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Kontaktgruppe statt Truppenmanöver

Putin versichert: Bisher kein Einsatz der Streitkräfte gegen Ukraine / Gazprom treibt Schulden ein

Von Klaus Joachim Herrmann *

Russlands Oberbefehlshaber Putin holte am Dienstag seine Manövertruppen zurück und zeigte sich offen für eine »Kontaktgruppe« zum Dialog.

Russlands Oberbefehlshaber Wladimir Putin befahl am Dienstag seine Manövertruppen zurück in die Stützpunkte und erteilte einem Einsatz der Streitkräfte im Konflikt mit der Ukraine eine Absage. Bisher gebe es keine solche Notwendigkeit. »Russland hat keine Absicht, Krieg gegen das ukrainische Volk zu führen.«

Offen zeigte sich Präsident Putin in einer im russischen Fernsehen übertragenen Pressekonferenz für den deutschen Vorschlag einer internationalen Kontaktgruppe. »Im Prinzip ist das möglich«, sagte Putin. Außenminister Sergej Lawrow sei dazu im Gespräch insbesondere mit seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier. Der warnte in der Ukraine-Krise vor Überreaktionen. Er »hoffe sehr, dass sich jeder seiner Verantwortung bewusst ist«.

Für Beruhigung an den Finanzmärkten sorgte die Feststellung Putins, es sei keine Annexion der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim beabsichtigt. Sie steht nach Ansicht von Beobachtern allerdings völlig unter operativer russischer Kontrolle. Militärische Gruppierungen werden dabei als »Selbstverteidigungskräfte« der prorussischen Führung der Halbinsel bezeichnet.

In Kiew machte Übergangspremier Arseni Jazenjuk erneut Viktor Janukowitsch für den Bruch des Abkommens mit der Opposition verantwortlich. Er informierte darüber, dass das Sprachengesetz weiter in Kraft sei und derzeit lediglich überarbeitet werde. Insbesondere die Abschaffung der Möglichkeit, Russisch zur zweiten Amtssprache zu erklären, hatte im Süden und Osten der Ukraine starke Proteste ausgelöst.

Gegenüber Kiew machte Russland am selben Tag Außenstände geltend. Die Ukraine könne ihre Februarrechnung für Gas nicht zahlen und stehe mit exakt 1,529 Milliarden US-Dollar in der Kreide, sagte der Chef des russischen Gasmonopolisten Gazprom, Alexej Miller. Der zuletzt gewährte 30-Prozent-Rabatt falle deshalb weg. So muss die Ukraine von April an wieder 400 Dollar statt 268,5 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen. Washington kündigte eine Milliarde US-Dollar (726 Millionen Euro) Kredithilfen für die Energieversorgung an. Die aktuellen Zahlungsverpflichtungen der Ukraine sollen sich auf mehr als 130 Milliarden US-Dollar belaufen.

In einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates hatte am Vorabend der russische UNO-Botschafter Vitali Tschurkin das Vorgehen Moskaus gegenüber der Ukraine mit einem Hilfeersuchen des Präsidenten Viktor Janukowitsch vom 1. März begründet. Tschurkin präsentierte die Fotokopie einer schriftlichen Bitte um den Einsatz russischer Streitkräfte. Wie der Botschafter weiterhin informierte, dürfe Russland vertragsgemäß 25 000 Mann auf der Krim stationieren.

Die ukrainischen Städte Cherson, Nikolajew und Odessa wollen sich der Krim anschließen. Darüber informierte die Agentur RIA/Novosti.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. März 2014


"Putin hält alle Karten in der Hand"

US-Politologe Stephen Cohen über den Kalten Krieg um die Ukraine **

Stephen Cohen ist emeritierter Professor für Russland-Studien und Politik an der New York University und der Princeton University. Sein jüngstes Buch heißt »Soviet Fates and Lost Alternatives: From Stalinism to the New Cold War« (Sowjetische Schicksale und verlorene Alternativen: Vom Stalinismus bis zum Neuen Kalten Krieg). Für »nd« befragte ihn Max Böhnel.

