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Kiew kämpft gegen russischen Hilfskonvoi

280 Lastkraftwagen aus Moskau mit Gütern für ostukrainische Zivilbevölkerung unterwegs / Grenze gesperrt

Von Klaus Joachim Herrmann *

Die ukrainische Zentralmacht kämpft an vielen Fronten – nicht nur im Donbass, sondern auch gegen humanitäre Hilfe vom Nachbarn.

Mit seiner entschlossenen Entsendung einer Lkw-Kolonne von 280 weißen Kamaz-Lkw mit rund 2000 Tonnen humanitärer Hilfsgüter von Moskau aus in die umkämpfte Ostukraine verursachte Russland am Dienstag einige Verwirrung. Der ukrainische Kontrollpunkt an der Grenze zwischen dem russischen Gebiet Belgorod und dem ukrainischen Rayon Charkow wurden erst am Nachmittag von der präsidialen Administration in Kiew als Ziel der von einem russisch-orthodoxen Priester gesegneten Fracht aus Spenden der russischen Bevölkerung bestätigt. Der Ort sei sicher und unterliege nicht der Aufsicht der Kontaktgruppe, hieß es.

Größtes Missfallen der ukrainischen Zentralmacht und ihrer westlichen Gönner blieb unverkennbar. Vizeaußenminister Danil Lubkiwski erklärte laut örtlichen Medien, keine »humanitäre Aggression« und keine »terroristische Stiftung von Frieden« seien annehmbar. So verweigerte Kiew den laut Angaben der russischen Agentur RIA/Novosti 400 Tonnen Grütze, 100 Tonnen Zucker, 62 Tonnen Kindernahrung, 54 Tonnen medizinischer Geräte und Medikamente, 12 000 Schlafsäcken und 69 mobilen Geräten zur Stromerzeugung als erstes den direkten Grenzübertritt.

»Diese Lieferung muss nach den üblichen Verfahren für grenzüberschreitenden Verkehr in die Transitzone und vom Zoll abgefertigt werden«, erklärte Waleri Tschaly, Vizechef der Administration des Präsidenten, vor Journalisten. Es sei keinerlei russische Begleitung über ukrainisches Gebiet vorgesehen. Laut dem Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Dmitri Peskow, gebe es die aber ohnehin nicht. Die Lastwagen seien »ohne militärische Eskorte« unterwegs.

Nach Angaben der ukrainischen Agentur UNIAN sollen die Güter in jedem Fall vom Internationalen Roten Kreuz entzollt und auf von der Organisation gemietete Lastkraftwagen umgeladen werden. Nun können Formalitäten dauern, gerade auch der ukrainische Zoll ist dafür sattsam bekannt. Zudem müsse das Rote Kreuz erst vor Ort den wirklichen Bedarf ermitteln, verbreiteten Agenturen. Die Zentralmacht in Kiew unterstellt vor allem lautstark, nach Art eines Trojanischen Pferdes könne Russland in der Tarnung einer humanitären Gabe Soldaten, Gerät und damit eine militärische Intervention einschmuggeln. Das dürfte die Übergabe der dringend benötigten Fracht zusätzlich verzögern.

Die Lage in Lugansk und anderen Gebieten in der Ostukraine sei ernst, sagte der zuständige IKRK-Leiter, Laurent Corbaz. Allein in Lugansk sind bereits den neunten Tag in Folge rund 250 000 Bewohner bei Sommerhitze ohne Strom und Wasser. Doch offenbar wollen sich erst einmal die Verbündeten Kiews als Helfer in der Not profilieren. So habe Frankreichs Präsident François Hollande gegenüber seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin mit Blick auf die Mission Russlands ernste Bedenken geäußert, teilte der Élysée-Palast mit. Die könne nur mit Zustimmung der ukrainischen Behörden erfolgen. Hollande forderte, eine solche Mission müsse multilateral sein und unter Leitung des Internationalen Roten Kreuzes stehen. Paris versicherte nach einem Telefonat des Präsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gleich noch, beide Politiker sähen die Lage in der Ukraine genau gleich, »insbesondere hinsichtlich der Bedingungen einer wirklichen humanitären Mission«.

Die Europäische Union stellte im Schatten des russischen Vorprellens immerhin zusätzlich 2,5 Millionen Euro humanitäre Hilfe für die Ostukraine bereit. Sie schickt Lebensmittel, Wasser und Medikamente. Die Gemeinschaft unterstützt auch Flüchtlinge und die Schaffung von Unterkünften für den Winter. Bislang hatte die EU lediglich 250 000 Euro für die Ukraine über das internationale Rote Kreuz gegeben. Nach EU-Angaben sind rund 293 000 Menschen in der Ostukraine auf der Flucht. Nach anderen Angaben nähert sich deren Zahl einer Million.

