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Putin subtrahiert

G8-Staaten minus Russland beraten über Krim-Krise / Kiew ordnet Truppenabzug von Halbinsel an

Von Markus Drescher *

In Den Haag beraten seit Montag Staats- und Regierungschefs aus mehr als 50 Ländern über nukleare Sicherheit. Die Krim-Krise überschattet das Treffen.

»Am Rande« ist eine journalistische Wendung, mit der signalisiert werden soll, dass etwas neben dem eigentlichen Ereignis stattgefunden hat. So hieß es am Montag, am Rande des Atomsicherheitsgipfels in den Haag wollten sich auch die G7-Staaten treffen, um über das weitere Vorgehen in der Krim-Krise zu beraten.

Doch im Nachhinein könnte sich genau dieses Treffen als das gewichtigere herausstellen. Denn seit Ende der 1990er Jahre war Russland Teil des Zusammenschlusses der weltweit führenden Industrieländer. Diesmal jedoch – ob auch in Zukunft, steht noch nicht fest – ist die Nummer acht unerwünscht. Und die Gefahr, dass die übriggebliebenen sieben – die USA, Großbritannien, Kanada, Japan, Frankreich, Deutschland und Italien – als Reaktion auf die Übernahme der Krim durch Russland weiter auch an der militärischen Eskalationsschraube drehen, scheint noch lange nicht gebannt. Denn bis auf Japan sind alle anderen Länder zugleich Mitglied der NATO. Und an die richten sich Forderungen nach mehr Militärpräsenz in der Nähe zu Russland.

So verlangte der Präsident Rumäniens (ebenfalls NATO-Mitglied), Traian Basescu, vor seiner Abreise nach Den Haag eine Neupositionierung von NATO-Truppen. Angesichts der »militärischen Aktivitäten der Russischen Föderation in den vergangenen Monaten« halte er dies für »eine Notwendigkeit«. Basescu wollte das Thema bei dem Gipfeltreffen mit den Westmächten besprechen.

Für die machte US-Präsident Barack Obama klar, dass die USA und Europa »vereint in unserer Unterstützung für die ukrainische Regierung und die ukrainische Bevölkerung« seien. Zudem seien sie »vereint darin, Russland die Kosten für sein Handeln aufzuerlegen«. Der »Volkskrant« sagte er, die NATO bleibe »die stärkste und effizienteste Allianz in der Geschichte der Menschheit«.

Nachdem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im »Spiegel« erklärt hatte, es sei »für die Bündnispartner an den Außengrenzen wichtig, dass die NATO Präsenz zeigt«, versuchte sie am Montag, die Äußerung zu relativieren. Ein Ministeriumssprecher sagte, von der Leyen gehe es »nicht um zusätzliche Truppen an der Ostgrenze« des Militärbündnisses. Vielmehr würden im Rahmen der Luftraumüberwachung »verstärkt über Polen und Rumänien« AWACS-Aufklärungsflugzeuge eingesetzt, zudem sei »die Trainingsintensität« für Überwachungsaufgaben erhöht worden.

Ein Zeichen der Entspannung zwischen Russland und der Ukraine könnte ein geplantes Treffen zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem kommissarischen ukrainischen Kollegen Andrej Deschtschiza sein. Die Begegnung in Den Haag komme auf Bitte der ukrainischen Seite zustande, meldete die Agentur Itar-Tass am Montag. Auch auf der Krim selbst sinkt die Gefahr einer bewaffneten Auseinadersetzung. Am Montag hat die Ukraine den Abzug aller ihrer Truppen von dort angeordnet.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. März 2013


Krim unter Spannung – wegen des Stroms

Ukrainische Partei der Regionen drängt auf Verfassungsreform und Russisch als zweiter Staatssprache

Von Klaus Joachim Herrmann **


Die ukrainischen Stützpunkte auf der Krim wurden von der russischen Armee übernommen. Doch die Spannung hält an. Es geht um Strom, Gas und den Alltag.