Bestätigt sich Ihre seit Langem gehegte Befürchtung vor einem neuen Kalten Krieg jetzt in der Ukraine?

Der Westen, das heißt die USA und die EU, haben ein weiteres Kapitel beim Marsch auf die postsowjetische Welt aufgeschlagen. Es begann mit der Osterweiterung der NATO Anfang der 90er Jahre unter Clinton, setzte sich fort mit politisch agierenden NGO in Russland, die von den USA unterstützt wurden, einem US-NATO-Stützpunkt in Georgien und Anti-Raketen-Systemen an der Grenze zu Russland. Der Marsch geht seit mehr als zwei Jahrzehnten so – politisch, militärisch und wirtschaftlich.

Die Ukraine, ein tief gespaltenes Land, ist dabei die bisher größte Beute. Die Kluft des neuen Kalten Krieges hat sich von Berlin nach Osten mitten ins Herz der slawischen Zivilisation hinein verschoben. Die Ukraine ist aus westlicher Sicht dabei gewissermaßen das Filetstück, das man sich greifen will.

Welche Optionen haben die USA?

Überhaupt keine, außer wir führen gegen Russland Krieg. Denn Putin hält alle Karten in seiner Hand, ob man das nun gut oder schlecht findet. Militärisch sowieso – denn es ist sein Territorium. Politisch, weil ein großer Teil der Ukraine Putin unterstützt und nicht den Westen. Ökonomisch, weil die Ukraine Teil der russischen Wirtschaft ist. Und rechtlich – das müsste man Anwälte fragen. Ist die Regierung in Kiew, die vor zwei Wochen die Verfassungsordnung über den Haufen warf und den gewählten Präsidenten davonjagte, legitim? Putin sagt »njet«. Und wir? Wir haben diese Regierung noch nicht formal anerkannt. Aber wir handeln so, als sei sie legitim.

Ist sie es?

Die höchstrangige Ostpolitikerin Obamas Victoria Nuland und der US-Botschafter in Kiew Geoffrey Pyatt haben bis ins Detail einen Staatsstreich in der Ukraine diskutiert. »Entbindung« nannte Nuland das: die Zusammensetzung einer neuen, antirussischen ukrainischen Regierung nach der Neutralisierung und Entmachtung des demokratisch gewählten Präsidenten. Das ist eindeutig dokumentiert. In den westlichen Medien wurde das geleakte Gespräch zwischen den beiden nur wegen ihres obszönen »Fuck the EU« skandalisiert.

Was war damit gemeint?

»Fuck Merkel« hieß das wohl. Dem US-Außenministerium passt das zunehmende wirtschaftliche Gewicht Deutschlands nicht. Es hält Berlins Herangehensweise an Moskau vermutlich für zu »soft«. Außerdem: als Bush Junior die Ukraine damals in die NATO einbeziehen wollte, sperrte sich Merkel dagegen. So etwas vergisst Washington nicht.

Zurück zu Russland: Geht es in der Ukraine denselben Weg wie 2008 in Georgien?

In dem Sinne, dass es sich damals wie heute für Moskau um einen nicht zu überschreitenden Stolperdraht handelt, ja. Aber die Unterschiede sind für die Beurteilung entscheidend, und das verschärft die Kriegsgefahr. Die Ukraine ist wegen ihrer Größe und ihrer Lage für Russland viel wichtiger als Georgien. Zweitens hatten damals von den USA unterstützte Kräfte russische Enklaven in Georgien angegriffen. Es gab zwar in der Ukraine Gewalt, aber sie war bisher einigermaßen begrenzt. Bisher ist es zum Glück zwischen Armeen zu keinem Schuss gekommen – was bedeutet, dass es noch Auswege zu diplomatischen Lösungen geben könnte. Wenn die russische Armee allerdings über die Krim hinaus in die östliche und südliche Ukraine einmarschiert, dann wird sich die NATO gezwungen sehen, ihrerseits in die westliche Ukraine einzumarschieren. Und dann ist die Hölle los. Die Ukrainer, die Kiew und den Westen unterstützen, werden dann einen Partisanenkrieg beginnen. Uralte, längst verblichene Feindbilder würden aufgewärmt werden. Es käme zu einem jahrelangen Bürgerkrieg mit verheerenden Konsequenzen über die Ukraine hinaus.

