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Grüne Männchen in Kiew

Auseinandersetzung um Kontrolle über staatliche Ölfirma eskaliert. Oligarch Kolomojskij schickt schwerbewaffnete Privatarmee

Von Reinhard Lauterbach *

Im Kiewer Westen ist seit Freitag ein martialisches Bild zu beobachten. Schwerbewaffnete Männer in Kampfanzügen stehen vor und in dem Gebäude der staatlichen ukrainischen Öl- und Gasförderfirma »Ukrnafta«. Der Wachdienst hält sich raus, die Polizei schaut weg. Journalisten, die nachsehen wollten, was sich bei »Ukrnafta« tat, wurden unsanft aus dem Haus gedrängt; ein Reporter des US-Propagandasenders Radio Liberty wurde von einem untersetzten vollbärtigen Mann wüst beschimpft, er solle seine Nase in den eigenen Hintern stecken und nicht in Angelegenheiten, die ihn nichts angingen. Im Regierungsviertel bezog derweil die Nationalgarde Posten, Busse voller Aufstandsbekämpfungspolizisten standen tagelang an den Straßenecken.

Der untersetzte Herr mit Vollbart war der Oligarch Igor Kolomojskij, seit einem Jahr Gouverneur des Bezirks Dnipropetrowsk und als solcher durchaus bewährt im Niederschlagen »prorussischer Aufstände«. Das Massaker von Odessa am 2. Mai 2014 soll nach nicht verstummenden Gerüchten von ihm inspiriert worden sein. Dass an dem Massenmord der von Kolomojskij finanzierte »Rechte Sektor« beteiligt war, ist bekannt. Kolomojskij gilt als zweitreichster Mann der Ukraine und ist berüchtigt für seine rabiaten Geschäftsmethoden, gerade wenn es um die Übernahme von Unternehmen geht.

Dass er jetzt mit einer Hundertschaft von Kämpfern in Uniformen ohne Hoheitszeichen in Kiew einrückte, hatte den gegenteiligen Grund: Ein letzte Woche vom ukrainischen Parlament auf Antrag der Präsidentenpartei BPP (Block Petro Poroschenko) verabschiedetes Gesetz sollte dem Staat die Kontrolle über die ihm gehörenden Unternehmen zurückgeben. Noch bevor das Gesetz in Kraft getreten war, handelte die Regierung und wechselte den Topmanager von »Ukrnafta« aus. Kolomojskijs Kommandoaktion diente unmittelbar dazu, die alten Verhältnisse wiederherzustellen und den vorherigen Chef wiedereinzusetzen.

Denn das »Gesetz über die staatlichen Aktiengesellschaften« war de facto ein Lex Kolomojskij. Es ging um die mehrheitlich (50 Prozent plus eine Aktie) staatliche Öl- und Gasförderfirma »Ukrnafta«, deren Rest überwiegend durch die Kolomojskij gehörende »Priwat«-Bank und dieser nahestehende Unternehmen kontrolliert wird. Obwohl seiner Unternehmensgruppe nur ein Minderheitsanteil an »Ukrnafta« gehört, hatte es Kolomojskij lange Jahre verstanden, trotzdem seine Leute an die Spitze der Firma zu bringen. Und die sorgten dann zum Beispiel dafür, dass die staatlichen Ölreserven für gutes Geld in Tanks gelagert wurden, die »Ukrtransnafta«, einem anderen Unternehmen Kolomojskijs, gehören. Reingewinn: umgerechnet drei Millionen Euro monatlich. Kolomojskij hatte im vergangenen Frühjahr, als es in der Ukraine drunter und drüber ging, mit eigenem Geld die ersten Freiwilligenbataillone ausgerüstet und sich gebrüstet, der Armee den Sprit für ihre Fahrzeuge vorzufinanzieren. Dass er sich wenige Monate später für diese Ausgaben mehr als schadlos hielt, indem er das »technische Öl« abpumpte, das seit sowjetischen Zeiten in den ostukrainischen Pipelines den nötigen Innendruck aufrechterhielt, und es in eine seiner Raffinerien schaffen, verarbeiten und verkaufen ließ, hängte er weniger an die große Glocke. Der Materialwert lag in der Größenordnung von 600 Millionen US-Dollar.

Was die Wendung des Parlaments gegen Kolomojskij ausgelöst hat, dazu gibt es in den ukrainischen Medien verschiedene Versionen. Unter anderem verdient eine Erklärung Aufmerksamkeit, die der BPP-Abgeordnete Sergej Leschtschenko zum besten gab: Die USA und der Internationale Währungsfonds (IWF) hätten »mehr Transparenz« zur Bedingung für weitere Kredite an die Ukraine gemacht. Abgesehen davon, dass es heute in Kiew offenbar keine Schande mehr ist, sich zu seinem Vasallenstatus zu bekennen: Die kolportierte Warnung des US-Botschafters Geoffrey Pyatt an Kolomojskij, die Zeit der »Gesetze des Dschungels« sei vorbei, hat offenbar nicht nachhaltig gewirkt. Die Vorgänge im »Ukrnafta«-Gebäude zeigen es ebenso wie ein anderes Detail. Wie aus heiterem Himmel begann Kolomojskij, der bisher als Finanzier der ukrainischen Kriegspartei um Arsenij Jazenjuk galt, über die Anführer der »Volksrepubliken« Donezk und Lugansk zu sinnieren. Die könnten einem ja gefallen oder nicht, aber sie seien gewählt und hätten reale Macht. Bereitet da jemand einen Seitenwechsel vor?

* Aus: junge Welt, Dienstag, 24. März 2015


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