Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die mit der NATO drohen

Jürgen Reents über mediale Mobilmacher des Ukraine-Konflikts im grün-alternativen Milieu *

Der Grüne Werner Schulz hat dem »Tagesspiegel« anvertraut, dass es für ihn »ein sehr ungünstiger Zeitpunkt« sei, sich aus dem EU-Parlament zu verabschieden, ausgerechnet jetzt, »in diesen Turbulenzen«. Schulz leidet sehr daran, die Öffentlichkeit künftig nicht mehr so prominent mit seinen Ratschlägen versorgen zu können. Zum Beispiel mit diesem: dass es besser gewesen wäre, Georgien und die Ukraine schon vor Jahren in die NATO aufzunehmen, dann hätte man »zwei Kriege vermeiden können«.

Der wackere Schwertträger der einstigen Bürger-rechts-Bewegung der DDR kann sich in einer Hinsicht trösten: Es gibt genügend andere, die wie er den Ausbau der Ostfront propagieren. In der grünen Partei ohnehin, aber auch in deren Medienmilieu. Der Russland-Korrespondent der taz, Klaus-Helge Donath, forderte kürzlich in einer Titelseiten-Kolumne, den Militäretat in Deutschland »um mindestens ein Drittel anzuheben«, weil Putin die EU sonst »in den Orkus befördert«. Er empfahl, der Westen möge zu Reagans Politik nach der Devise »Totrüsten ohne Tote« zurückkehren. Mit seinen verwegenen Thesen erregte er das Interesse von Günther Jauch, ihn in seinen TV-Talk einzuladen. Donaths Redaktionskollege Dominic Johnson baute den Gedanken noch aus: »Die Nato sollte jetzt ihre weitgehend nutzlosen Rüstungsarsenale endlich dort in Stellung bringen, wo sie tatsächlich Schutz bieten könnten, nämlich in Osteuropa.«

Damit nichts missverstanden wird: Sowohl in der Redaktion wie in der Leserschaft der taz sind solche Einlassungen umstritten. Es gab heftige Widerreden, die von »Irrsinn« sprachen. Dennoch gilt es in dem Blatt offenbar als besonders herrschaftsfrei, wenn es sich auch als Forum eines neuen Bellizismus anbietet – genauer gesagt, wiederum anbietet: Ihre ersten militärgefälligen Protzereien übte die Zeitung vor über 15 Jahren, da blies sie mit zum Waffengang gegen Serbien. Es kamen im Kriegsverlauf zwar Bedenken auf, als die NATO ihre ersten »Kollateralschäden« nicht verheimlichen konnte. Doch auch im weiteren Rückblick hieß es unbeirrt: »Es musste sein.«

Dass die alternativen Mobilmacher just erneut eine lange Leine erhalten, ist vor allem aus einem Grund bemerkenswert: In manch anderen Medien sind die einfältigen Parteinahmen pro Kiew und kontra Moskau nämlich etwas leiser geworden. Etliche Ereignisse konnten – wenn zum Teil auch verzögert – schließlich doch nicht übersehen werden: so die anhaltende Weigerung, die Todesschüsse auf dem Maidan unabhängig aufzuklären; die ungestümen Kriegsfantasien von Julia Timoschenko; das gebliebene Dunkel um den Auftrag der Bundeswehr-geführten Delegation in der Ostukraine; das lichtscheue Gebaren um einen Besuch von CIA-Chef John Brennan, kurz bevor in Kiew die »Anti-Terror-Operation« gen Osten befehligt wurde; die aus der Kiewer Koalition und ihren Medien begrüßte Mordbrennerei eines rechtsradikalen Mobs in Odessa. Und schließlich das zum »Runden Tisch« erklärte Geplauder der Kiewer Regierung mit US-Botschafter Geoffrey Pyatt und einigen Statisten unter Aufsicht eines pensionierten deutschen Diplomaten. Da stellte selbst ein eher konservatives Blatt wie die »Allgemeine Zeitung« in Mainz die Frage: »Wie kann der Westen der ukrainischen Übergangsregierung das nur durchgehen lassen?«

Die hier und da geschmeidiger gewordene Kommentierung rüttelt allerdings nicht an der Grundfärbung hiesiger Betrachtung, der zufolge Russland der Drahtzieher aller Gefahren ist. Eine Rolle spielt aber, dass die Präsidentschaftswahl am kommenden Wochenende in Teilen des Landes eine riskante Farce zu werden droht. Am Ende könnte sich bei einem beachtlichen Votum für die verschiedenen Abteilungen des ukrainischen Nationalismus eine Konstellation ergeben, die den längst begonnenen Bürger- und Sezessionskrieg mehr befeuert als befriedet. Dass die aggressionsbereiten Kandidaten Timoschenko, Tjagnibok und Jarosch nach dieser Wahl marginalisiert sind – und mit ihnen nicht nur der Rechte Sektor, sondern auch die rabiaten Rechtspopulisten von Sowboda und Vaterland – ist eine ungedeckte Hoffnung.