Was sind für Moskau »rote Linie«?

In den USA heißt es, Putin sei ein Neo-Imperialist, ein Sowjetführer, der die alte UdSSR wiederaufrichten wolle. In Wirklichkeit hatte er aber, als er vor 14 Jahren an die Macht kam, einen kollabierten Staat vor sich. Der Staat war aus herrschender russischer Sicht im 20. Jahrhundert schon zweimal zusammengebrochen, das erste Mal 1917, das zweite Mal 1991. Putin und die russischen politischen Eliten sehen ihre Aufgabe darin, außenpolitische Stabilität und im Inneren Größe wiederherzustellen. Dies schließt die traditionellen, sicheren Pufferzonen mit ein, in erster Linie die Ukraine. Wenn Putin heute seine Truppen mobilisiert, ist dies ein Signal an Europa und USA: Ihr habt eine rote Markierung überschritten, und ich habe keine Wahl. Tatsächlich hatte er wohl keine andere Wahl, wenn man sich die innenpolitischen Verhältnisse in Russland sowie die prorussischen Kräfte und Gefühle in der östlichen und südlichen Ukraine anschaut.

Wie kann ein Krieg verhindert werden?

Ob die Situation noch weiter eskaliert, liegt letztendlich am Westen. Eine entsprechend kluge Politik würde Putin alle Sicherheitsgarantien geben, die er braucht, um sich von der Krim wieder zurückziehen zu können. Das Problem ist aber, dass die USA eine andere Sichtweise haben – und die lautet: Er muss sich zuerst zurückziehen.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. März 2014


Terror im Namen der »Revolution«

Bewaffnete Milizen verbreiten Furcht in der Ukraine

Von Thomas Konicz ***


Das Bild der friedlichen, demokratischen Revolution, das viele Medien von dem Umsturz in der Ukraine zeichneten, bekommt immer größere Risse.

Bisher wurden Berichte über neofaschistische Umtriebe gerne als »russische Propaganda« abgetan, inzwischen aber sind auch Abgeordnete aus Parteien beunruhigt, die an der Übergangsregierung beteiligt sind.

So prangerte Gennadi Moskal, Rada-Abgeordneter der Partei »Batkiwschtschina« (Vaterland) von Julia Timoschenko, in einer Presseerklärung die landesweiten Übergriffe von Banden und Milizen an, deren Handlungen – so Moskal wörtlich – oftmals »noch schlimmer als die des gestürzten Regimes« seien. Im Namen des »Maidan« und der »Revolution« würden vermummte und bewaffnete Hundertschaften in etlichen Regionen Raub und Plünderungen begehen. Moskal, der früher der Partei »Unsere Ukraine« des ehemaligen Präsidenten Viktor Juschtschenko angehörte und Vizechef des Sicherheitsrates war, nannte konkret die 31. und die 33. Hundertschaft der »Maidan-Selbstverteidigung«, die inzwischen mit Kalaschnikows und Schrotflinten bewaffnet seien. Benutzt werde auch ein erbeutetes Dienstfahrzeug des Parlaments.