Das ukrainische Parlament blieb derweil nicht untätig. Es beschloss in erster Lesung immerhin Steuerbefreiung für »humanitäre Hilfe für die Anti-Terror-Operation« und auch ein Sanktionspaket gegen Russland. Die von Regierungschef Arseni Jazenjuk vorgelegte Liste von 65 Firmen und 172 Einzelpersonen aus Russland wurde bestätigt. Doch unklar blieb, ob sich Kiew die Blockierung der Konzerne Gazprom, Transneft und den Stopp russischer Lieferungen nach Westeuropa leisten wolle. Die zweite Lesung stand bei Redaktionsschluss aus. Die Landeswährung fiel schon vorher auf ein Allzeittief von 17,58 Hrywna für einen Euro.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 13. August 2014


Bergwerke des Donbass im Ruhezustand

Kumpel warten ab, demonstrieren gegen den Krieg oder kämpfen bei den Aufständischen

Von Ulrich Heyden, Moskau **


Donezk ist das Zentrum der Bergbauregion Donbass, der Kumpel ihr Symbol. Auf welcher Seite stehen er und seine Kollegen?

Fast alle Bergwerke des Donezbeckens befinden sich derzeit im Ruhezustand. Die Kumpel bauen keine Kohle ab, es wird nur Wasser aus den Schächten gepumpt. Ein Weiterbetrieb der Bergwerke ist nicht möglich, weil immer häufiger der Strom ausfällt. Bergleute wurden auf dem Weg zur Arbeit beschossen, Gebäude durch Geschosse beschädigt. Ein Teil der Arbeitslosen wird sich nun vermutlich den Aufständischen anschließen. Andere werden wohl versuchen, mit ihren Familien aus dem Kriegsgebiet zu fliehen.

Ein großer Teil der Bergarbeiter beteiligte sich bisher an keinerlei Aktionen. Mitte Juni zogen allerdings mehrere Tausend Beschäftigte verschiedener Kohlegruben mit Plakaten »Schluss mit dem Krieg!« und »NATO Nein!« durch die Großstadt Donezk. Von der Regierung forderten sie die Einstellung der »Anti-Terror-Operation«.

Den Großteil der Bevölkerung in der Ostukraine treibt die Sorge, dass das Zerbrechen der engen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland ökonomisch das Ende der Region bedeutet. Das ist auch der Grund warum sich viele Bergarbeiter der etwa 20 000 Mann starken Donezk-Armee der Aufständischen angeschlossen haben.

Der größte Arbeitgeber in der Ostukraine, der Oligarch Rinat Achmetow, versuchte Mitte Mai offenbar aus Sorge um sein Eigentum, Belegschaften in Bergwerken und Stahlbetrieben zu mobilisieren. Sie sollten eintreten für eine einige aber dezentralisierte Ukraine und sich gegen die Separatisten wenden. Doch dem Aufruf des Oligarchen folgten nur wenige Belegschaftsangehörige. In dem von Achmetow gebauten Fußballstadion in Donezk fanden sich nur 200 mit Bussen herangekarrte Arbeiter zu einer Kundgebung ein.

Das Verhältnis zwischen den Aufständischen und den Betriebsleitungen im Donezk-Gebiet ist aber zum Teil gespannt. Zu einem ernsten Konflikt kam es am 21. Juni im Verwaltungsgebäude des Bergwerkes Komsomolez, das Achmetow gehört. Bewaffnete Aufständische, die in einem Schützenpanzerwagen vorgefahren waren, zwangen die Mitarbeiter des Bergwerkes, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Fußboden legen. Die Aufständischen brachen auf dem Betriebsgelände zwei Geldautomaten auf und beschlagnahmten den gesamten Fuhrpark: 13 Lastkraftwagen, vier Kleinbusse und vier PKW.

Die unabhängige Bergarbeitergewerkschaft der Ukraine verurteilte die Aktion scharf. Während der Aktion seien 700 Kumpel unter der Erde gewesen. Jede Explosion hätte »unwiderrufliche Folgen und den Tod der Bergarbeiter zur Folge gehabt«.

Der »Volksgouverneur« von Donezk, der 31-jährige Pawel Gubarew, begründete das harte Vorgehen auf einer Kundgebung in Donezk. Die Verwaltung des Schachtes habe sich geweigert, den Bergarbeitern, die bei den Aufständischen kämpfen, weiter den Lohn zu zahlen. Die Unternehmer des Donezk-Gebietes forderte Gubarew auf, »die Männer zu achten, die für den Schutz unseres Bodens kämpfen«.

Auch zwischen einfachen Soldaten der Donezk-Armee und der Führung der »Republik« gibt es offenbar einige Spannungen. In einem Offenen Brief »einfacher Kämpfer« wird beklagt, dass die Business-Elite der Ostukraine »mit aller Kraft« in die Machtstrukturen der Republik eindringen wolle. Offizielle Vertreter der Aufständischen seien oft »hochmütig«, würden »teure Autos fahren und teure Anzüge tragen«. Man könne aber nicht zulassen, dass »unter dem Schutz patriotischer Losungen« die ukrainische Business-Elite durch eine neue Elite der Donezk-Republik ausgetauscht werde, schreiben die Autoren. Sie wollten nicht akzeptieren, dass »über uns einfachen Arbeitern und Bauern neue Herren stehen«. Sie fordern demokratische Strukturen, Transparenz und klare Aussagen, wem Fabriken, Schächte und der Boden der Donezk-Republik gehören sollen.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 13. August 2014


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