Über eine Halbierung der Stromlieferungen aus der Ukraine klagte am Montag die Krim. Vizepremier Rustam Temirgalijew versicherte in der »Krimskaja Prawda« prompt, auf einen solchen Schritt sei die Halbinsel vorbereitet gewesen. Es kam zwar zu Abschaltungen, doch stolz verwiesen die Verantwortlichen auf 900 mobile Dieselgeneratoren. Mit ihnen sei bereits die Versorgung einiger Krankenhäuser, Wasserpumpen und auch örtlicher Machtorgane gewährleistet worden. Höhere Kosten würden nicht auf die Bürger abgewälzt, versicherte er. In etwa anderthalb Monaten könne aber auch eine vollständige Abschaltung ausgestanden werden.

Auch über Sanktionen der EU will die Halbinsel nach Angaben der Krimregierung recht locker wegkommen. In die EU werde nur ein unbedeutender Teil der Produktion exportiert, der größte Teil gehe traditionell nach Russland. Die Chemieindustrie habe ihre wichtigsten Abnehmer in China und Indien, der Öl- und Gassektor produziere für Russland und den eigenen Bedarf. Der Konzern Gazprom halte eine Verdopplung der Fördermengen für möglich, damit könne der Energiebedarf der Schwarzmeerhalbinsel gedeckt werden, hieß es in Moskau unter Hinweis auf Experten.

Das neue alte Mutterland bot Rückendeckung und Vizepremier Dmitri Kosak als zuständigen Partner auf. Noch im ersten Halbjahr 2014 werde ein Programm der sozialökonomischen Entwicklung der Krim ausgearbeitet, hieß es in Moskau. Seit Montag rollt auf der Krim der russische Rubel neben dem ukrainischen Griwna. Nun werden auch Gehälter und Sozialleistungen sowie Steuern in Rubel gezahlt. Der Güter- und Eisenbahnverkehr zwischen der Ukraine und der Krim lief ohne Störungen.

Als erstes russisches Regierungsmitglied traf Verteidigungsminister Sergej Schoigu auf der Krim ein. Hier ernannte er laut russischen Medien den früheren ukrainischen Marinechef Denis Beresowski zum stellvertretenden Befehlshaber der russischen Schwarzmeerflotte. Konteradmiral Beresowski hatte am 2. März dem Volk der Krim die Treue geschworen und war daraufhin aus der ukrainischen Flotte entlassen worden. Vor der Werchowna Rada, dem Parlament in Kiew, drohte am Nachmittag der amtierende Präsident Alexander Turtschinow, all jene würden vor Gericht gestellt, die die Krim aufgegeben hätten.

Am Morgen hatten russische Soldaten mit Hilfe von schwerem Militärgerät und Kampfhubschraubern einen der letzten ukrainischen Stützpunkte auf der Krim eingenommen. 60 bis 80 ukrainische Soldaten seien festgenommen und der Kommandeur mit einem Hubschrauber fortgebracht worden, teilte die ukrainische Armee mit.

Das ostukrainische Gebiet Donezk, in dessen Hauptstadt fast täglich prorussische Demonstrationen für eine Volksabstimmung wie auf der Krim stattfinden, forderte von der Regierung in Kiew eine größtmögliche Dezentralisierung. Das sagte der Vorsitzende des Gebietsparlaments, Andrej Schischazki. »Ich bin für eine einige, ungeteilte Ukraine«, bekräftigte er. Doch Besonderheiten der Regionen müssten berücksichtigt werden. Sie sollten weitgehend über die von ihnen erarbeiteten Steuern bestimmen können. Die Führung in Kiew könne zudem Vertrauen im Osten gewinnen, wenn sie Russisch zur zweiten Staatssprache mache. Schischazki stellte allerdings klar, dass in Donezk kein Referendum vorbereitet werde.

