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EU-Strafkatalog in Kraft

Deutsches "Know-How" beim Mauerbau der Ukraine gefragt

Von Olaf Standke *

Wie die EU hat auch Washington die Sanktionen gegen Russland verschärft. Moskau kritisierte die Strafmaßnahmen scharf.

Nun ist es amtlich: Die neuen Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland sind am Freitag in Kraft getreten. Zuvor wurden die Strafmaßnahmen, die sich sowohl gegen Öl- und Rüstungsfirmen sowie Banken als auch mit Einreise- und Kontensperren gegen 24 Einzelpersonen richten – im EU-Amtsblatt veröffentlicht. So stehen u.a. der ultranationalistische Dumaabgeordnete Wladimir Schirinowski und Sergej Tschemesow, Chef des führenden Rüstungs- und Industriekonzerns Rostec und alter Putin-Freund, neu auf der Schwarzen Liste. Auch Washington dreht an der Sanktionsschraube. US-Präsident Barack Obama kündigte für Freitag ebenfalls weitere Maßnahmen gegen Finanz-, Energie- und Verteidigungsbereiche der russischen Wirtschaft an.

Betroffen sind schon jetzt drei strategisch wichtige Rüstungskonzerne, deren Anleihen wie auch jene der Ölfirmen Rosneft, Transneft und Gazprom nicht mehr an den Finanzmärkten der Union gehandelt werden dürfen. United Aircraft Corporation stellt Kampfflugzeuge her, Uralvagonzavod ist Russlands führende Panzerschmiede, OPK Oboronprom der wichtigste Gesellschafter des Hubschrauberproduzenten Russian Helicopters. Einfluss auf die laufenden Geschäfte sieht man dort aber nicht. Dagegen glaubt der Bundesverband deutscher Banken, dass diese Konzerne vor allem die stärkeren Beschränkungen ihrer kurzfristigen Refinanzierung »schmerzlich spüren« dürften.

In einigen EU-Staaten wiederum wächst die Sorge, dass sich die neuen Strafmaßnahmen als Bumerang erweisen könnten. Wiens Finanzminister Hans Jörg Schelling etwa geht derzeit von einen Wachstumsdämpfer von 0,1 Prozentpunkten aus – Tendenz aber steigend. Viele österreichische Unternehmen und Banken hätten intensive Geschäftsbeziehungen zu osteuropäischen Ländern, die ihrerseits stark vom Russland-Geschäft abhängen. Sein litauischer Amtskollege Rimantas Sadzius fürchtet vor allem die Moskauer Gegensanktionen. Das Wirtschaftswachstum werde 2015 wohl um 0,9 auf 3,4 Prozent schrumpfen.

Westliche Unternehmer in Russland haben die neuen Maßnahmen ebenfalls kritisiert. Viele der 28 EU-Regierungen stimmten der Verschärfung nur widerwillig zu. Auch deshalb erklärte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, die Sanktionen könnten umgehend wieder zurückgenommen werden, sollte sich Moskau kooperativ zeigen.

In russischen Medien war am Freitag schon von einem »Krieg der Sanktionen« die Rede, »der keine Waffenruhe kennt«. Dabei hatte der Kreml die konkrete Antwort bis Freitagnachmittag noch gar nicht formuliert. Denkbar seien vor allem weitere Importbegrenzungen, etwa für Autos aus dem Westen. Sie würden Deutschland – zweitwichtigster Handelspartner Russlands – besonders treffen. Außenminister Sergej Lawrow warf der EU im Fernsehsender Rossija-1 erneut vor, mit diesen Sanktionen den Ukraine-Konflikt zu verschärfen: »Wer Strafmaßnahmen in einem Moment erlässt, in dem sich der Friedensprozess in der Ukraine festigt, unterhöhlt diesen Prozess.« Laut Duma-Präsident Sergej Naryschkin diene der Konflikt lediglich als Vorwand für die lange geplante Bestrafung Russlands.

NATO-Botschafter Alexander Gruschko kritisierte in Brüssel die destruktive Haltung der Allianz, die Moskau vorwirft, weiterhin mit etwa 1000 Soldaten die Separatisten in die Ostukraine zu unterstützen und deshalb ihre Präsenz im Baltikum und im Schwarzen Meer ausweitet. OSZE-Beobachter wollten am Freitag jedoch Meldungen über den Grenzübertritt einer russischen Militärkolonne Mitte der Woche an den Übergängen Donezk oder Gukowo nicht bestätigen.

Während die Gespräche zwischen Brüssel, Kiew und Moskau über das EU-Freihandelsabkommen mit der Ukraine fortgesetzt gesetzt wurden, äußerte die Bundesregierung Verständnis für ukrainische Pläne, entlang der Grenze zu Russland eine rund 2300 Kilometer lange Mauer zu bauen. Wichtig sei, dass kein weiterer Nachschub von Waffen und Kämpfern für die Separatisten erfolgen könne. Eine Steilvorlage für Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew und am Freitag Gast der Adenauer-Stiftung in Berlin. Der Weggefährte von Präsident Petro Poroschenko bat Deutschland um »Hilfe jeder Art« bei der Errichtung dieser Mauer und von zusätzlich etwa 1500 Kilometer Gräben – ob nun finanzielle Unterstützung oder »Know-How«.

* Aus: neues deutschland, Samstag 13. September 2014


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