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Ukrainische Opposition will mehr EU-Hilfe

Wortführer der Protestbewegung am Montag zur Audienz bei der Bundeskanzlerin

Von Detlef D. Pries *

Wenn Vitali Klitschko und Arseni Jazenjuk am heutigen Montag von Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen werden, erwarten sie »keine Worte, sondern Taten«.

Arseni Jazenjuk ist Vorsitzender der Fraktion »Vaterland« im ukrainischen Parlament. Da er auch schon Außenminister und Parlamentspräsident war, gilt er als der politisch erfahrenste unter den Wortführern der Regierungsgegner. Gemeinsam mit Vitali Klitschko, Chef der Partei UDAR, wird Jazenjuk am heutigen Montag bei Bundeskanzlerin Angela Merkel vorsprechen. Am Sonntag verkündete er vor Tausenden von Teilnehmern einer weiteren »Volksversammlung« auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, was er mit Frau Merkel besprechen wolle: »Die Europäische Union darf die Ukraine nicht nur in Worten unterstützen, wir brauchen politische und wirtschaftliche Hilfe«, sagte er nach Angaben der Agentur UNIAN. Dazu zählte Jazenjuk Visafreiheit für EU-reisende Ukrainer und Investitionen, die das Land vor dem Bankrott retten. Überhaupt müsse die Ukraine nicht nur »Mitglied Europas, sondern Mitglied der EU« werden.

Alles das konnte oder wollte die EU bisher nicht zusagen. Fragt sich, was die Bundeskanzlerin ihren Gästen außer aufmunternden Worten und politischen Ratschlägen diesmal bieten wird. Vitali Klitschko, der sich besonderer politischer Fürsorge der CDU erfreut, sah sich am Sonntag in Dnepropetrowsk zu der Erklärung veranlasst, er besitze keine Erlaubnis zum dauerhaften Aufenthalt in Deutschland mehr. Andernfalls könnte ihm nämlich die Kandidatur bei der ukrainischen Präsidentenwahl im Jahre 2015 verwehrt werden. Bis dahin wollen es die Gegner von Präsident Viktor Janukowitsch allerdings gar nicht kommen lassen. Sie fordern nach wie vor den Rücktritt Janukowitschs und Neuwahlen, um selbst die Regierung zu übernehmen. Am Sonntag allerdings traten sie einen »taktischen Rückzug« an: Das seit dem 1. Dezember 2013 besetzte Gebäude der Kiewer Stadtverwaltung wurde geräumt. Auch in Ternopil, Iwano-Frankiwsk, Lwiw und Poltawa verließen Besetzer die Gebietsverwaltungen und erfüllten damit eine Bedingung des von der Werchowna Rada Ende Januar verabschiedeten Amnestiegesetzes. Danach sollen festgenommene Teilnehmer von Massenausschreitungen – mit Ausnahme von Schwerverbrechern – freigelassen und von strafrechtlicher Verantwortung befreit werden, wenn die besetzten Verwaltungsgebäude bis zum heutigen 17. Februar geräumt werden. Laut Staatsanwaltschaft waren bereits am Freitag alle 234 inhaftierten Demonstranten auf freiem Fuß, doch wurden die Verfahren gegen sie vorerst nicht niedergeschlagen.

Das Gewerkschaftshaus und andere öffentliche Gebäude wie auch der Unabhängigkeitsplatz in Kiew blieben jedoch in der Hand der radikalen Opposition. Der Chef der Rechtspartei »Swoboda«, Oleg Tjagnibok, rief am Sonntag zum »Marsch nach Osten« auf: Anhänger der prowestlichen Bewegung sollen in Agitationseinsätzen die mit Russland sympathisierende Bevölkerung im Osten der Ukraine auf ihre Seite ziehen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 17. Februar 2014


Ukraine: Vage Hoffnung auf Entspannung

Regierungsgegner räumen einige besetzte Gebäude. Tödlicher Anschlag auf Richter **

In der Ukraine scheint nach zweiwöchigem Stillstand am Wochenende etwas Bewegung in die festgefahrenen Fronten gekommen sein. Regierungsgegner räumten das seit dem 1. Dezember besetzte Rathaus von Kiew und die ebenfalls okkupierten Stadt- und Gebietsverwaltungen in mehreren Städten der Westukraine. Auch die seit den Straßenkämpfen vom Januar unpassierbare Gruschewski­straße im Kiewer Regierungsviertel wurde am Wochenende zumindest teilweise wieder befahrbar gemacht. Die militanten Regierungsgegner reagierten damit auf die am Freitag erfolgte Freilassung ihrer letzten noch in Untersuchungshaft gehaltenen Gesinnungsgenossen. Sie forderten die Regierung auf, nun das Ende Januar beschlossene Amnestiegesetz für alle Regierungsgegner in Kraft zu setzen und auch die weiterlaufenden Ermittlungsverfahren gegen die Oppositionellen einzustellen.

Zugleich erklärte Arseni Jazenjuk, amtierender Chef der rechtsliberalen Vaterlandspartei von Julia Timoschenko, die Opposition werde weder den Unabhängigkeitsplatz noch das Gewerkschaftshaus und weitere Objekte im Stadtzentrum räumen. Auch das Zeltlager auf der Hauptstraße Kreschtschatik solle weiterbestehen. Weiter kündigte er an, eine Gegenregierung ins Leben rufen. Den Vorschlag von Präsident Wiktor Janukowitsch, als Ministerpräsident in die Regierung einzutreten, wies er zurück.

In Krementschug südöstlich von Kiew fiel unterdessen ein Richter einem Mordanschlag zum Opfer. Wie das ukrainische Innenministerium mitteilte, schossen zwei Unbekannte den Mann von hinten mit einem Schrotgewehr nieder, als er seinen Hund ausführte. Der Richter hatte mehrere Oppositionsaktivisten zu Arreststrafen verurteilt, nachdem diese im Januar vergeblich versucht hatten, die Stadtverwaltung zu stürmen. Mit Fotos illustrierte Drohplakate gegen mehrere Richter, man werde sie kriegen, hingen bis letzte Woche auch im damals noch besetzten Rathaus von Kiew. Reinhard Lauterbach

** Aus: junge Welt, Montag, 17. Februar 2014


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