Der Widerspenstigen Zähmung
Immer mehr "Kämpfer" der nationalistischen Freiwilligenbataillone machen das ukrainische Hinterland unsicher. Streit zwischen Präsident Poroschenko und Innenminister Awakow
Von Reinhard Lauterbach *
»Machnowschtschina« machte der Kiewer Oberstaatsanwalt Sergej Juldaschew jüngst auf den Straßen der ukrainischen Hauptstadt aus. Das Wort – eine Anspielung auf den anarchistischen Bauernrebellen Nestor Machno aus dem russischen Bürgerkrieg – steht für Chaos und Regellosigkeit. Und Staatspräsident Petro Poroschenko sagte die seriöse Wochenzeitung Serkalo Nedeli nach, er habe die für den Kampf gegen die Aufständischen im Donbass aufgestellten Freiwilligenbataillone aus Faschisten, Nationalisten und sonstigen Maidan-Kämpfern auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates Anfang des Monats als »Sicherheitsrisiko« bezeichnet. Auch wenn Poroschenkos Sprecher die Äußerung anschließend dementierte – unplausibel ist sie nicht. Nicht zufällig hat der Kiewer Bürgermeister, Witali Klitschko, angekündigt, eine schwerbewaffnete Sondereinheit der Polizei aufzustellen, um die Staatsautorität gegen »Bandenkriege« durchzusetzen.
Die im Frühling eilig und ohne Überprüfung der Kandidaten aufgestellten Stoßtrupps der Kiewer Regierung lassen sich immer weniger in die militärische Disziplin einbinden und geraten – so der von Kiew eingesetzte Gouverneur des Bezirks Donezk, Olexander Kichtenko, »außer Kontrolle«. Kichtenko dürfte wissen, wovon er redet, denn er kommt aus der Nationalgarde, die sich aus ebensolchen Leuten rekrutiert. Nun rächt sich, dass die ukrainischen Behörden im Frühjahr in den Gefängnissen allen Häftlingen die Entlassung zugesagt hatten, die sich in die Bataillone einschrieben. Dieses Personal kommt nun offenbar zu seiner vorherigen Beschäftigung zurück. Im Oktober hatte ein Vertreter des Kiewer Innenministeriums berichtet, dass die Kriminalität im Landesmaßstab seit dem Euromaidan um 40 Prozent gestiegen sei; Staatsanwalt Juldaschew nannte für die Hauptstadt sogar Steigerungsraten um 150 Prozent bei Straftaten unter Einsatz von Waffen. Rund 20 Prozent der Kämpfer der Bataillone sollen nach Angaben ukrainischer Medien inzwischen desertiert sein und sich mit ihren Waffen im Hinterland herumtreiben.
Dort stellen sie sich vor allem Geschäftsleuten für die Durchsetzung feindlicher Übernahmen mit Hilfe physischer Gewalt zur Verfügung. Als Tageshonorare werden 100 US-Dollar pro Kämpfer plus einige tausend für den Anführer genannt. In der südukrainischen Industriestadt Saporischschja tauchten unlängst Kämpfer des Bataillons »Asow« im Aluminiumkombinat auf, um eine »Eigentumsfrage zu regeln«. Sie gerieten dabei in Konflikt mit der örtlichen Polizei, die es allerdings vorzog, die Auseinandersetzung nicht auf die Spitze zu treiben. In Kiew übernahm der »Rechte Sektor« ein im Stadtzentrum gelegenes Bordell gleich in eigener Regie. Zuvor hatte Klitschkos Stadtverwaltung geglaubt, die rechte Schlägertruppe milieugerecht ruhigstellen zu können. Sie übertrug dem »Rechten Sektor« die »Bekämpfung des illegalen Alkoholhandels« auf den Basaren der Stadt, was man auch als Angebot betrachten kann, ihn gleich zu übernehmen. Das von Amnesty International wegen Kriegsverbrechen kritisierte Bataillon »Aidar« hat unlängst in Kiew den Hubschrauberlandeplatz einer Residenz von Expräsident Janukowitsch vorübergehend besetzt. Der Kiewer Polizeichef äußerte daraufhin die Befürchtung, die Truppe könne »einen Militärputsch versuchen«.
Das ganze Dilemma der Kiewer Machthaber mit den Freiwilligenbataillonen beschrieb Staatsanwalt Juldaschew auf seiner Facebook-Seite: »Solange sie im Osten kämpfen, sind sie Helden. Aber wenn sie in unsere Städte zurückkommen, sind sie eine Gefahr für die innere Sicherheit«. Interne Differenzen über die Zukunft der Truppen kommen hinzu. Präsident Poroschenko will sie in die Armee eingliedern, die ihm untersteht; Innenminister Arsen Awakow von der »Volksfront« will sie dagegen unter seinem Kommando belassen und zu Sonderformationen des Innenministeriums machen. Nachdem die »Volksfront« auf ihren Listen neun Bataillonskommandeure ins ukrainische Parlament gehievt hat, zeichnet sich ab, dass die Freiwilligen zur Parteiarmee werden könnten. Einzige Hoffnung Poroschenkos kann in dieser Situation sein, dass es unter den Kommandeuren Streit gibt. Der Chef des Bataillons »Aidar«, Sergij Melnitschuk, hat angekündigt, als erste parlamentarische Aktion dem Kommandeur des Bataillons »Donbass«, Semjon Semjontschenko, »in die Fresse zu hauen«. Der hat derweilen Wichtigeres zu tun, als auf diese Pöbeleien zu reagieren. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten flog er – diesmal gemeinsam mit zwei Kommandeurskollegen – zu Besprechungen in die USA. Von der ersten Reise war er mit der Zusage zurückgekehrt, dass die Vereinigten Staaten die Kämpfer seines Bataillons in Nahkampf und Guerillataktik ausbilden. An der »Machnowschtschina« in Kiew wärmen sich offenbar noch ganz andere die Hände.
* Aus: junge Welt, Samstag, 15. November 2014
Zurück zur Ukraine-Seite
Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)
Zurück zur Homepage