Die Milizen träten provokativ auf und schüchterten die lokale Bevölkerung ein. Zumeist überfielen sie Wohnungen und Häuser von Personen, die sie der Nähe zur gestürzten Regierung bezichtigen. Dabei würden Wertgegenstände gestohlen und die Häuser demoliert oder gleich niedergebrannt. Die Banditen hätten oft die »Alkoholbestände geplündert«, um danach wild um sich zu schießen. Es seien Fälle von Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen gemeldet worden, die es nicht geschafft haben, den Milizen rechtzeitig zu entkommen, beklagte Moskal. Auch das Haus des Sohnes des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei der Ukraine, Petro Symonenko, war geplündert und abgefackelt worden.

Inzwischen wurden bei solchen Plünderungen etliche Einrichtungen der ehemaligen Regierungspartei verwüstet, was die kommenden Wahlen – sollten sie stattfinden – zu einer Farce machen dürfte. Berüchtigt sind auch die Straßensperren, die von diesen Milizen errichtet werden. Moskal klagte, dass sie dabei die »Fahrgäste belästigen« und »Geld für die Revolution« verlangen.

Der Nachrichtensender TSN schilderte in einem Bericht aus dem zentralukrainischen Gebiet Tscherkassy, wie die Milizionäre Molotow-Cocktails auf vorbeifahrende Fahrzeuge warfen und willkürlich Verhaftungen von »Verdächtigen« vornahmen. Inzwischen marschieren die rechtsextremen Schläger in voller Bewaffnung gerne bei regionalen Ratssitzungen oder bei der Staatsanwaltschaft auf, um ihre politischen Gegner zum Rücktritt zu zwingen. Linke Gruppen agieren in der Zentral- und Westukraine nur noch im Untergrund, da Todeslisten kursieren.

Moskal forderte in seiner Presseerklärung die Staatsorgane auf, entschieden gegen diese Terrorwelle vorzugehen. Das dürfte schwierig sein, da die demoralisierten Polizeieinheiten kaum noch ihre Kasernen verlassen. Und zum neuen Generalstaatsanwalt wurde Oleg Machnitzki ernannt, Abgeordneter der rechtsnationalistischen Partei »Swoboda«.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. März 2014


Rechtsradikale in der Kiewer Regierung

Von Ulrich Heyden, Moskau ****

Westliche Medien regen sich darüber auf, dass Russland die neue Regierung in Kiew als »faschistisch« verurteilt. So weit hergeholt ist der Vorwurf allerdings nicht.

Mitglieder der radikal nationalistischen Partei »Swoboda« haben in der ukrainischen Regierung Schlüsselpositionen übernommen. Die Partei nannte sich bis 2004 Sozial-Nationale Partei der Ukraine (SNPU). Ein abgewandeltes Symbol der Nazi-Wolfsangel war damals das Parteisymbol. Den Namen »Swoboda« (Freiheit) gab sie sich angeblich in Anlehnung an die rechtspopulistische österreichische FPÖ.

Der Parteivorsitzende Oleg Tjagnibok, während der Proteste stets im Trio mit dem neuen Premier Arseni Jazenjuk und Vitali Klitschko zu sehen, verzichtete zwar auf einen Regierungsposten, doch zum Vizepremier wurde sein Stellvertreter Oleksandr Sytsch ernannt.

Andrej Parubi, ebenfalls Mitglied der »Allukrainischen Vereinigung Swoboda«, ist nun Vorsitzender des ukrainischen Sicherheitsrates. Parubi hatte 1991 zusammen mit Tjagnibok die Sozial-Nationale Union gegründet. Er war »Kommandant des Maidan« und verkündete am 1. März die allgemeine Mobilmachung.

Zu den Gründern der SNPU gehörte auch Oleg Machnitzki, heute Generalstaatsanwalt. Als Anwalt hatte er Tjagnibok verteidigt, als der wegen einer Hetzrede (»Die Ukraine wird von einer jüdisch-Moskauer Mafia regiert«) vor Gericht stand.

