Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Milliardär Poroschenko greift nach der Macht

In Kiew erklärte Oppositionspolitiker Klitschko seinen Verzicht zugunsten eines Oligarchen

Von Roland Etzel *

Die Außenminister Russlands und der USA reden über die Ukraine. Dort bringt sich gerade ein Milliardär für die Präsidentenwahl in Position.

Auf der Krim ist eine neue Zeit angebrochen – die Moskauer. Das ist wörtlich zu nehmen. Nach dem administrativen Anschluss der Halbinsel erfolgte in der Nacht von Sonnabend zu Sonntag nun auch die Eingliederung per Chronometer – in die Moskauer Zeitzone. Fernsehbilder zeigten feiernde Menschen wie zu Silvester, als die große Bahnhofsuhr in der Hauptstadt Simferopol um zwei Stunden auf Moskauer Zeit vorgestellt wurde. Ein Vertreter der Krim-Administration scheute sich nicht, von einem »historischen Moment« zu sprechen.

In Kiew ging man derweil in die Startlöcher zur nächsten Präsidentenwahl. Der in Deutschland bekannteste Anwärter, für den in seinem ersten Leben als Profi-Boxer niemals das Handtuch geworfen werden musste, tat dies nun selbst: Vitali Klitschko nahm sich aus dem Rennen zugunsten eines anderen, den er als »neue Integrationsfigur« bezeichnete und empfahl – den Euromilliardär Milliardär Pjotr Poroschenko.

Den Begründungen für dessen vermeintliche Eignung mangelt es aber an Glaubwürdigkeit: Zum einen ist der Rückzieher des 42-jährige Klitschko wohl weniger hehre Geste als die uneingestandene Einsicht in die eigene Chancenlosigkeit. Zum anderen blieb Klitschko eine Begründung schuldig, warum Poroschenko ein Präsident für alle Ukrainer sein könne. Der 48-Jährige mit einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde Euro gilt als einer der wesentlichen innerukrainischen Sponsoren der prowestlichen »orangen« Revolution von 2004 ebenso und der Proteste seit dem Herbst auf dem Kiewer Maidan-Platz Der Mann, von dem es etwas undurchsichtig heißt, er habe nach dem Zerfall der Sowjetunion den Grundstock seines heutigen Reichtums mit Finanzgeschäften verdient, besitzt unter anderem den Fernsehsender Ka- nal 5 und den Süßwarenkonzern Roshen. Gegen Poroschenko positionierte sich Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko.

Russland und die USA haben unterdessen einen neuen Anlauf für eine diplomatische Lösung ihres Konflikts um die Ukraine unternommen. Dazu wollten sich am Sonntag in Paris die Außenminister beider Staaten, John Kerry und Sergej Lawrow treffen. Der Vertreter Russlands hatte zuvor geäußert, die Ukraine müsse sich zu militärischer Neutralität verpflichten und auf einen NATO-Beitritt verzichten. Die Führung in Kiew müsse schnell eine neue Verfassung ausarbeiten und den russischsprachigen Landesteilen mehr Rechte einräumen. Dazu gehöre, dass Russisch als zweite Amtssprache anerkannt werde, wer auch in Kiew regiere.

US-Präsident Barack Obama und Russlands Staatschef Wladimir Putin hatten das Außenministertreffen in einem Telefonat vereinbart. Damit ist zumindest der Dialogfaden wieder aufgenommen worden, auch wenn »zwischen Russland und den USA weiter grundlegende Differenzen« bestehen, so Vizeaußenminister Sergej Rjabkow am Sonnabend.

* Aus: neues deutschland, Montag, 31. März 2014


Die Liste steht

Einheitsfront mit Schönheitsfehlern. Bewerberfeld für ukrainische Präsidentschaftswahl hat sich formiert. Deutscher Boulevard muß auf Lieblingskandidaten verzichten

Von Reinhard Lauterbach **


Acht Wochen vor der vorgezogenen Präsidentschaftswahl in der Ukraine hat sich das Kandidatenfeld im wesentlichen formiert. Wenige Stunden vor dem offiziellen Ende der Bewerbungsfrist in der Nacht zum Montag haben sich acht Kandidaten registrieren lassen. Sie gliedern sich grob in drei Gruppen: die, der Maidan-Kräfte, die des alten Regimes, und als Zählkandidat tritt der Chef der ukrainischen Kommunisten, Petro Symonenko, an.