In der Werchowna Rada in Kiew setzte sich die Partei der Regionen ebenfalls für die Aufwertung der russischen Sprache in der Ukraine ein. So habe sich Fraktionschef Alexander Jefremow für eine Reform der Verfassung eingesetzt, nach der Russisch zur zweiten Staatssprache erklärt werde, informierte der Pressedienst der Partei. Die Lage in den östlichen Regionen sei »milde gesagt, angespannt« und die Probleme würden sich immer schneller anhäufen.

In diesem Zusammenhang warnte Jefremow vor »unbedachten radikalen Äußerungen bestimmter Personen in Kiew«. Sie könnten damit unumkehrbare Prozesse einleiten. »Die Menschen im Osten wollen sich in ihrem Staat als vollwertige und gleichberechtigte Staatsbürger fühlen«, unterstrich er. Der Politiker rief zur schnellstmöglichen Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung auf, in der die Regionen proportional vertreten sein sollten.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. März 2013


Kommandant

Von Klaus Joachim Herrmann

Russland wolle mehr als nur die Krim, sagt Andrej Parubi, und beschwört immer wieder die »Invasion«. Es gehe Präsident Wladimir Putin um Kiew und die ganze Ukraine. Längst spricht Parubi von der »ostukrainischen Front«, an der »die Russen täglich ihre Truppen verstärken«. Den Kriegszustand könne Kiew aber nicht ausrufen, weil in diesem Fall die Präsidentenwahl am 25. Mai ausgesetzt werden müsste, erläuterte er der »Welt«. Das wolle Moskau, um der Ukraine vorwerfen zu können, sie habe keine legitime Regierung – als wenn es das nicht längst täte.

Ein Mann der Mäßigung ist der Sekretär des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrates jedenfalls nicht. Der 43-Jährige steht für Eskalation. Als er die Einführung der Visapflicht für Russen ausrief, musste ihn Regierungschef Arseni Jazenjuk zurückpfeifen. Die vom Sekretär für acht ukrainische Gebiete beschworene separatistische Offensive »Russischer Frühling« blieb unlängst einfach aus.

Die Bezeichnung des Amtes scheint dessen Inhaber Seriosität zu verleihen. Auf den Posten kam der studierte Historiker Parubi freilich erst dank den Wirren des Maidan, als dessen »Kommandant« er agierte. Sein enger Mitstreiter war der Chef des paramilitärischen Ultra-»Rechten Sektors« Dmitri Jarosch. Die geschulten Kämpfer dieses Duos lieferten sich härteste Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Die Aufklärung mancher tödlicher Vorgänge dauert. Kritiker verweisen darauf, dass Generalstaatsanwalt Oleg Machnitzki ein Mann der Swoboda-Partei ist.

Die Zugehörigkeit Parubis zur Vaterlandspartei wirkt dagegen geradezu unverdächtig. Doch landete er dort erst, nachdem er schon als 17-Jähriger eine nationalistische Jugendorganisation geleitet hatte, zu den Gründern der rechtsextremen Sozial-Nationalen Partei gehörte (aus der Swoboda hervorging) und die rechtsextreme Kampftruppe »Patrioten der Ukraine« führte. Später saß Parubi für »Unsere Ukraine«, die Partei des Expräsidenten Wiktor Juschtschenko, im Parlament, bevor er sich Julia Timoschenkos Vaterlandspartei anschloss.

(neues deutschland, Dienstag, 25. März 2013)




"Nicht faschistisch"

Wenn aus Neonazis "Rechtspopulisten" werden: Bundesregierung verteidigt Zusammenarbeit mit ukrainischer Partei Swoboda gegen Kritik aus der Linkspartei

Von Frank Brendle ***


Die Bundesregierung bekennt sich zu ihrer Zusammenarbeit mit dem Anführer der faschistischen Swoboda-Partei in der Ukraine, obwohl sie über dessen antisemitische und rassistische Statements bestens informiert ist. Das bestätigte sie nun in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen. Zugleich vermeidet sie es, Swoboda als rechtsextrem zu bezeichnen.

