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Eilmarsch nach Rußland

Krim-Parlament beschließt Anschluß an russische Föderation. Referendum am 16. März. US-Präsident Obama verfügt Strafmaßnahmen gegen Moskau

Von Reinhard Lauterbach *

Das Parlament der Krim hat einstimmig den Anschluß der Region an die Russische Föderation beschlossen. Die Abgeordneten bitten die russische Regierung, das Verfahren zur Aufnahme der Krim als Föderationssubjekt einzuleiten. Der Termin der Volksabstimmung über den künftigen Status der Halbinsel wurde um weitere zwei Wochen vorgezogen, das Referendum soll jetzt bereits am 16. März stattfinden. Die Fragen sind allerdings verwirrend formuliert und lauten: »Sind Sie für den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation?« und »Sind Sie dafür, die Verfassung der Krim von 1992 wieder einzuführen?« Diese Verfassung definierte die Krim allerdings als autonomen Bestandteil der Ukraine. Die Leute müßten also einmal mit Ja und einmal mit Nein stimmen. Ukrainische Regierungsvertreter in Kiew erklärten die geplante Abstimmung auf der Krim alsbald für null und nichtig.

Unterdessen wird die russische Lesart der Ereignisse, daß sich auf der Krim eine lokale Selbstverteidigungsmiliz ohne Beteiligung russischer Truppen der Übernahme der Halbinsel durch ukrainische Nationalisten widersetze, in wachsendem Maße fiktiv. Am Donnerstag vormittag versenkte die russische Schwarzmeerflotte vor einer ukrainischen Marinebasis im Nordwesten der Krim einen schrottreifen Kreuzer, um die Ausfahrt der dort liegenden Schiffe zu verhindern. Der russische Nachrichtensender Russia Today verwendete seit dem Mittag Karten, auf denen die Krim als Teil Rußlands eingezeichnet ist. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen forderte dagegen Rußland auf, seine Truppen von der Krim abzuziehen – dabei ist ihre Präsenz vertraglich mit der Ukraine fixiert.

In Washington verhängte US-Präsident Barack Obama erste Visasanktionen gegen führende russische und ukrainische Politiker, die für die »Destabilisierung« der Ukraine verantwortlich sein sollen – nicht gemeint sind damit die am Staatsstreich im Februar beteiligten Parteien, die nun die neue Regierung stellen, darunter die Faschisten von »Swoboda«. Ebenso ordnete Obama an, die Konten dieses Personenkreises in den USA zu blockieren. Diplomaten sahen die einseitige Verkündung dieser Schritte auch als Druckmittel gegenüber den in Brüssel tagenden Staats- und Regierungschefs der EU. Europäische Sanktionen hätten wegen des deutlich größeren Umfangs des Handels zwischen der EU und Rußland stärkere Wirkungen als solche der USA. In der EU gibt es allerdings nach wie vor starken Widerstand gegen ein Embargo. So erklärten Frankreich und Italien, sie würden an ihren vereinbarten Rüstungsexporten nach Rußland festhalten. Auch die Bundesregierung ist bisher gegen Strafmaßnahmen, zumal Moskau gedroht hat, in diesem Fall Vermögen von Unternehmen aus Ländern, deren Regierungen Sanktionen verhängen, zu beschlagnahmen. Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel warnte bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor einer weiteren Eskalation. Rußland müsse bereit sein, an den Verhandlungstisch zu kommen. »Das Drohen mit Sanktionen wird irgendwann Konsequenzen haben.«

Aus Osteuropa kamen erneut pathetische Aufrufe zur Solidarität mit der Ukraine, aber auch historisch verquere Appelle. So behauptete Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite, Rußland versuche, die 1945 gezogenen Grenzen zu verändern. Weder ist die Zugehörigkeit der Krim 1945 entschieden worden, noch hat die Dame offenbar in Erinnerung, wo sich ihr Land heute befände, wenn die Grenzen von 1945 wirklich unverletztlich geblieben wären.

* Aus: junge Welt, Freitag, 7. März 2014


Sagen, was ist

EU-Politik gegen Rußland

Von Sevim Dagdelen **


Das Parlament der Krim entschied sich am Donnerstag für einen Beitritt zur Russischen Föderation. Fast zeitgleich sollte auf dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs ein Signal für die Unterstützung der Souveränität der Ukraine und die Verteidigung des Prinzips der territorialen Unversehrtheit in Europa ausgesandt werden. Allein schon die völkerrechtswidrige Anerkennungspraxis auf dem Balkan und der NATO-Krieg 1999 lassen aber Zweifel aufkommen, daß es den EU-Verantwortlichen tatsächlich um den Schutz von Demokratie und Völkerrecht geht. Die EU-Kommission hatte der neuen ukrainischen De-Facto-Regierung aus Rechtskonservativen, Nationalisten und Faschisten bereits vor dem Gipfel Hilfe zugesagt. Mit insgesamt elf Milliarden Euro will man ihnen unter die Arme greifen. Bedingungen dafür, wie etwa die Heranziehung der Oligarchenvermögen – Fehlanzeige.

Das war auch nicht zu erwarten. Denn zum einen geht es um eine erneute Bankenrettung: Gerade österreichische, aber auch französische und deutsche Banken hätten bei einer Staatspleite der Ukraine eine Menge zu verlieren. Zum anderen soll der Umsturz abgesichert und das Land als Frontstaat gegen Rußland etabliert werden. Nicht zu stören scheint, daß so eine Regierung gestützt wird, an der die faschistische Partei Swoboda mit mehreren Ministern beteiligt ist: Der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrats Andrij Parubyi war Gründer der Sozial-Nationalen Partei, sein Stellvertreter Dmitro Jarosch agierte als Chef der rechtsextremen Schlägertruppe »Rechter Sektor«. Im Gegenteil. Die EU nahm als Grundlage für die Sanktionsliste gegen 18 ukrainische Verantwortliche, die man für die Morde auf dem Maidan verantwortlich macht, eins zu eins eine von der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft, an deren Spitze der Swoboda-Mann Oleg Machnitzki steht, übermittelte Liste. Internationale Ermittlungen zu Informationen aus einem Telefongespräch des estnischen Außenministers Urmas Paet und der Chefin des Europäisch Auswärtigen Dienstes Catherine Ashton zur Identität der mutmaßlichen Mörder von Demonstranten und Sicherheitskräften werden selbstverständlich nicht befürwortet.

Die neue Regierung in Kiew tritt gegen Minderheitensprachen auf und droht mit Parteiverboten. Der angekündigte Beitritt zur NATO schürt zusätzlich die Kriegsgefahr. Es wird ständig neues Öl ins Feuer gegossen. Teil der Eskalationspolitik ist die ultimative Forderung nach Einhaltung von Prinzipien, an die man sich selbst nicht hält. Wer auch nur wagt, auf die Rolle der Faschisten hinzuweisen, wird als Oligarchenunterstützer gebrandmarkt und zum Schweigen gebracht. In diesen Zeiten der Propagandaschlacht gilt es mehr denn je zu sagen, was ist. Nein zum Krieg und zu einer weiteren Zuspitzung: Die Krise in der Ukraine bedarf einer politischen Lösung.

* Die Autorin ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages für die Fraktion Die Linke.

Aus: junge Welt, Freitag, 7. März 2014 (Gastkommentar)



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