Die von der CDU/CSU bis zu den Grünen vorgebrachte Argumentation, sie wegen ihres Einflusses in der Maidan-Bewegung und anschließend unklarer Verhältnisse in der Koalition und ihrem Umfeld geduldet zu haben, statt jegliche Unterstützung an die Aufkündigung des Pakts mit ihnen zu binden, thront auf tönernen Füßen. Für den weiteren Verlauf sind sie ein gefährlicheres Moment als aller Separatismus im Osten. Und ein ständig zündbarer Treibstoff für den beharrlichen Ostmarsch der NATO.

* Jürgen Reents war langjähriger Chefredakteur des nd. Aus: neues deutschland, Mittwoch, 21. Mai 2014


Grün-braune Kumpanei

Neue Kameraden: In der Ukraine ist der einstigen Friedenspartei kein Neonazi zu rechts, um ihn in die Dienste der deutschen Außenpolitik zu stellen

Von Alexander Cornelius **


Sichtlich reserviert saß die »grüne Ikone«, wie Parteichef Cem Özdemir ihn vorstellte, am Montag abend mit verschränkten Armen auf dem Podium des kleinen Auditoriums im Berliner »Kaiserin-Friedrich-Haus«. Und das, obwohl der einstige Außenminister Joseph Fischer nach jahrelanger Distanz gegenüber seiner Partei nun offenbar im Europawahlkampf als As aus dem Ärmel gezogen werden soll. An seiner Seite durfte sich die Spitzenkandidatin und »Ukraine-Expertin« Rebecca Harms vor einer überschaubaren Menge an Parteifreunden und Pressevertretern zur »Friedensmacht Europa« äußern. Harms hatte dem »Euromaidan« genannten Protestlager im Herzen Kiews bereits seit Dezember Besuche abgestattet. Im Februar war der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch weggeputscht worden, nun steht das Land vor einem Bürgerkrieg. Das neue Regime läßt die Armee gegen Teile der eigenen Bevölkerung aufmarschieren, im Osten des Landes erkennt die Bevölkerung die neuen Machthaber nicht an. Die für kommenden Sonntag geplante Präsidentenwahl zur nachträglichen Legalisierung des Umsturzes wird wohl praktisch undurchführbar sein.

Fischer hat eine eigene Interpretation der Vorgänge parat: »Rußland holt sich nach der Auflösung der Sowjetunion verlorene Territorien zurück«. Die EU solle nicht abwarten, sondern mit ihrer eigenen Osterweiterung »Sicherheitsinteressen in Politik umsetzen«, also: Territorien gewinnen. Fast wie Putin, aber natürlich ganz anders. Harms wiederum vermißt in Europa die Empörung über die »militärische Eskalation«, natürlich nur die seitens Rußlands. »Die Europäer verlieren den Respekt vor sich selbst«. Das sieht auch Fischer so: »Viele finden Putin toll, weil er es den USA zeigt«. Aber: »Dieser Antiamerikanismus schockiert mich zutiefst.« Bei »der ganzen Putinversteherei« lobt das Urgestein die Position der grünen Partei bezüglich der »Menschenrechte«.

Gerade diese sieht Harms vor allem auf der Krim in Gefahr, wo alle nur von »den Faschisten« in Kiew sprächen. Beim »Euromaidan« handele es sich, weiß die Politikerin, um eine Bewegung für »Rechtsstaatlichkeit und Demokratie«. Sie sei ohne jeglichen Einfluß der Parteien entstanden, »Swoboda« und andere »Nationalisten« hätten sich erst nach Zuspitzung der Proteste angeschlossen.

Damit reiht sich Harms in die grüne Verdrehung ukrainischer Zustände ein. Allenfalls ist von »Rechtsextremen« die Rede, war doch die parteieigene Heinrich-Böll-Stiftung im Februar noch der Meinung, es handle sich bei den Protesten lediglich um eine »freiheitliche Massenbewegung zivilen Ungehorsams«. Kein Wort zum Thinktank der Regierungspartei »Swoboda«, der ganz offiziell den Titel »Joseph-­Goebbels-Forschungszentrum für Politik« trug, bis er aus diplomatischen Gründen nach Ernst Jünger umbe­nannt wurde. Ebensowenig zur Vorgängerpartei der »Swoboda«, 1991 als »Sozial-Nationale Partei« gegründet. Nichts zu Putschpremier Arseni Jazenjuk, der bei Gelegenheit schon den Hitlergruß zeigte. Auch nichts zum abgefackelten Gewerkschaftshaus in Odessa mit offiziell fast 50 Toten, zum Mordanschlag auf den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei der Ukraine, dem angekündigten Verbot dieser im Parlament vertretenen Partei. Kritik an Harms’ haarsträubenden Thesen kam zum ersten Mal auf, als sie vom »Rechten Sektor« sprach. »Dieser spielte erst in der Selbstverteidung eine Rolle.« Die Hakenkreuze, Naziuniformen und SS-Zeichen auf dem »Euromaidan« hat es in der Welt von Harms scheinbar nie gegeben. »Ein Teil dieser Leute wäre in Deutschland der schwarze Block gewesen«, so die Grüne in Anspielung auf die linken Autonomen. Zwei Anwesenden ging das zu weit: »Unerhört!« schallte es durch den Saal. Doch Fischer griff ein: »Wo ist das Problem? Wenn einer was von schwarzen Blöcken versteht, dann bin ich es«.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. Mai 2014


Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Parteien-Seite

Zur Parteien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage