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"Da überholt man noch die Strategen im Westen"

Mancher Moderator will mehr Konfrontation: Medienwissenschaftlerin kritisiert Ukraine-Berichterstattung. Gespräch mit Sabine Schiffer *


Dr. Sabine Schiffer ist Leiterin des Institutes für Medienverantwortung (IMV) Die Auseinandersetzungen in der Ukraine sind Schwerpunkt in den Nachrichten. Dabei scheint für die Mehrzahl der Medien klar festzustehen, wer der Böse ist: Rußland.


Wie bewerten Sie das Verhalten der sogenannten Leitmedien?

Die Berichterstattung ist diesmal so auffällig einseitig, daß in etlichen Online-Foren, auf Twitter und Facebook dieser Fakt auch schon jenseits der üblichen Kreise kritisch diskutiert wird. Es fällt einfach auf, etwa wenn dafür plädiert wird, »eine härtere Gangart« gegen Putin einzulegen, während auf der anderen Seite für das »Im-Gespräch-Bleiben« mit der »ukrainischen Führung« geworben wird. Warum sollte man mit Rußland nicht auch im Gespräch bleiben? Und wie kann man mit dem üblichen Programm fortfahren, wenn gerade ein seltener Interviewpartner wie Günter Verheugen (SPD) im Deutschlandfunk auf den faschistischen Charakter einiger Organisationen in der Ukraine hingewiesen hat, die jetzt dort an der sogenannten Regierung beteiligt sind?

Journalisten brauchen dringend eine Fortbildung in Sachen Völkerrecht. Fehlendes Wissen darüber führt dazu, daß Falschbehauptungen von interessengeleiteten Lobbyisten oder Politikern unhinterfragt kolportiert und damit für relevant erklärt werden. Dies ist aktuell auffällig in Sachen Krimkrise. Dazu paßt die schon länger andauernde Dämonisierung Putins. Unser Institut hat auf seiner Website unter der Rubrik Gastbeiträge die Bacherlorarbeit von Mirjam Zwingli veröffentlicht, die das tendenziöse Zuschreiben positiver Merkmale für Präsident Obama und negativer Stimmungsbilder für Präsident Putin in Printmedien nachweist.

Erstaunlich finde ich immer wieder das Phänomen, daß in kritischen Programmen oder Kommentaren auch der Mainstream-Medien durchaus über Fakten wie die illegale NATO-Ausdehnung gen Osten informiert wird. Das tut aber der polarisierenden und einseitig aufwiegelnden Berichterstattung, die wir Nachrichten nennen, keinen Abbruch – und danach richten wir uns ja häufig tatsächlich.

Vor allem im ZDF überschlugen sich in den letzten Tagen die Moderatoren mit Fragen, warum nicht gleich schärfere Sanktionen gegen Rußland verhängt würden. Täuscht der Eindruck, daß das staatliche Fernsehen zunehmend auf Propaganda und nicht auf wahrheitsgetreue Berichterstattung setzt?

Mein subjektiver Eindruck ist, daß das keine Spezifik des ZDF ist, auch wenn der Sender bereits in der Vergangenheit immer wieder durch vorauseilende Propaganda aufgefallen ist. Aber in etlichen renommierten deutschen Tageszeitungen sieht es ja nicht wesentlich anders aus. Empirische Daten, die das genau vergleichen würden, liegen aber noch nicht vor. Außerdem gibt es im ZDF ja auch ein kritisch-satirisches Format wie »Die Anstalt«, was aber die übliche Berichterstattung nicht beeinflußt. Insofern kann man es zum jetzigen Zeitpunkt nicht an der Verfaßtheit des ZDF oder der öffentlichen-rechtlichen Medien allgemein festmachen, obwohl das Thema »Staatsferne« dort sicherlich weiter und besonders heftig diskutiert werden muß.

Fürchten sie einen – auch medialen – Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges?

In die Stimmung des Kalten Krieges, ja. Das wird im Rahmen der Osterweiterungsagenda in Kauf genommen. Ein Großteil unserer Medien versagt wieder auf weiter Flur und füllt die Rolle als Vierte Gewalt nicht aus. Im Gegenteil, manchen Moderatoren und Kommentatoren scheint der Konfrontationskurs gegen Rußland noch nicht weit genug zu gehen. Da überholt man gar noch die Strategen im Westen.

Ganz allgemein gefragt: Wie frei ist die Medienlandschaft in Deutschland tatsächlich?

Die öffentlich-rechtlichen Medien wären eigentlich finanziell besser abgesichert, um unabhängig zu berichten, als von Anzeigenkunden und damit der Wirtschaft abhängige Medienunternehmen. Sie erfüllen aber ihren im Rundfunkstaatsvertrag festgeschriebenen Auftrag nicht zufriedenstellend. Die Mehrzahl der kommerziellen Medien kompensiert diese Fehlleistung nicht. Wir haben die Lücke im System, daß wir nämlich Medien einen öffentlichen Auftrag – wie Information und Bildung – zuschreiben, sie aber letztlich wirtschaftlich Erfolg haben müssen, noch nicht geschlossen. Das fällt uns in Zeiten massiver Manipulation auf die Füße.

Interview: Markus Bernhardt

www.medienverantwortung.de

* Aus: junge welt, Montag, 24. März 2014


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