Dagdelen hatte in ihrer Anfrage diverse Äußerungen von Swoboda-Chef Oleg Tjagnibok zusammengefaßt, darunter dessen Einschätzung, die Ukraine werde von einer »Moskauer jüdischen Mafia« beherrscht. Auch die Tatsache, daß Tjagnibok vor vier Jahren von einem Veteranenverband der Waffen-SS-Division »Galizien« das »Goldene Kreuz für Verdienste um die Ukraine« entgegengenommen hat, wurde von Dagdelen angesprochen. Der Bundesregierung sind all diese Vorgänge bekannt, wie sie nun mitteilte. Dennoch bekräftigt sie, daß Tjagnibok ein gleichrangiger Gesprächspartner für sie sei: Er sei schließlich »gewählter Fraktionsvorsitzender im ukrainischen Parlament« und gehöre damit zu jenem Personenkreis, der zur »Lösung der derzeitigen Krise« beitragen könne. In den Gesprächen betone sie stets, welche Verantwortung den ukrainischen Parlamentsfraktionen für die »Einhaltung der Menschenrechte und das Eintreten gegen Antisemitismus« zukomme, so die Bundesregierung, die darauf hinweist, daß auch die anderen bisherigen Oppositionsparteien »UDAR« um Witali Klitschko und »Batkiwschtschina« um Julia Timoschenko stets eine regelmäßige enge Zusammenarbeit mit Swoboda gepflegt hätten.

Die Bundesregierung legt bei ihren Darlegungen Wert darauf, Swoboda nicht als rechtsextrem zu bezeichnen. In einer Aufzählung von Organisationen der extremen Rechten nennt sie zwar unter anderem die »Ukrainische Nationalversammlung/Ukrainische Selbstverteidigung« (UNA/UNSO) sowie die Gruppen »Dreizack«, »Patriot der Ukraine« und »Weißer Hammer« – der Name von Swoboda taucht aber nicht auf.

Die rhetorische Verharmlosung der Partei wurde bereits vorige Woche in der Fragestunde des Bundestages deutlich, als der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, ausführte, daß es sich bei Swoboda »um eine rechtspopulistische und nationalistische Partei handelt, aber um keine faschistische«. Das ergebe sich aus den Erkenntnissen, die der Bundesregierung zu Swoboda vorlägen.

Mehrere linke Abgeordnete trugen daraufhin dazu bei, diese Erkenntnisse zu erweitern: Andrej Hunko wies darauf hin, daß Swoboda-»Cheftheoretiker« Juri Michaltschischin etliche Schriften deutscher Nazis, darunter Joseph Goebbels’ »Kleines ABC des Nationalsozialisten«, übersetzt habe, weil er sie so aktuell finde. Harald Petzold erinnerte an den Besuch einer Swoboda-Delegation bei der sächsischen NPD-Landtagsfraktion im vergangenen Jahr, und Wolfgang Gehrcke machte darauf aufmerksam, daß die »Denkfabrik« von Swoboda den Namen »Joseph-Goebbels-Forschungszentrum für Politik« trage. »Ist das faschistisch oder rechtspopulistisch?« schob Gehrcke nach und forderte, die Bundesregierung müsse deutlich machen: »Man setzt sich nicht mit Nazis zusammen an einen Tisch, man läßt sich nicht mit denen fotografieren, sondern man wird international die Ächtung betreiben.« Der Regierungsvertreter ging auf diese Details nicht weiter ein, sondern wies darauf hin, es dürfte »nicht der Eindruck entstehen«, die Maidan-Bewegung sei »in erster Linie von Faschisten und Antisemiten unterwandert« worden. Sevim Dagdelen sagte gegenüber jW, die Bundesregierung müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, sie paktiere bei ihrer Außenpolitik mit Faschisten. »Zusätzlich ist die Verharmlosung der Swoboda auch ein schlimmes Zeichen in Richtung Rußland. Man ist bereit, eine Eskalation gegen Rußland auch mit Leuten ins Werk zu setzen, die sich auf die Tradition von SS-Verbrechern berufen«, so Dagdelen.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 25. März 2013


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