Igor Schwaika, gleichfalls »Swoboda«-Mitglied ist Landwirtschaftsminister.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. März 2014


Kein »Bruderkampf«

Entspannungssignale im Krim-Konflikt: Laut Rußlands Präsident einstweilen kein Militäreinsatz geplant. US-Außenminister Kerry ehrt in Kiew Faschisten

Von Reinhard Lauterbach *****


Der russische Präsident Wladimir Putin hat bestritten, daß auf der Krim russisches Militär im Einsatz sei. Die Uniformierten, die dort seit einigen Tagen öffentliche Gebäude kontrollieren und ukrainische Kasernen belagern, seien einheimische Selbstverteidigungstruppen. Rußland habe einstweilen keine Absicht, in der Ukraine zu intervenieren, sagte Putin auf einer Pressekonferenz am Dienstag. Das könne sich aber ändern, wenn russischsprachige Bürger der Ukraine getötet oder gefoltert würden. Der Staatsstreich in Kiew sei lange vorbereitet worden, auch »von westlichen Ausbildern«, führte der russische Staatschef weiter aus. Die jetzige Regierung in der Ukraine sei illegitim. Auch das Ergebnis von Wahlen im Nachbarland werde der Kreml angesichts des anhaltenden Terrors nicht anerkennen, kündigte Putin an. Wiktor Janukowitsch sei weiterhin Präsident der Ukraine, de facto habe er aber keine Macht mehr und »keine politische Zukunft«, so Putin. Rußland habe ihn aus humanitären Gründen aufgenommen. »Wäre er in der Ukraine geblieben, wäre er umgebracht worden.« Putin zeigte sich gleichzeitig offen für westliche Vermittlungsvorschläge. Über eine Kontaktgruppe unter internationaler Vermittlung könne man reden. Putin wendete die Rhetorik der neuen Machthaber gegen diese selbst: wenn es stimme, daß es in Kiew eine Revolution gegeben habe, dann sei dort ein neuer Staat entstanden, und dem gegenüber habe Rußland keinerlei vertragliche Verpflichtungen.

In Kiew traf unterdessen US-Außenminister John Kerry ein. Seine ersten Schritte führten ihn auf die Instytutska-Straße, wo am 18. Februar heftige Straßenschlachten zwischen Kämpfern des Maidan und ukrainischen Sicherheitskräften begonnen hatten. Kerry ehrte die »Helden« aus den Reihen der faschistischen Schlägertrupps und sagte der neu installierten Führung in der Ukraine im übrigen eine Milliarde Dollar an Hilfsgeldern für den Kauf von Energieträgern zu.

Die EU ist sich nach wie vor nicht einig, ob und gegebenenfalls welche Sanktionen sie wegen der Krim-Krise gegen Rußland verhängen will. Wie die britische Zeitung Guardian berichtete, ist sogar das traditionell US-freundliche London nur für solche Sanktionen, die russischen Oligarchen und Politikern weiterhin erlauben würden, in London Finanzgeschäfte zu tätigen. Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien seien generell gegen Sanktionen. Für solche Strafmaßnahmen sprächen sich lediglich Polen, die baltischen Staaten und Schweden aus.

In der Ukraine selbst sind beide Seiten erkennbar bereit, die Situation auf der Krim nicht weiter zuzuspitzen. Der Chef des ukrainischen Sicherheitsdienstes, Walentin Naliwajtschenko, erklärte, die Zahl der russischen Soldaten auf der Krim liege mit 16000 innerhalb der vertraglich vereinbarten Grenzen. Am Luftwaffenstützpunkt Belbek gelang es einer Abteilung unbewaffneter ukrainischer Soldaten, sich mit den russischsprachigen Bewachern auf den Zugang zur Basis zu einigen. Eine Fernsehaufnahme der Situation zeigt, wie die Ukrainer mit ihrer blau-gelben Nationalfahne und einer alten sowjetischen Truppenfahne auf die Absperrung zugehen. Ihr Kommandeur fragte die russischen Soldaten, ob sie wirklich auf die sowjetische Fahne schießen wollten. Beide Parteien sprachen im selben südrussischen Dialekt. Auf ukrainischer wie russischer Seite mehren sich Appelle von Prominenten, einen »Bruderkampf« zu vermeiden.

***** Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. März 2014


Hochnervöse Stimmung und täglich neue Gerüchte

Steinmeier: »Wir sind nicht nah genug an einer Lösung«

Von Marc Engelhardt, Genf ******


Die diplomatischen Bemühungen um die Beilegung der Krimkrise sollen bis Donnerstag erste Ergebnisse zeigen – andernfalls droht die EU mit Sanktionen.

Manche Bilder sprechen Bände: etwa das, das Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Montagabend auf seine Facebook-Seite stellte. Da sitzt an einer langen, gedeckten Tafel auf einer Seite ein Mann: Steinmeier, Blick auf das Blumengesteck auf der Tischmitte gerichtet. Auf der anderen Seite, ihm gegenüber, steht Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Sein Blick ebenfalls gesenkt. »Gemeinsam besprechen wir jetzt die aktuelle Lage in der Ukraine«, schrieb Steinmeier dazu.

Nach knapp zwei Stunden verließ Lawrow das Hotel »Intercontinental« ohne ein Wort. Auch Steinmeier äußerte sich erst am Dienstagmorgen. Gemeinsam sieht anders aus.

Ein schwieriges, ein langes, ein ernstes Gespräch sei es gewesen, sagt der Bundesaußenminister, nachdem er zuvor mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gefrühstückt hat. »Wir sind nicht nahe genug an einer Lösung.« Steinmeier will Druck machen: Bis Donnerstag, wenn sich die EU-europäischen Regierungschefs zum Europäischen Rat in Brüssel treffen, sollen die Russen sich bewegen – und etwa der von Deutschland favorisierten Bildung einer internationalen Kontaktgruppe zustimmen. Sonst, so sagt Steinmeier, würden die Regierungschefs vermutlich Maßnahmen beschließen – Sanktionen.

Dass Steinmeier eine schnelle Lösung anstrebt, hat noch andere Gründe. »Die Spannung in der Ukraine hält unvermindert an, die Stimmung ist hochnervös, und Gerüchte machen stündlich und täglich die Runde«, sagt er. »Das macht das Risiko umso größer, dass in dieser Situation jemand die Nerven verliert und aus dem politischen Konflikt auch neues Blutvergießen folgt.« Zwar habe Lawrow Steinmeier versichert, dass es keinen russischen Eingriff in die territoriale Integrität der Ukraine geben solle. Doch dies werde derzeit weder signalisiert noch dokumentiert, moniert Steinmeier am Morgen.

Beim Mittagessen mit dem Vorsitzenden der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), dem Schweizer Bundespräsidenten Didier Burkhalter, wird die Rolle der OSZE in einem möglichen politischen Prozess besprochen. Herzlich und sehr konkret sei das Gespräch gewesen, heißt es danach aus Delegationskreisen.

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die OSZE eine zentrale Rolle bei den diplomatischen Bemühungen in der Ukraine spielen kann. Die Organisation ist vergleichsweise klein und flexibel, sie gilt als unbelastet und als ehrlicher Makler – auch wegen ihrer seit Jahren gesunkenen Bedeutung wirft keine Seite ihr Parteilichkeit vor. Die 1975 auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs in Helsinki gegründete OSZE hat zudem eine lange Tradition der Vermittlung zwischen Ost und West, um die es im Kern geht. Ihr gehören alle Staaten Europas außer Kosovo an, die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, dazu die USA, Kanada und die Mongolei. Welche dieser Staaten in einer Kontaktgruppe vertreten sein könnten, dürfte eine der Fragen sein, über die Diplomaten in den verbleibenden Stunden bis zum Europäischen Rat verhandeln müssen. Gelegenheit haben sie dazu am Mittwoch in Paris, wo viele Minister zu einer Libanon-Konferenz zusammenkommen.

****** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. März 2014


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