In den Umfragen vorn liegt mit 20 bis 25 Prozent seit Wochen der Oligarch Petro Poroschenko. Durch seine Süßwarenfabriken zu Geld gekommen, hat er sich beizeiten den beliebten Fernsehsender »Kanal 5« als publizistischen Rückhalt gekauft. Er hat seit der »Orangen Revolution« sogenannte Reformkräfte finanziert, so auch zuletzt den Euro-Maidan. Zwischendurch war er allerdings auch Minister in den Regierungen von Wiktor Janukowitsch und Julia Timoschenko, so daß es schwerfällt, ihm ein klares politisches Profil zuzuschreiben. Man kann ihm zwar als Opportunismus anlasten, daß er in der Vergangenheit in allen politischen Mannschaften gespielt hat. Aber westliche Ukraine-Analysten setzen darauf, daß dieser Makel umgekehrt zu seiner Stärke wird und daß sein Image als »Gemäßigter« ihm erlaubt, auch den russischsprachigen Osten und Süden der Ukraine für die neuen Verhältnisse zu gewinnen.

Da Poroschenkos Vorsprung im »Reformer«-Lager derzeit uneinholbar scheint, sind auf dieser Seite erste Frontbegradigungen zu beobachten. Witali Klitschko, der von der Konrad-Adenauer-Stiftung aufgebaute Exboxweltmeister, hat am Freitag seine Kandidatur zurückgezogen und seine Anhänger aufgerufen, für Poroschenko zu stimmen. Er lag in den Umfragen seit dem Machtwechsel konstant um die neun Prozent und konnte auch nicht dadurch punkten, daß er sich aus der Übergangsregierung ferngehalten hat. Klitschko will dafür bei den ebenfalls am 25. Mai stattfindenden Kommunalwahlen für das Amt des Bürgermeisters von Kiew antreten – einen Posten, um den er sich schon zweimal vergeblich beworben hatte.

Die zweite »prowestliche« Bewerberin ist die unverwüstliche Julia Timoschenko. Sie hat sich am Wochenende von einem Parteitag ihrer Vaterlandspartei als Kandidatin auf den Schild heben lassen, hat aber nach den Umfragen ebenso wenig Chancen gegen Poroschenko wie Klitschko. Viele Ukrainer haben ihre Vergangenheit als »Gasprinzessin« nicht vergessen. Davon abgesehen hat sie sich durch ihr geleaktes Telefonat mit den Haßtiraden gegen Wladimir Putin und die russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine zumindest gegenüber den europäischen Schutzpatronen der ukrainischen »Wende« diskreditiert. Nach einstweilen unbestätigten Berichten dortiger Medien soll Angela Merkel sie aufgefordert haben, dem Beispiel Klitschkos zu folgen und ihre Bewerbung zugunsten Poroschenkos zurückzuziehen. Ob Timoschenkos Verbindungen zu neokonservativen Kreisen in den USA das ausgleichen können, muß sich zeigen.

An die harte Pro-NATO-Wählerschaft wendet sich bei der Wahl der ehemalige Verteidigungsminister von Präsident Juschtschenko, Anatoli Grizenko. Das Lager des ehemaligen Präsidenten Janukowitsch tritt mit zwei Kandidaten an. Der eine, Michail Dobkin, ist ehemaliger Gouverneur von Charkiw und in der Vergangenheit als harter Gegner des Maidan und eher prorussisch in Erscheinung getreten. Der andere Kandidat, Sergej Tigipko, ist Banker und war ebenso wie Poroschenko Minister in Kabinetten unterschiedlicher Orientierung und »kann« insofern potentiell mit allen. Die Doppelkandidatur zeigt, daß die Partei der Regionen – aus der Janukowitsch übrigens dieser Tage ausgetreten ist – derzeit kein Konzept hat und offenbar ausprobieren will, mit welcher Linie sie größere Chancen hat.

Am rechten Rand schließlich bewerben sich ebenfalls zwei Kandidaten um das Präsidentenamt: Oleg Tjagnibok, Vorsitzender der Swoboda-Partei, und der noch weiter rechts stehende Dmitri Jarosch vom Rechten Sektor. Ihre Umfragewerte liegen derzeit im niedrigen einstelligen Bereich.

** Aus: junge welt, Montag, 31. März 2014


Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage