alle Möglichkeiten, mäßigend auf die Extremisten in der ukrainischen Führungsriege einzuwirken. Doch solange es gegen Russland geht, lässt man den politischen Hasardeuren in der ukrainischen Hauptstadt freie Hand.

* Aus: junge Welt, Freitag, 8. Mai 2015


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